- Zum aktuellen Artikel: Nach hitziger Debatte: Bundestag beschließt Wahlrechtsreform
Wolfgang Stefinger kümmert sich gern um seinen Wahlkreis. "Allein in der letzten Wahlperiode haben mich über 6.500 Zuschriften erreicht, mit den unterschiedlichsten Anliegen", erzählt der CSU-Abgeordnete im Bundestag. Doch sein Wahlkreis im Münchner Osten könnte bald ohne einen Abgeordneten dastehen.
Hätte man bei der letzten Wahl 2021 nämlich das neue Wahlrecht der Ampel-Parteien angewendet, wäre Wolfgang Stefinger leer ausgegangen. Obwohl er als Kandidat die meisten Stimmen im Münchner Osten bekam und direkt gewählt wurde, hätte er kein Mandat im Bundestag erhalten.
"Ich finde das schwierig", sagt Stefinger. "Gerade die direkt gewählten Abgeordneten sind in besonderer Weise in ihren Wahlkreisen unterwegs, um die Themen anzupacken."
Bundestag soll kleiner werden
Hintergrund ist die Wahlrechtsreform der Ampel-Parteien. Die wollen den Bundestag von derzeit 736 auf 630 Abgeordnete verkleinern.
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Berechnungen von BR24 und infratest dimap zeigen nun: Hätte man das neue Wahlrecht schon bei der letzten Bundestagswahl 2021 angewendet, hätte das in Bayern massive Folgen.
Insgesamt hätte der Bundestag jetzt 17 bayerische Abgeordnete weniger (CSU -7, SPD -2, Grüne -2, AfD -1, FDP -1, Linke -4). Besonders hart treffen würde es dabei die CSU. Die Partei profitiert bislang nämlich von einer Regel, nach der bis zu drei Überhangmandate nicht ausgeglichen werden müssen. Das Wahlsystem hat bislang also die CSU leicht bevorzugt. Dieser Vorteil würde mit dem neuen Wahlrecht der Ampel-Parteien entfallen.
Wegfall der Grundmandatsklausel
Ebenfalls stark treffen würde es die Linke in Bayern. Sie hätte alle vier Mandate im Freistaat verloren. Grund dafür ist der Wegfall der sogenannten Grundmandatsklausel. Diese sieht vor, dass auch Parteien in den Bundestag einziehen können, die eigentlich an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würden.
Sobald eine Partei mindestens drei Direktmandate gewinnen kann, muss sie gemäß ihrer Zweitstimmen im Parlament vertreten sein. Aktuell profitiert die Linke von dieser Regel. Sie stellt insgesamt 39 Abgeordnete - trotz eines Wahlergebnisses von 4,9 Prozent.
Nach den Plänen der Ampel wäre die Linke allerdings an der 5-Prozent-Hürde gescheitert. Auch die Münchner Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke hätte dann kein Mandat gewonnen. "Die Abschaffung der Grundmandatsklausel dient nicht dem Zweck der Mandatsbegrenzung, sondern nur dazu, sich der Linken zu entledigen", sagt Gohlke BR24. "Dass die Ampel-Parteien hier amerikanische Verhältnisse einführen, wo versucht wird, mit Wahlrechtsreformen den Gegner zu schwächen, muss bei allen die Alarmglocken schrillen lassen."
Einführung der Zweitstimmendeckung
Eine weitere Folge der Ampel-Reform zeigt sich in den Wahlkreisen. Mit dem Wahlrecht der Ampel-Parteien ist nämlich nicht mehr garantiert, dass der Wahlsieger in einem Wahlkreis auch tatsächlich in den Bundestag kommt - wie zum Beispiel bei Wolfgang Stefinger im Münchner Osten. Grund dafür ist die sogenannte "Zweitstimmendeckung", nach der ein Abgeordneter nur ins Parlament einzieht, wenn seine Partei genügend Zweitstimmen bekommt.
Die Folge: In Bayern könnte es mehrere Wahlkreise ohne direkt gewählten Abgeordneten geben. Nach Berechnungen von BR24 und infratest dimap, hätte es 2021 mit dem neuen Wahlrecht folgende sieben Wahlkreise getroffen, in denen alle die Kandidaten der CSU gewonnen hatten:
Augsburg-Stadt, München-Nord, München-West/Mitte, München-Ost, Nürnberg-Nord, Oberallgäu und Passau.
Grafik der Wahlkreise ohne Direktmandat nach den Ampelplänen
Keine Ausnahme von der 5-Prozent-Hürde mehr
Komplett verwaist wären diese Wahlkreise aber nicht. Kandidaten aus anderen Parteien, die über die Liste ins Parlament eingezogen wären, gäbe es im Parlament.
Im Extremfall könnte diese Liste der Wahlkreise in Bayern noch deutlich länger werden. Denn die Ampel-Pläne sehen nun keine Ausnahme mehr bei der Fünf-Prozent-Hürde vor. Scheitert eine Partei also bundesweit an der Fünf-Prozent-Hürde, würde sie auch keine Direktmandate erhalten.
Bei der CSU wär das denkbar. Bislang lag die Partei bei allen Bundestagswahlen zwar über fünf Prozent – 2021 aber nur noch knapp mit 5,2 Prozent. Hätte die CSU also etwa 0,3 Prozentpunkte weniger bekommen, wäre nach den Ampel-Plänen kein einziger CSU-Abgeordneter im Bundestag vertreten.

Ein einzelner Abgeordneter sitzt im Bundestagsplenum
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