Eine Polizistin kontrolliert eine Bushaltestelle (Symbolbild).
Bildrechte: BR/Meike Föckersperger

Ein Mann mit indischen Wurzeln fühlte sich ungerecht behandelt und erstattete Anzeige. Nun sitzt er selbst auf der Anklagebank.

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Vom Opfer zum Täter – Beratungsstelle erkennt Muster

Nach einer Polizeikontrolle am Münchner Stachus hatte ein Mann Anzeige wegen Körperverletzung erstattet. Das Verfahren wurde eingestellt und stattdessen Anklage gegen den Mann erhoben. Eine Beratungsstelle für Opfer von Rassismus erkennt ein Muster.

Weil er sich von der Münchner Polizei ungerecht behandelt fühlt und rassistische Hintergründe vermutet, hat ein 44-jähriger Computeringenieur Anzeige wegen Körperverletzung erstattet. Das Verfahren wurde eingestellt. Stattdessen sitzt der Mann nun beim Amtsgericht München selbst auf der Anklagebank. Die Beratungsstelle "Before", die sich um Opfer von Rassismus und Diskriminierung kümmert, sieht hier ein Muster.

Mann mit indischen Wurzeln: Gewöhnt an häufige Kontrollen

Der 44-jährige Computeringenieur mit indischen Wurzeln hat eine dunkle Hautfarbe. Er sei es gewöhnt, kontrolliert zu werden, sagt er. Das gehe ihm zum Beispiel immer so, wenn er den Flughafen betrete. Doch was er an jenem Abend im November 2020 erlebte, habe ihn schockiert. Damals wurde er im Stachus-Untergeschoss von Beamten angesprochen, weil er seine Corona-Maske unter dem Kinn und nicht über Mund und Nase trug, wie es damals noch vorgeschrieben war.

Zu dem, was dann passiert ist, gibt es unterschiedliche Darstellungen: Die Polizei sagt, der Mann habe seinen Personalausweis nicht herzeigen wollen und sollte deshalb durchsucht werden. Er habe die "Kooperation verweigert", sei aggressiv geworden und habe erheblichen Widerstand geleistet. Man habe ihn "zu Boden bringen" müssen. Bei dem Gerangel sei ein Beamter an der Lippe getroffen worden, ein anderer habe Schürfwunden neben dem Auge und einen tiefen Kratzer auf der Stirn erlitten.

8.000 Euro wegen Körperverletzung und Widerstand gegen Polizei

So steht es auch im Strafbefehl, den der Computeringenieur vom Amtsgericht München bekam. Wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sollte er 8.000 Euro bezahlen – errechnet auf Basis von 120 Tagessätzen. Damit wäre der Mann vorbestraft gewesen. Doch nicht nur deshalb hat er Einspruch eingelegt: Er fühlte sich ungerecht behandelt und zu Unrecht beschuldigt.

Es kam zum Prozess, und dort schilderte der 44-Jährige seine Sicht der Dinge: Er habe etwas essen wollen und die Box mit dem Imbiss bereits in der Hand gehabt, sagt er. Weil seine Frau am nächsten Tag wegfliegen wollte, hätten sie noch eilig letzte Besorgungen erledigt und – wie auch andere – "im Gehen gegessen". Als er von der Polizei erfahren habe, dass das nicht erlaubt sei, habe er sich durchaus einsichtig gezeigt.

Mann berichtet: Polizist habe sich auf seinen Nacken gesetzt

Er berichtet, wie er beharrlich nachgefragt habe, warum er trotzdem seinen Ausweis herzeigen solle, und was ihm denn nun genau vorgeworfen werde. Er habe aber "keinerlei Aggression" gezeigt, versicherte er der Richterin. Die Beamten hätten ihn dagegen am Ellbogen gepackt und ihm die Arme auf den Rücken gedreht, er sei schließlich zu Boden gefallen. Ein Polizist habe sich dann in dem Handgemenge auf seinen Nacken gesetzt: "Ich konnte nicht atmen." Er habe "einen Ruck" gemacht. Wegen eines Schlags mit der Hand eines Polizisten auf seinen Hinterkopf sei er dann mit der Stirn auf den Boden geschlagen und habe geblutet.

Polizeibeamte sehen Auslöser im Verhalten des Angeklagten

Warum er seinen Ausweis nicht einfach herzeigt habe, wollen die Richterin und die Staatsanwältin wissen. Er habe zunächst nicht gewusst, wessen er beschuldigt werde und worum es eigentlich gegangen sei, antwortet er. Dann habe er seinen Ausweis herausholen wollen, doch da hätten ihn die Beamten bereits gepackt. Er verstehe nicht, wie alles so eskalieren konnte.

  • Zum Artikel: "Antidiskriminierungsbericht: Benachteiligung hat viele Gesichter"

Die Polizeibeamten, die als Zeugen geladen sind, sprechen von einem "hektischen" und "dynamischen" Geschehen. Den Auslöser sehen sie im Verhalten des Angeklagten.

Beratungsstelle erkennt ein Muster

Die Münchner Beratungsstelle "Before" sieht hier durchaus ein Muster: "Von Rassismus betroffene Menschen werden in Polizeikontrollen (…) oft schroff, herablassend und aggressiv behandelt." Ihnen selbst werde schnell Aggressivität und Gefährlichkeit unterstellt. Wenn die Polizei durch ein überhartes Eingreifen die Situation schließlich eskalieren lasse, begründe sie es hinterher mit dem eigenen Schutz und die Betroffenen würden beschuldigt, so "Before".

Polizei: "Maßnahmen nicht auf Grundlage von Herkunft"

Die Polizei weist die Kritik von „Before“ unterdessen zurück: „Die Münchner Polizistinnen und Polizisten treffen ihre Maßnahmen auf Grundlage geltender Gesetze, Regularien und Erkenntnisse und ausdrücklich nicht auf Grundlage der Herkunft, des Geschlechts, des Alters, der Religion, der sexuellen Orientierung oder auch der politischen Gesinnung“, betont Sprecher Andreas Franken. Natürlich treffe die Polizei aber auch Maßnahmen, mit denen die Betroffenen nicht immer einverstanden sein. „Auch in diesen Fällen gehen wir professionell vor und versuchen durch Kommunikation Verständnis und Transparenz zu schaffen“, versichert Franken: „Gleichzeitig treffen wir konsequent Entscheidungen und müssen diese auch nötigenfalls im gesetzlichen Rahmen mit Zwangsmitteln durchsetzen.“

Bitte um Hinweise bei vermeintlichem Fehlverhalten

Der Sprecher betont auch, wie wichtig der Polizei „Vertrauen und Verständnis in allen Bevölkerungsschichten“ und die Wahrnehmung als „bürgernah, rechtsstaatlich und professionell“ sei. Andreas Franken: „Sollten Menschen beim Kontakt mit der Münchner Polizei einen anderen Eindruck vom polizeilichen Einschreiten haben, bitten wir darum, dass uns dies mitgeteilt wird, um Maßnahmen erklären oder auch im Sinne einer positiven Fehlerkultur gegebenenfalls korrigieren zu können, wenn etwas nicht korrekt gelaufen ist.“

"Before": Ohnmacht und materieller Schaden für Betroffene

Aber nicht nur gegen die Polizei richtet sich die Kritik der Beratungsstelle "Before": Anzeigen gegen Polizeibeamte werden nach den Erfahrungen der Beratungsstelle fast immer schnell und folgenlos eingestellt. Stattdessen fänden sich oft die Betroffenen auf der Anklagebank wieder und seien den Behörden ausgeliefert, "die sie eigentlich schützen und fair behandeln sollten", so die Kritik: "Am Ende dieser Fälle steht für die Betroffenen oft ein großer materieller Schaden durch Strafen und Anwaltskosten, eine schmerzhafte Ohnmacht und das Gefühl keine Gerechtigkeit durch Behörden und Justiz zu erfahren."

Auch der 44-jährige Computeringenieur empfindet den Prozess als große Belastung. Das Ergebnis sieht er allenfalls als Teilerfolg. Das Verfahren gegen ihn wurde am Ende eingestellt – unter der Auflage, dass er 2.400 Euro an eine gemeinnützige Organisation zahlt.

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