Problem häusliche Pflege
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Stiller Protest: Mit Zitaten von pflegenden Angehörigen macht der VdK bei seiner Aktion in Nürnberg auf deren Belastungen aufmerksam.

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VdK fordert mehr Geld und Hilfen für pflegende Angehörige

Rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause von ihren Angehörigen betreut. Diese haben weder Zeit noch Kraft, um für bessere Bedingungen zu demonstrieren. Doch die sind dringend notwendig. Der Sozialverband VdK fordert mehr Geld und Hilfen.

Die pflegenden Angehörigen sind der größte Pflegedienst des Landes. Das sagt Bayerns VdK-Vize Hermann Imhof zum Auftakt der Aktion "Nächstenpflege" in Nürnberg. Vor der Lorenzkirche stehen rund 250 Pappschilder in der Fußgängerzone. Auf ihnen: Zitate von Menschen in der häuslichen Pflege. "Lass die Pflegenden nicht allein, es könnten Deine Eltern sein", "Ausgebrannt, wie lange halten Pflegende noch durch?", "Pflege geht nur, wenn die Pflegenden nicht vergessen werden", "Wer hilft mir durch den Aktenwahnsinn?" sind nur einige der Plakate. Sie geben den Betroffenen eine Stimme. Denn viele drohen an den Aufgaben zu zerbrechen, wenn sich die Bedingungen nicht verbessern.

Pflege bestimmt Leben einer ganzen Familie

Wie belastend häusliche Pflege ist, zeigt das Beispiel der Familie Hertzsch aus Bubenreuth im Landkreis Erlangen-Höchstadt. Christoph Hertzsch liegt im Pflegebett in seinem früheren Jugendzimmer. Er wird beatmet und künstlich ernährt. Sprechen kann der 37-Jährige schon länger nicht mehr. In seiner Jugend hat er Fußball gespielt und ist Motorrad gefahren. Heute kann er gerade einmal noch seine Finger etwas bewegen. Vor elf Jahren bekam er die Diagnose, dass an er an "Kongenitale Myasthenie" erkrankt ist.

Muskelschwund: Junger Mann wird Pflegefall

"Das ist ein fortlaufender Muskelschwund. Zuerst betraf es die Arme, er konnte keine Flasche mehr öffnen. Dann die Beine, er konnte keine Treppen mehr steigen. Und so hat sich das fortgesetzt", erzählt seine Mutter Gisela. In den ersten Jahren nach dem Ausbruch der Krankheit konnte Christoph Hertzsch noch arbeiten. Doch es wurde immer schlimmer. Schließlich war er ein Pflegefall.

Vater und Mutter pflegen Vollzeit

Ins Haus wurde ein Treppenlift eingebaut und das Bad behindertengerecht umgestaltet. Die Familie übernahm die Pflege: Anziehen, Waschen, Toilette. Bis ins Jahr 2018 haben Vater und Mutter ihren Sohn gemeinsam gepflegt. "Als mein Mann in diesem Jahr gestorben war, war ich in der Situation, es nicht mehr schaffen zu können."

Verzweifelte Suche nach Hilfen

Ohne die Hilfe der Familie wäre sie nach dem Tod ihres Mannes an dieser Aufgabe zerbrochen, sagt die 73-Jährige heute. Ihre beiden Töchter haben Gisela Hertzsch bei der Pflege unterstützt. Eine Auszeit, bei der sie auch selbst mal wieder Kraft schöpfen könnte, hat sie sich bisher noch nicht nehmen können. "Das wäre ganz wichtig, dass man eine Anlaufstelle hat, wo man sagt, ich habe jetzt das und das Problem, wer bitte kann mir weiterhelfen."

Noch immer fehlen Pflegestützpunkte

Solche Anlaufstellen können Pflegestützpunkte sein, die der Sozialverband VdK in jedem Landkreis und in jeder Stadt in Bayern fordert, sagt Verbands-Vize Imhof. Eine weitere Forderung ist, Angebote wie Kurzzeitpflege oder Tagespflege schnell und flächendeckend auszubauen. Denn diese könnten Angehörigen bei der Pflege etwas Luft verschaffen, weil auch sie sich selbst einmal eine Auszeit nehmen können.

Gisela Hertzsch hat nach langem Suchen eine Firma für die Intensivpflege gefunden. Abwechselnd kümmern sich jetzt vier Pfleger rund um die Uhr um ihren Sohn. Von der schweren körperlichen Pflegearbeit ist sie etwas entlastet. Obwohl sie bei Toilettengängen doch immer noch mit anpacken muss. Aber sie kann sich auch um andere Dinge kümmern: "Ich mache Christoph gerne frischen Kaffee. Dann kann er wenigstens den Duft schnuppern, auch wenn er ihn wegen seiner künstlichen Ernährung nicht mehr trinken kann."

Lieber in den Tod als ins Heim

Die Kosten für die 24-Stunden-Pflege sind hoch. Bisher hat sie die Kasse übernommen. In diesem Jahr laufen die Verhandlungen noch. Dass ihr Sohn künftig in einem Pflegeheim untergebracht und versorgt wird, ist für Gisela Hertzsch keine Lösung. "Das wäre Christophs Ende. Er hat gesagt, er geht in kein Heim. Dann wüsste ich genau, was er will. War früher nur im Ausland möglich, ist jetzt heute hier auch möglich. Aber davor habe ich panische Angst, muss ich ganz ehrlich sagen."

VdK fordert ein Pflegegeld

Für VdK-Vize Imhof zeigt der Fall der Familie Hertzsch exemplarisch, dass pflegende Angehörige nicht alleine gelassen werden dürfen. Und sie müssen finanzielle Hilfe vom Staat bekommen. "Wir bräuchten in der Pflege, ähnlich wie das Familiengeld im Erziehungsurlaub, eine dauerhafte finanzielle Unterstützung der Pflegenden", sagt Imhof. Diese könnte zeitlich auf sechs oder zwölf Monate befristet sein, anders wäre sie nicht zu finanzieren, rechnet der VdK-Vize vor. "Damit könnte die Arbeit, die die pflegenden Angehörigen leisten, besser wertgeschätzt werden." Auch Bayerns Gesundheitsminister Holetschek (CSU) will mehr Geld für pflegende Angehörige.

Angebote zur Entlastung fehlen

Geld ist das eine. Aber wer zu Hause pflegt, kann nicht arbeiten gehen. Und das wirkt sich später einmal auf die Höhe der Rente aus. Deshalb fordert der VdK, dass die häusliche Pflege bei der Berechnung der Rente besser berücksichtigt werden müsse. Außerdem fordert der VdK, dass Angebote wie Kurzzeitpflege oder Tagespflege schnell und flächendeckend im ganzen Freistaat ausgebaut werden. Denn diese könnten Angehörigen bei der Pflege etwas Luft verschaffen, weil auch sie sich einmal eine Auszeit nehmen können. So, wie das die Betroffenen auch auf den Plakaten der Pflege-Demo in der Fußgängerzone formuliert haben.

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