Verkehrsprojekt der Zukunft: Eine Hochbahn über den Straßen.
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Verkehrsprojekt der Zukunft: Eine Hochbahn über den Straßen. Bei Taufkirchen entsteht die Teststrecke für eine neuartige Gondelbahn.

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Verkehrswende nur mit Verzicht auf Privatautos machbar?

Bis zum Jahr 2040 will Bayern klimaneutral sein. Ein Baustein dafür ist die Verkehrswende: Laut Umweltbundesamt entsteht ein Fünftel der deutschen CO2-Emissionen im Straßenverkehr. Mobilitätsforscher denken deswegen an das Ende der Privatautos.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Verkehrsforscher Harald Kipke von der Technischen Hochschule Nürnberg glaubt an eine Welt ohne private Pkw. Zwar werde es einige Zeit dauern und große Anstrengungen benötigen, aber irgendwann werde das Privatauto nur noch ein Relikt sein, ist er überzeugt.

"Stellen sie mal vor 150 Jahren die Frage: Glauben Sie, dass die Kutsche verschwinden wird? […] In dem Sinne kann ich mir durchaus auch eine Zukunft ohne Privat-Pkw vorstellen." Harald Kipke, Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm.

So viel CO2-Emissionen entstehen durch Privatautos

Wenn es um die Mobilität der Zukunft geht, blickt der Verkehrsforscher vor allem auf die CO2-Bilanz. Momentan würden die Menschen in Deutschland 70 bis 80 Prozent der Kilometer, die sie zurücklegen, mit dem Auto fahren. Vor allem angesichts des Klimawandels müsse sich da sehr viel ändern. Die private Pkw-Mobilität müsse deutlich zurückgehen, so Kipke. Hinzu komme, dass der CO2-Ausstoß von Autos nicht bei den rund 20 Prozent aufhöre, die der Straßenverkehr zum deutschen Klima-Fußabdruck beiträgt. Schließlich müssten Autos auch produziert werden, was wiederum Energie verschlinge. Diese Emissionen würden für gewöhnlich aber der Industrie zugerechnet.

So könnte die Verkehrswende auf dem Land aussehen

Für Kipke bedeutet die Verkehrswende nicht nur, in der Stadt das Auto stehen zu lassen und mit dem Rad zu fahren. Da der öffentliche Nahverkehr in Städten wie München, Augsburg oder Nürnberg aber bereits sehr gut laufe, betrachtet der Mobilitätsforscher vor allem den ländlichen Raum. Dessen Bewohner seien aufgrund eines ungenügenden ÖPNV derzeit schlicht auf ein Auto angewiesen. Da das Schienennetz in Deutschland in den vergangenen Jahren kaum ausgebaut wurde, Straßen aber überall vorhanden sind, schwebt Kipke für ländliche Regionen ein System von eng getakteten Schnellbuslinien vor, die im Gegensatz zu heute nicht sämtliche kleine Dörfer anfahren, sondern möglichst zügig die Ballungszentren oder größeren Bahnhöfe ansteuern.

Da auch kleine Orte nur selten weit von den "großen Straßen" entfernt liegen, könnten die Menschen den Weg bis zur nächsten Haltestelle nach Ansicht des Wissenschaftlers zu Fuß, mit dem Rad oder mit einem von der Gemeinde organisierten Kleinbus erreichen. Wenn das Angebot stimme, wären die Menschen auch dazu bereit, so Kipke. Das zeigten die Erfahrungen mit dem Schienenverkehr. Für ein Gebiet in der Oberpfalz hat der Forscher seine Idee skizziert:

Im Video: Busanbindung an Freystadt

Schema für Schnellbuslinien bei Freystadt in der Oberpfalz
Bildrechte: Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, Grafik: BR
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In dieser Region der Oberpfalz könnten vier Schnellbuslinien die meisten Orte an Freystadt anbinden und weiter nach Roth und Neumarkt führen.

Im Rahmen eines Fachartikels hat der Wissenschaftler den Energiebedarf seines Schnellbus-Systems für ganz Deutschland ausgerechnet – vom Energiebedarf lässt sich auch auf den erwartbaren CO2-Ausstoß schließen.

Dabei geht Kipke von einem 30-Minuten-Takt für die Buslinien aus, zu den Stoßzeiten am Morgen und Nachmittag von einem 15-Minuten-Takt und in der Nacht von einem 60-Minuten-Takt. Insgesamt kommt er dabei auf einen zusätzlichen Energieverbrauch von gut 70 Petajoule im Jahr. Das entspricht in etwa dem derzeitigen Energieverbrauch sämtlicher Busfahrten sowie des gesamten schienengebundenen Personenverkehrs in Deutschland (Bezugsjahr 2016).

Um diese Energie zu erzeugen, müssten etwa zwei mittlere Atomkraftwerke oder 400 große Windkraftanlagen jeweils ein ganzes Jahr lang ununterbrochen laufen. Zum Vergleich: Der Energieverbrauch des motorisierten Individualverkehrs, also von Pkws und Motorrädern, beträgt im Jahr mehr als 1.500 Petajoule.

Landkreis Forchheim plant Integralen Taktverkehr

Aktuell plant der Landkreis Forchheim einen solchen sogenannten Integralen Taktverkehr. Auf den Hauptlinien sollen dort große Linienbusse fahren, denn damit müsse auch der Schülerverkehr abgedeckt werden, sagte Landrat Hermann Ulm (CSU) BR24. Auf den Zubringerlinien könnten dann auch Kleinbusse eingesetzt werden. Bis in die letzten kleinen Dörfer soll die Fläche dann über Kooperationen mit Taxiunternehmen abgedeckt werden. Bis das System aber wirklich komplett steht, würden etliche Jahre vergehen, so Ulm. Beginnen soll der Integrale Taktverkehr zunächst im Stadtgebiet von Forchheim.

Landkreis Neustadt an der Aisch/Bad Windsheim setzt auf Rufbusse

Ein solches System hatte auch der Landkreis Neustadt an der Aisch/Bad Windsheim erwogen. Dort wurden die Kreisräte aber von den hohen Kosten für ein engmaschiges Busangebot abgeschreckt, sagte Martin Hundertschuh, stellvertretender Sachgebietsleiter für den ÖPNV im Landratsamt, gegenüber BR24.

Deswegen ist dort seit beinahe zwei Jahren das sogenannte NEAmobil unterwegs – das sind derzeit sechs Kleinbusse, die Einwohner des Landkreises im Bedarfsfall vor der eigenen Haustür abholen und zu einer von insgesamt rund 600 Haltestellen im Landkreis befördern. Bestellt werden kann per App oder Anruf, spätestens eine Stunde später steht der Bus dann am ausgemachten Treffpunkt. So ein flexibles Angebot sei im Flächenlandkreis günstiger als ein eng getakteter Busfahrplan, so Hundertschuh. Es würde aber ebenfalls den Zweck erfüllen, die Menschen von weiter entfernten Dörfern an den Hauptort sowie an Neustadt an der Aisch und Bad Windsheim anzubinden.

Herausforderungen des ÖPNV auf dem Land

Mit den hohen Kosten für einen guten Nahverkehr im ländlichen Raum argumentiert auch Klaus Bogenberger, der an der Technischen Universität München unter anderem zur Verkehrssteuerung forscht.

"Im ländlichen Raum ist es heute aufgrund der Kostenstruktur kaum möglich, qualitativ hochwertigen ÖV anzubieten. Warum? Nicht, weil man keine Lust hat oder das nicht will, sondern es sind die Kosten." Klaus Bogenberger, Technische Universität München

Beim Betrieb des öffentlichen Nahverkehrs sei der größte Kostenfaktor aktuell das Personal – also vor allem die Fahrer von Bussen, Straßenbahnen und Zügen. Der Mobilitätsforscher setzt deswegen große Hoffnungen in die Automation. Autonome Fahrzeuge würden nicht nur enorm Kosten einsparen, sondern wären auch zuverlässiger, ist Bogenberger überzeugt. Zudem fehlten in ganz Deutschland aktuell bis zu 90.000 Busfahrer – ein zusätzliches Problem, wenn der öffentliche Verkehr ausgebaut werden soll.

Bedarfsverkehr steht bei Verkehrsplanern hoch im Kurs

Mobilitätsforscher Bogenberger geht allerdings nicht davon aus, dass in Zukunft jeder Mensch ein autonomes Auto besitzen wird. Er glaubt vielmehr an ein umfassendes On-Demand-Angebot: Die Menschen könnten sich dann einfach von einem computergesteuerten Fahrzeug zu Hause abholen und zu ihrem Ziel bringen lassen.

Auf den Bedarfsverkehr setzen aktuell auch andere Verkehrsplaner, etwa beim Nürnberger Verkehrsverbund VGN, große Hoffnungen. Als Bezahlung kann sich Bogenberger ein Abo-Modell vorstellen und vergleicht das mit dem Musikdienst Spotify: Heutzutage würde kaum noch jemand Schallplatten oder CDs kaufen, sondern seine Musik einfach abonnieren. So könnte in Zukunft auch die Mobilität aussehen.

Kosten auch bei Integralem Taktverkehr beachtlich

Die auf den ersten Blick enormen Kosten für seine Idee eines Schnellbussystems sieht auch der Nürnberger Mobilitätsforscher Kipke: Sollte in ganz Deutschland ein Integraler Taktverkehr umgesetzt werden, bedeute das für jeden Bürger eine Mehrbelastung von bis zu 500 Euro im Jahr – wobei 80 Prozent der Kosten auf das Fahrpersonal entfallen. Dem stellt der Wissenschaftler allerdings eine Einsparung von rund 2.100 Euro pro Jahr entgegen, sollte auf die Anschaffung eines Neufahrzeugs verzichtet werden.

Bedarfsverkehr bringt neue Probleme

Von einem flächendeckenden Bedarfsverkehr ist Kipke aus anderen Gründen nicht überzeugt: Statt mit dem eigenen Auto wären die Menschen dann schlicht in anderen kleinen Fahrzeugen unterwegs. Auch aufgrund der dann nötigen Leerfahrten, um Fahrgäste abzuholen, würde das weder die Straßen entlasten noch merklich die CO2-Bilanz im Verkehrssektor verbessern.

Neue Wege im ÖPNV: Politische Voraussetzungen fehlen

Wie die Mobilität der Zukunft wirklich aussehen wird, ist aktuell noch absolut unklar. Sowohl für ein flächendeckendes System von Schnellbussen inklusive Haltestellen und Zubringerfahrzeugen als auch für riesige Flotten autonomer Robotertaxis fehlen aktuell die politischen Voraussetzungen. Nicht zuletzt wird es auch an den Menschen liegen, welches System sich durchsetzt.

In einem Punkt sind sich die Forscher aus Nürnberg und München aber einig: Das Privatauto werde zwar auf dem Land noch viele Jahre eine Rolle spielen – diese Rolle wird aber kleiner werden. Es existiere ein Trend weg vom Besitzen der Dinge zum Teilen, sagt Bogenberger. Dieser Trend werde sich aus den Städten hinaus auch auf das Land übertragen.

Eine Zukunft ohne Privatauto ist vor allem in ländlichen Regionen kaum vorstellbar.
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Mobilitätsforscher diskutieren, wie die Mobilität der Zukunft aussehen könnte.

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