Die Ukraine soll Patriot-Luftabwehrsysteme aus US-Beständen erhalten - Details werden bei einem Staatsbesuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj bei US-Präsident Joe Biden geklärt. Amerikanische Medien hatten bereits im Vorfeld berichtet, dass die Ausbildung an den Waffensystemen auf dem US-Truppenübungsplatz Grafenwöhr in der Oberpfalz stattfinden soll. Ein Sprecher des US-Militärs ließ die Meldungen auf BR-Anfrage unbestätigt. Seiner Auskunft zufolge soll die Ausbildung in einem "unbekannten Drittland" stattfinden – also weder in den USA noch in der Ukraine.
Für die Richtigkeit der Meldungen spricht allerdings, dass der Übungsplatz Grafenwöhr bereits jetzt für die Ausbildung von ukrainischen Soldaten genutzt wird. Die Abläufe dürften also eingespielt sein. Laut dem Armeesprecher wurden dort seit April mehr als 3.100 ukrainische Soldaten an militärischem Gerät unterwiesen.
Scharfer Schuss in Grafenwöhr unwahrscheinlich
Dennoch scheint ein scharfer Schuss mit dem Waffensystem Patriot in Grafenwöhr unwahrscheinlich zu sein. NATO-Truppen nutzen dafür in Europa nur einen einzigen Übungsplatz. Der liegt auf der griechischen Insel Kreta. Zu Übungszwecken wird dort etwa auf Drohnen geschossen. Sie simulieren die Ziele, fliegen dabei allerdings über dem Meer und nicht über besiedelten Landstrichen.
Der Übungsplatz in Grafenwöhr hingegen ist beispielsweise für Übungen mit Handwaffen, Panzern, Artillerie oder Hubschraubern ausgelegt, bei denen Ziele auf dem Boden bekämpft werden sollen. Die Schießbahnen des Platzes sind so ausgerichtet, dass immer ins Innere des Gebiets geschossen wird. Das Übungsgeschehen wird laufend überwacht und einzelne Übungen werden aufeinander abgestimmt, um das Betreten von Gefahrenbereichen zu verhindern. In der Mitte des Trainingsareals befinden sich große Zielgebiete, die "Impact-Areas". Diese werden unter anderem für Artillerieübungen genutzt. Die Schießbahnen sind rings herum angeordnet.
Patriot-System - mehrmonatige Ausbildung nötig
Das Patriot-Luftabwehrsystem nutzt auch die deutsche Bundeswehr. Es kann unter anderem gegen anfliegende Flugzeuge, Raketen oder Marschflugkörper eingesetzt werden. Bundeswehrangaben zufolge kann es bis zu fünf Ziele gleichzeitig bekämpfen.
Das System wird seit den Achtzigerjahren genutzt, wurde seitdem aber modernisiert. Es besteht aus mehreren Komponenten, die auf Fahrzeugen transportiert werden können. Dazu zählen ein Radar sowie ein Feuerleitstand und mehrere Startgeräte für die eigentlichen Raketen. In der Bundeswehr dauert die Ausbildung an diesem System mehrere Monate.
Früherer NATO-General: "Intensivkurs kann erfolgreich sein"
Eine intensivierte Ausbildung der ukrainischen Soldaten durch US-Militärs hält der deutsche General im Ruhestand und frühere NATO-Kommandeur Hans-Lothar Domröse allerdings für denkbar. Dem Bayerischen Rundfunk sagte er, sofern gute Ausbilder und entsprechende Systeme zur Verfügung stünden, könne auch ein "Intensivkurs" erfolgreich sein: "Die Soldaten, die hier ausgebildet werden könnten, kommen aus dem Krieg und gehen in den Krieg. Teils kämpfen sie seit acht Jahren für ihr Land. Ihnen sind Themen wie Luftverteidigung nicht fremd und es ist zu erwarten, dass sie die Lage sehr ernst nehmen."
Ein scharfer Schuss mit dem System sei dabei nicht zentral, sagte Hans-Lothar Domröse. Auch an Simulatoren ließe sich gute Ausbildung sicherstellen. Ohnehin hätten es insbesondere die Amerikaner stets verstanden, ihre Ausbildungen "mit viel Geld und Kreativität" sehr schnell an Lageveränderungen anzupassen.
Patriot-System zum Schutz der Ukraine
Für die Ukraine könne das Waffensystem eine gute Ergänzung zu den bisherigen Luftabwehrsystemen darstellen – also etwa dem deutschen Flugabwehrpanzer Gepard oder dem ebenfalls von der Bundesrepublik gelieferten System "Iris T" des Herstellers Diehl Defence. Insgesamt ergebe sich so ein wirksamer Schutzschirm, sagte Domröse. Er betonte, es handle sich um Waffensysteme, die dem Schutz der ukrainischen Bevölkerung sowie dem Schutz kritischer Infrastruktur vor russischen Angriffen dienten.
Grafenwöhr - bedeutender Übungsplatz
Unabhängig von der zu erwarteten Ausbildung an den Luftabwehrsystemen hat sich in den letzten Monaten gezeigt, wie bedeutsam die beiden großen bayerischen US-Übungsplätze in Grafenwöhr und Hohenfels für US-Truppen sind. Während in Grafenwöhr Übungen abgehalten werden können, bei denen scharf geschossen wird, finden in Hohenfels auf rund 160 Quadratkilometern Fläche unter anderem größere Manöver statt. Dabei kommt moderne Technik zum Einsatz, mit deren Hilfe sich Schüsse simulieren lassen. Genutzt werden die Übungsplätze auch von anderen NATO-Armeen, darunter der Bundeswehr.
Einrichtungen wie diese zeugen nach Einschätzung des Verteidigungs- und Sicherheitspolitikexperten Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik davon, dass Deutschland eine bedeutende Drehscheibe für die USA ist, um ihre Truppen weltweit verlegen zu können. Allein aufgrund ihrer geografischen Lage in Europa habe die Bundesrepublik in diesem Zusammenhang auch weiterhin eine große Bedeutung für die USA, sagte Kaim im Gespräch mit dem BR: "Die Logistik ist seit Jahrzehnten eingespielt, die Infrastruktur vorhanden."
Übungsplätze in Bayern - wichtige Drehscheiben seit 2014
In Folge der russischen Annexion der Krim 2014 fanden auf den Übungsplätzen in Hohenfels und Grafenwöhr zahlreiche Manöver mit Soldaten aus mehreren NATO-Staaten statt. In diesem Jahr etwa das Manöver "Allied Spirit". Daran nahmen über 6.000 Soldaten teil.
Mit derartigen Übungen reagierten die Militärs auf die angespanntere Entwicklung seit 2014. Zentral waren Ausbildungen für Einsatze im Rahmen der Verteidigung des NATO-Gebietes. Das US-Militär nutzte die Einrichtungen auch zur Vorbereitung von Einheiten, die anschließend in östliche NATO-Staaten verlegt wurden.
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