Idyllische Berglandschaft im Frühling mit Blick auf den Watzmann.
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Die idyllische Berglandschaft im Frühling lässt manche Urlauber unterschätzen, wie anspruchsvoll die Watzmann-Überschreitung ist.

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Wandern im Frühsommer: So vermeiden Sie Bergunfälle

Trotz des sonnigen Wetters im Frühsommer liegt in den Höhenlagen noch Schnee. So kam es in den Alpen zu mehreren riskanten Rettungseinsätzen. Wie man sicher am Berg unterwegs ist und wie man sich bei einem Unfall verhält, erklärt ein Bergretter.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Am vergangenen Sonntag hat die Bergwacht Ramsau zwei Urlauber aus Nordrhein-Westfalen in einer spektakulären Flugaktion vom Watzmanngrat gerettet. Zwei Helikopter und 16 Bergretter waren im Einsatz. Zwei Tage später, am Dienstag, kam es wieder zu einer riskanten Rettungsaktion. Mit Seilen, Steigeisen und Skiern wurde ein Mann aus Duisburg in einer stundenlangen nächtlichen Aktion im Gebiet des Großen Geigers im Salzburger Land in Sicherheit gebracht.

Besonders auf den beliebten Touren häufen sich die Rettungseinsätze am Berg. "Wo viele Leute unterwegs sind, kommt es auch zu mehr Unfällen. Das beobachten wir bei der Bergrettung vor allem auf den Strecken, die bekannt sind und deshalb oft begangen werden", sagt BR-Alpin-Experte und ehrenamtlicher Bergretter Sebastian Nachbar.

Immer noch Schnee in Höhenlagen

Obwohl aktuell das sonnige Wetter zum Wandern einlädt, sollten sich Bergsteiger vor der geplanten Tour genau informieren. Denn ab einer Höhe von 1.800 Metern ist im Moment immer noch mit Schneefeldern zu rechnen, teilt die Wetterstation Innsbruck mit.

Da heuer der April sehr kühl und niederschlagsreich war, hat es in Lagen über 2.500 Meter noch lange und häufig geschneit. BR-Alpin-Experte Sebastian Nachbar erklärt, dass ein Einsatz im schwer einzuschätzenden Altschnee im Absturz-Gelände auch für die Bergwacht riskant sei.

Vor Aufstieg: Wetter und aktuelle Verhältnisse

Deshalb solle man sich vor dem Trip in die Berge über die aktuellen Wetterbedingungen sowie die aktuellen Verhältnisse am Berg informieren. Etwa im Internet, wo Webcams Bilder aus fast jeder Region und fast jedem Gipfel zeigen. So lassen sich die Wetterverhältnisse in fast jeder Höhenlage live verfolgen. "Außerdem haben wir Messstationen, wo es Temperaturen und Wind abzufragen gibt", sagt Nachbar.

Eine persönliche Einschätzung der Lage am Berg erhält man schnell mit einem Anruf vor Ort. Etwa bei der alpinen Auskunft, den Hütten oder der Touristeninformation. So könne man herausfinden, ob die geplante Klettertour oder der Skitourenausflug kürzlich unternommen worden ist und ob diese derzeit möglich sind. "Zu einer großen Bergtour gehört neben der richtigen Ausrüstung auch eine detaillierte Tourenplanung", meint Nachbar.

Feste Schuhe und warme Kleidung

Neben stabilem Schuhwerk mit fester Sohle rät Bergretter Sebastian Nachbar zu einem Helm in alpinen Regionen und ausreichend warmer Kleidung. "Für jede Tour gibt es beim Deutschen Alpenverein Listen, in denen aufgezählt wird, was man brauchen könnte. Anhand solcher Listen kann man sich dementsprechend vorbereiten", sagt BR-Experte Nachbar. Ein Muss für alle, die jetzt im späten Frühjahr in Bereiche über 2.000 Meter gehen, sind außerdem Stöcke und Grödeln, also leichte Steigeisen.

Besonders bei alpinen Touren sei zudem ein Erste-Hilfe-Set essenziell. Falls sich jemand verletze, könne man so selbst Erste Hilfe leisten, sagt Nachbar. Etwa mit Verbandsmaterial für Wunden oder einer Rettungsdecke, um unterkühlte Personen aufzuwärmen.

Erschöpfungssignale nicht ignorieren

Wenn die Schritte zur Qual werden, wenn man müde ist, dann stolpert man, dann macht man Fehler. Anzeichen für Erschöpfung: Man geht an einer Weggabelung weiter ohne einen Blick in die Wanderkarte, obwohl man unsicher ist.

Oder: Man ignoriert, dass das Wetter umschlägt, ein Gewitter aufzieht. Im Gebirge kann das äußerst gefährlich werden.

Im Notfall GPS-Daten zur Rettung nutzen

Falls man doch nicht mehr alleine vom Berg herunterkommt, sollte man sich erst mal hinsetzen und in Ruhe überlegen, rät Nachbar. Ein Handy kann da sehr nützlich sein - ratsam nicht nur für Alleingeher, sondern für alle Wanderer und Kletterer. 112 lautet der Notruf, der überall in den Alpen gilt. Zudem sei es wichtig, nach dem Notruf bei der Bergwacht auch erreichbar zu bleiben. Denn die Bergwacht könnte über einen Rückruf oder die Abfrage der Standort-Daten versuchen, die Wanderer zu orten.

"Smartphones haben die Möglichkeit, GPS-Daten über Google Maps oder die Kompass-App auf dem iPhone zu senden. Wenn man die GPS-Daten hat, kann man diese beim Notruf gleich mitgeben", erklärt Bergretter Nachbar.

Kooperativer Umgang mit Bergrettern

Die Reaktion auf die riskante Rettung am Watzmanngrat am vergangenen Sonntag hat die Bergwacht überrascht: Nach der Landung meckerten die Urlauber, sie seien als Patienten noch nie so schlecht behandelt worden. Sebastian Nachbar, der ehrenamtlich als Einsatzleiter bei der Bergrettung tätig ist, hat noch selten Diskussionen zwischen Bergwacht und geretteten Personen erlebt. "Die allermeisten Geretteten sind sehr dankbar, dass jemand kommt und sie aus diesem Kontrollverlust befreien kann", erzählt Nachbar.

Der Bergretter rät dazu, nicht aus falscher Scham zu lange mit einem Anruf bei der Bergwacht zu warten. Denn oftmals zögern Bergsteiger in einer misslichen Lage damit, den Notruf zu wählen, was die Lage und den Grad der Erschöpfung bei einem späteren Anruf verschlimmern kann. Es sei die Ausnahme, dass Touristen die Bergwacht als Dienstleistungsanbieter behandeln würden.

Mit kleinen Touren anfangen

Mit der Watzmann-Überschreitung haben sich die beiden Urlauber aus Nordrhein-Westfalen eine lange und hochalpine Gratüberschreitung ausgesucht, die über 2.500 Meter in die Höhe geht. "Man muss viele, viele Stunden konzentriert im ausgesetzten Gelände gehen und klettern können", sagt BR-Experte Nachbar. Offenbar hatten die beiden Wanderer die winterlichen Verhältnisse am Watzmann unterschätzt.

Entscheidend sei daher, sich vor dem Aufstieg zu fragen, ob man der geplanten Tour auch gewachsen ist. Im bayerischen Alpenraum gibt es drei Kategorien von Wanderwegen: einfach, mittelschwer und schwer. Gerade Einsteiger sollten die Klassifizierung der Wege ernst nehmen, um Gefahren zu vermeiden. Alpin-Experte Nachbar empfiehlt, sich mit kleineren Wanderungen an die großen Touren, wie die Watzmann-Überschreitung, heranzutasten.

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Dieser Artikel ist erstmals am 01.06.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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