Auf der Kinderintensivstation 3.3 im Deutschen Herzzentrum München.
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Auf der Kinderintensivstation 3.3 im Deutschen Herzzentrum München.

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Warten auf die OP: Kinderintensivstationen unter Druck

Die Betten sind da, die Ärzte auch - nur Pflegekräfte fehlen. Auf bayerischen Kinderintensivstationen müssen deshalb immer wieder Operationen verschoben und Kinder verlegt werden. Eine katastrophale Situation für viele Familien.

Über dieses Thema berichtete BR24 im Radio am .

Ferdinand ist dreieinhalb und hat einen komplexen, angeborenen Herzfehler. Wer ihn beim Spielen im Wohnzimmer zwischen Legos und Plastiktieren beobachtet, merkt das gar nicht. Nur eine Narbe auf dem Oberkörper zeugt davon, dass er vor Kurzem operiert wurde. Ein lebenswichtiger Eingriff, der auch Risiken mit sich bringt.

In der Wartezeit hatten die Eltern viele schlaflose Nächte. "Das waren sehr schwere Wochen und Monate, die wir durchstehen mussten", erzählt Mutter Melanie Schlegel. Vor der Operation isolierte sich die Familie zwei Wochen, damit sich Ferdinand keinen Infekt einfängt. Er durfte nicht in die Kita, nicht mit anderen Kindern spielen, die Eltern arbeiteten von Zuhause aus. Doch ob der Eingriff planmäßig stattfinden würde, stand lange auf der Kippe. "Bis um 11 Uhr war noch nicht klar, ob er um 11.30 Uhr in den OP geschoben werden soll", sagt seine Mutter.

Immer wieder müssen OPs verschoben werden

Am Deutschen Herzzentrum in München, eine der renommiertsten Kinderkardiologien in Deutschland, müssen wie an vielen anderen Einrichtungen immer wieder Operationen verschoben werden. Denn: Das Pflegepersonal fehlt, um die Intensivbetten zu betreuen. "Wenn ich eins zeigen kann, dann leere Betten", sagt Professor Peter Ewert. Im grünen Kittel läuft er durch die Kinderintensivstation 3.3, vorbei an einem großen Biene-Maja-Motiv, das dem langen Flur ein freundlicheres Bild geben soll.

In einem Zimmer liegt ein Kind mit Herzschrittmacher, im anderen ein Säugling, fast verschwunden hinter Schläuchen und Monitoren. Von 16 Betten stehen an diesem Tag neun leer. "Wir haben genügend Ärzte, genügend OP-Säle, genügend Herzkatheterlabore, genügend Betten", sagt Ewert. "Aber: Das Nadelöhr ist die Pflege."

Eigentlich könne man pro Woche rund zwölf OPs durchführen, sagt Ewert, Direktor der Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie. Im Moment sei man froh, wenn man fünf schaffe. Früher kamen auch viele Patienten aus dem Ausland. "Heute sind wir in der Situation, dass wir versuchen, wenigstens die Kinder, die unmittelbar aus Südbayern kommen, ausreichend behandeln zu können. Selbst das gelingt nicht immer."

"Wir sind am Rande einer Triage"

Oft wird die Planung der knappen Ressourcen durcheinandergewirbelt – etwa, wenn eine OP komplizierter ist als geplant, ein Patient nicht verlegt werden kann oder ein schwerkranker Säugling kommt. Dann müssen Kinder mit zeitlichem Spielraum warten: Kinder, die keine akute Notfall-OP brauchen. Aber auch solche Operationen lassen sich nicht einfach so verschieben, ohne negative Folgen zu riskieren.

Es stellten sich auch schwierige ethische Fragen, sagt Ewert: "Wir sind am Rande einer Triage." Angenommen, es kommt ein Kind mit komplexem Herzfehler, das lange auf der Intensiv liegen wird – es gibt aber drei Kinder, die auch dringend Hilfe brauchen und bald entlassen werden können. Wen operiert man? Nach Möglichkeit verlege man Kinder in andere Einrichtungen, sagt Ewert, neulich sogar in eine Klinik nach Österreich.

Professor Peter Ewert ist Direktor der Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie im Deutschen Herzzentrum München - und erklärt, wie sich der Mangel an Pflegekräften auswirkt.
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Peter Ewert vom Deutschen Herzzentrum München erklärt, wie sich der Mangel an Pflegekräften auf der Kinderintensivstation auswirkt.

Pflegenotstand ist ein strukturelles Problem

Der Pflege-Engpass in der Kinder-Intensivpflege betrifft nicht nur das Herzzentrum. Viele andere Einrichtungen erleben Ähnliches, etwa in München und Nürnberg.

Von der Vereinigung der Pflegenden in Bayern heißt es, die Situation in der Kinderkrankenpflege sei dramatisch – genau wie in der Alten- und Krankenpflege. Belastbare Zahlen, wie viele Kräfte fehlen, gäbe es nicht. Kompensiert würde der Mangel durch Bettenschließungen und Überstunden.

Die Vereinigung fordert, die Arbeitsbedingungen aller Pflegenden zu verbessern: etwa durch verlässliche Dienstpläne und eine verbindliche Personalbemessung. "Außerdem brauchen wir dringend geordnete Weiterbildungen in allen Bereichen, die den zum Teil hochspeziellen Anforderungen der jeweiligen Pflegesettings auch gerecht werden", schreibt die Vereinigung – gerade auch in der Kinderkrankenpflege.

Am Herzzentrum werden die Pflegekräfte intensiv eingearbeitet. Es gibt Workshops, Mentoring, regelmäßige Supervision für die, die der ständige Umgang mit schwerkranken Kindern an die Belastungsgrenze bringt. "Wir haben das große Glück, dass wir nicht unterbesetzt arbeiten", sagt die Stationsleitung Heike Flick. "Wir passen immer die Patientenanzahl dem Pflegepersonal an." Aber auch sie muss immer wieder Kollegen und Kolleginnen an deren freien Tagen bitten, einzuspringen. Ebenso packt Professor Ewert auf der Station freiwillig ein paar Tage in der Pflege an, um ein Zeichen zu setzen.

SPD-Politikerin Waldmann: Staatsregierung verschleppt Problem

Die Zustände in der Kinderkrankenpflege seien seit Jahren besorgniserregend, sagt die SPD-Politikerin Ruth Waldmann. Aber an den Zuständen ändere sich nichts. "Die Probleme gibt es und leider sind wir nicht weitergekommen", sagt sie.

Von der Staatsregierung würde das Problem immer noch in Abrede gestellt und zu häufig auf den Bund verwiesen, so Waldmann. Dabei könne man auch im Freistaat viel tun, um die Pflege zu stärken – etwa, indem Klinikträger in ganz Bayern Mittel bekommen könnten, um günstigen Wohnraum für Personal zu schaffen. Dazu hat die SPD im Landtag kürzlich einen Gesetzentwurf eingebracht.

Gesundheitsministerium weist Vorwürfe zurück

Ist die Versorgung kranker Kinder noch gesichert? Auf BR-Anfrage schreibt das Gesundheitsministerium, Bayern verfüge mit 43 Krankenhäusern mit der Fachrichtung Kinder- und Jugendmedizin über ein engmaschiges Netz von Kliniken. In den vergangenen zehn Jahren habe es in Bayern keine Schließung einer gesamten Fachrichtung für Kinder- und Jugendmedizin oder Kinderchirurgie gegeben. Auch die Versorgung kranker Frühchen und Säuglinge sei flächendeckend sichergestellt.

Der Freistaat setze sich beim Bund für Verbesserungen für Pflegekräfte ein, etwa rund um das Thema Vereinbarkeit oder für eine bessere Vergütung über steuerbefreite Zuschläge. Das Ministerium verweist auch auf die eigene Kampagne "Neue Pflege", mit der junge Menschen für den Job begeistert werden sollen. Dabei würde, etwa auf Instagram, auch die Kinderkrankenpflege beworben. Man betont aber auch: Es sei vor allem an den Kliniken, attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen. Bei bezahlbarem Wohnraum und Kinderbetreuung seien die Kommunen in der Pflicht.

Geht die Kinderkrankenpflege in der neuen Ausbildung unter?

Stationsleitung Heike Flick befürchtet, dass sich der Mangel durch die neue generalistische Ausbildungsreform weiter verschärft: Die Kinderkrankenpflege nehme darin zu wenig Platz ein. Seit 2020 lernen Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpfleger den Beruf gemeinsam. Erst im dritten Jahr können sie sich entscheiden, ob sie einen besonderen Abschluss in der Kinderkrankenpflege oder Altenpflege machen – oder den generalistischen Abschluss als Pflegefachmann/frau, mit dem sie in allen Bereichen einsetzbar sind.

In Bayern fehle oft die Möglichkeit für eine Vertiefung in der Kinderkrankenpflege, kritisiert Birgit Pätzmann-Sietas vom Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland, den speziellen Berufsabschluss als Kinderkrankenpfleger zu machen sei gar nicht möglich – in Hamburg etwa sei das ganz anders.

"Bayern tut sich hinsichtlich der pflegerischen Versorgung der Kinder keinen Gefallen damit, die generalistische Ausbildung so umzusetzen." Das Wahlrecht liege immer beim Auszubildenden. Aber in Bayern würde nur für den Abschluss als Pflegefachmann/frau geworben, mit dem man in allen drei Bereichen tätig sein könne, der Pflege-Nachwuchs würde so in eine Richtung gedrängt.

Das Bayerische Gesundheitsministerium schreibt auf BR-Anfrage, zwar habe sich bislang in Bayern tatsächlich kein Auszubildender für den besonderen Abschluss entschieden. Aber auch mit dem Abschluss als Generalist sei man für die Kinderkrankenpflege gut gerüstet, wenn man sich darauf konzentriert: "Im Rahmen der generalistischen Pflegeausbildung ist eine deutliche Schwerpunktsetzung im Bereich der Pädiatrie von bis zu rund 80 Prozent der insgesamt 2.500 Praxisstunden möglich", schreibt das Ministerium.

Auswertung der neuen Ausbildung liegt noch nicht vor

Auch die Vereinigung der Pflegenden glaubt nicht, dass die Kinderkrankenpflege in der Generalistik zu kurz kommt, auch wenn sie sich einige Verbesserungen in der Ausbildung wünscht. Eine einheitliche Basisausbildung sei wichtig für die Professionalität der Branche und die pädiatrische Pflege sei in Ländern wie etwa den USA, wo es eine gemeinsame Ausbildung gibt, sehr gut.

Ruth Waldmann von der SPD hofft auf baldige Erkenntnisse, wie sich die Generalistik auswirkt. Sie findet: "Wenn die neue Ausbildung dazu führt, dass zu wenige in die Kinderkrankenpflege gehen, dann muss man das ändern." Auf eine SPD-Anfrage im Bayerischen Landtag im September dazu hieß es, für eine richtige Bewertung warte man den Abschluss der ersten Ausbildungskohorte ab.

Familie Schlegel hatte Glück

Bei Familie Schlegel hat alles geklappt. Der Eingriff bei ihrem herzkranken Sohn Ferdinand konnte planmäßig stattfinden, die Genesung läuft gut. Inzwischen stellt sich nach der Operation wieder etwas Normalität ein. "Es ist total absurd. Aber man fühlt sich fast gegenüber anderen Eltern schuldig, weil man selbst das Glück hatte, dass das Kind operiert werden konnte", sagt Vater Andreas. Die Versorgung am Herzzentrum loben die Eltern ausdrücklich.

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