Apothekerin holt Arzneimittel aus einem Regal mit verschiedenen Medikamenten-Packungen.
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Apotheker klagen über Engpässe bei Arzneimitteln

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Viele Medikamente werden knapp: Apotheken beklagen Engpässe

Ob Paracetamol- und Ibuprofensäfte, Augentropfen, Asthmasprays oder Blutdrucksenker - bayerische Apothekerinnen und Apotheker haben derzeit wieder verstärkt mit Lieferengpässen zu kämpfen. Das sind die Hintergründe.

Rund 100 Präparate sind derzeit nicht zu bekommen, berichtet Margit Schlenk von der Moritz-Apotheke in Nürnberg. So schlimm wie jetzt sei es noch nie gewesen, sagt die Apothekerin.

Durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg hat sich die Nachfrage laut des Bayerischen Apothekerverbands zum Beispiel bei Schmerz- und Narkosemitteln erhöht. Probleme bei der Lieferung von Arzneimitteln sind dem Verband zufolge aber kein ganz neues Problem. Bei einer Umfrage hätten rund zwei Drittel der selbstständigen Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland Lieferengpässe als eines der größten Ärgernisse im Berufsalltag angegeben. Ein Wert, der schon seit Jahren hoch sei, so Thomas Metz vom Bayerischen Apothekerverband.

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Apotheken-Angestellte: "Jedes vierte Arzneimittel fehlt"

Mianusch Nercissian arbeitet in der Apotheke am Kaulbachplatz in Nürnberg, derzeit fehle jedes vierte Arzneimittel, berichtet sie. Nercissian kümmert sich in der Apotheke um die Bestellung der Medikamente. Mit ihrem Chef zusammen haben sie und das Team schon überlegt, bestimmte Medikamente wie Schmerzmittel oder Antibiotika schon für den kommenden Winter vorzubestellen, da sich die Situation wohl nicht verbessern werde.

Margit Schlenk von der Moritz-Apotheke kennt diese Problematik, deshalb ist sie dazu übergegangen, etwa Paracetamolsäfte für Kinder selbst herzustellen. Auch sonst versuche sie nach Lösungen zu suchen, wo es geht.

"Welchen Ersatzwirkstoff gibt es? Kann ich verschiedene Stärken so kombinieren, dass das Puzzle wieder passt, damit ich die Zielstärke wiederbekomme? Wir sind in der Apothekerschaft deutschlandweit sehr gut vernetzt und helfen uns gegenseitig, falls jemand noch was auf Lager hat." Margit Schlenk, Apothekerin Moritz-Apotheke Nürnberg

Apothekerverband: Problematik schon seit mehr als zehn Jahren

Das Problem von Lieferengpässen bei Arzneimitteln gibt es schon seit zehn bis zwölf Jahren, so Thomas Metz vom Bayerischen Apothekerverband in München. Ein Hauptproblem bestehe darin, dass die meisten Medikament außerhalb Europas produziert werden, zum Beispiel in Indien oder China, und man deshalb keine direkte Kontrolle mehr bei der Herstellung habe.

Dass es nun immer wieder zu Lieferproblemen bestimmter Medikamente kommt, dafür gebe es verschiedene Gründe. Vor ein paar Jahren gab es zum Beispiel Verunreinigungen bei gewissen Blutdrucksenkern, so Metz. Auch Zulassungsprotokolle, die nicht den deutschen und europäischen Richtlinien entsprochen haben, führten schon zu Lieferengpässen. Während der Corona-Pandemie hätten Länder wie Indien zum Beispiel auch bestimmte Medikamente nicht mehr ausgeliefert, da sie diese für ihr eigenes Land benötigt hätten, so der Verbandssprecher.

"Man darf nie vergessen, Deutschland ist kein Hochpreis-Land mehr. Pharmafirmen, Produzenten und Hersteller suchen sich Märkte, die für sie lukrativer sind, wo sie mehr verdienen." Thomas Metz, Sprecher Bayerischer Apothekerverband

Verband: Produktion zurück nach Europa zu verlagern

Es sei besser, die Produktion von Medikamenten wieder zurück nach Europa zu verlagern, so Thomas Metz. Dann sei man weniger von willkürlichen Produktions- und Lieferstopps betroffen. In den Fabriken sollte dann auch nach europäischen Standards zum Beispiel beim Umwelt- und Arbeitsschutz beachtet werden. Das sei in den bisherigen Herstellungsländern in Indien oder China oft nicht der Fall. Doch ganz einfach sei eine Rückverlagerung nach Europa auch nicht.

Nach Meinung von Experten würde es Jahre dauern, bis man wieder eine nennenswerte Produktion in Europa haben könne. Es sei auch eine Kostenfrage, so Metz. Die Frage, was sei es uns wert, nach europäischen Standards Medikamente wieder hier herzustellen, müsse gestellt werden.

Kostendruck im Gesundheitswesen

Für Mianusch Nercissian von der Apotheke am Kaulbachplatz in Nürnberg ist klar: Die Probleme bei der Lieferung bestimmter Medikamente hängen auch mit dem Kostendruck im Gesundheitswesen zusammen. Die Krankenkassen würden sogenannte Rabatt-Verträge mit Herstellern abschließen. Wer das Medikament besonders günstig produziere, der bekomme auch den Zuschlag durch die Krankenkasse.

Zu solch günstigen Konditionen könne man in Deutschland allerdings kein Medikament herstellen, deshalb sei die Produktion auch ins Ausland ausgelagert worden. Wenn es dann noch zu Problemen in der Logistik kommt, wie während Corona, stehen die Apotheken schnell vor Versorgungsschwierigkeiten.

Zum Artikel "Medikamentenherstellung - Neue Ideen für die schnelle Produktion"

Kundin in einer Apotheke
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Rund 100 verschiedene Medikamente sind derzeit kaum zu bekommen, berichtet Margit Schlenk, Apothekerin in Nürnberg.

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