Es ist ein kurzer Ausflug in die Rechtstheorie, den Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an diesem Freitagmittag macht. "Sie kennen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung", stellt er fest. "Gleiches muss gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden." Es sei deswegen verfassungswidrig, wenn man ungleiche Dinge gleich behandeln würde. Das aber passiere gerade mit dem Freistaat, so Söder – durch die Erbschaftssteuer.
Söder: Angst vor "Verlust von Heimat"
Hintergrund ist eine Regelung im Jahressteuergesetz, das noch in diesem Jahr in Kraft treten soll. In dem Gesetz wird die sogenannte Immobilienwert-Verordnung angepasst. Dadurch wird zwar nicht die Erbschafts- und Schenkungssteuer selbst angehoben, aber wie der Wert einer Immobilie geschätzt wird, verändert sich. Zahlreiche Grundstücke und Wohnungen dürften nach der Änderung mehr wert sein, wodurch auch höhere Steuern fällig würden. Die Steuerfreibeträge sollen allerdings nicht angehoben werden. Derzeit liegen diese bei 500.000 Euro für Ehepartner, 400.000 Euro pro Elternteil und pro Kind, bei Enkeln bei 200.000 Euro. Je nach Höhe der fälligen Steuer, könnten die Freibetragsgrenze in Zukunft schneller erreicht werden.
Viele Menschen in Bayern hätten Angst, dass sie ihr "kleines Häuschen" nicht behalten könnten, sagt Söder nun. Nur Spekulanten könnten sich leisten, die Erbschaft anzunehmen. Es bestehe die Gefahr von "Verlust von Heimat" und "Ausverkauf".
Dabei ist unklar, wie vielen Menschen dieses Schicksal tatsächlich droht: Auf der einen Seite befürchtet der Vorsitzende des Haus- und Grundbesitzervereins in München, Rudolf Stürzer, dass in den nächsten Jahren mehrere Hundert Mietshäuser verkauft werden müssten, weil die Steuer zu hoch wäre. Auf der anderen Seite sieht das Gesetz auch vor, dass Menschen, die die Steuer nicht zahlen können, sie zinslos stunden – also aufschieben – können. Und Familienheime unter 200 Quadratmeter können steuerfrei vererbt werden, wenn sie selbst genutzt werden.
Bayern kündigt Verfassungsklage an
Für Söder reicht das nicht aus. Er prüft den Weg der Verfassungsklage. Der Freistaat wird Gutachten beauftragen, kündigte er an, das Kabinett dann darüber beraten. Anfang des kommenden Jahres könne die Klage dann eingereicht werden.
Konkret bemängelt Söder, dass die Neuregelung ungerecht sei, weil die Grundstückspreise in Bayern exorbitant höher seien als im Norden oder im Osten. Außerdem seien die Freibeträge seit über zehn Jahren nicht mehr diskutiert worden. Und die Erbschaftssteuer sei eine Ländersteuer – und deswegen müssten auch die Länder dafür verantwortlich sein, die Freibeträge festzulegen.
Tatsächlich ist die Erbschaftssteuer eine Steuer, die ausschließlich in den Haushalt der Länder fließt. Allerdings haben sich Bund und Länder vor vielen Jahren gemeinsam darauf verständigt, dass der Bund die Regeln dafür festlegt, also Höhe und Freibeträge.
Bereits mehrere Versuche, die Erbschaftssteuer aufzuhalten
Dass Söder nun diesen Schritt geht, kommt nicht ganz unerwartet. Der Streit um die Erbschaftssteuer schwelt schon länger. Mehrere Versuche der CSU, die Neuerungen aufzuhalten, sind gescheitert. Als das Jahressteuergesetz im Bundestag verhandelt wurde, reichte die Unions-Fraktionen einen Antrag ein. Er sollte "Steuererhöhungen durch die Hintertür" verhindern. Die Abgeordneten forderten, die Freibeträge zu erhöhen. Der Antrag wurde von der Mehrheit des Bundestags abgelehnt. Stattdessen nahm das Parlament den Vorschlag der Ampel-Regierung an.
Nun muss nur noch der Bundesrat zustimmen, damit das Gesetz noch in diesem Jahr wie geplant in Kraft treten kann. Und im Bundesrat hat Ministerpräsident Söder eine zweite Offensive gestartet, um die Änderungen an der Erbschaftssteuer aufzuhalten. Im Finanzausschuss forderte der Freistaat, die Freibeträge zu erhöhen und in die Verantwortung darüber den Ländern zu geben. Sie sollten selbst bestimmen können, wie hoch die Freibeträge sein sollen. Aber alle 15 Bundesländer stimmten gegen den Freistaat – also auch jene, die von der Union regiert werden.
Klage, wenn eine politische Lösung scheitert
Bayern kann das Gesetz jetzt noch aufhalten, wenn sie im Plenum des Bundesrates eine Mehrheit für ihren Vorschlag erhalten. Dafür wären aber sicher Kompromisse nötig. Der CDU-geführte Freistaat Sachsen etwa schrieb auf BR-Anfrage: Man würde zwar höhere Freibeträge unterstützen, nicht aber deren Regionalisierung. "Aus unserer Sicht sollten die Freibeträge weiterhin deutschlandweit einheitlich sein und es nicht auf den Wohnort eines Erben oder Beschenkten ankommen, ob ein großer oder nur kleiner Teil des Grundstückswertes für ihn steuerfrei bleibt."
Das Bundesfinanzministerium schreibt auf BR-Anfrage, dass es die Aussagen Söders nicht kommentieren könne, verweist aber auf ein Interview von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der sich dafür ausgesprochen hat, die Freibeträge um gut 25 Prozent anzuheben. Die Initiative dazu solle aber von den Ländern kommen.
Ob im Bundesrat eine Einigung gelingt, dürfte auch entscheiden, ob Bayern tatsächlich klagt. Denn Söder hielt sich heute eine Hintertür offen: Der Freistaat werde klagen, sagte er, "wenn politische Gespräche scheitern".
Bayern-SPD: Vermögens-Erben in Verantwortung nehmen
Unverständnis für Söders Vorstoß kommt von der Opposition im Bayerischen Landtag: Florian von Brunn, SPD-Fraktionschef im Landtag, hält Söder für "völlig isoliert", weil er im Finanzausschuss des Bundesrats "krachend gescheitert" sei. Schließlich hätten alle anderen 15 Länder, auch Söders eigentliche Partnerländer Hessen und Baden-Württemberg, gegen den bayerischen Antrag gestimmt. "Ich finde es hanebüchen, dass Markus Söder jetzt auch noch mit einer Verfassungsklage droht", bemerkte von Brunn. Aber: "Die SPD ist gerne bereit über höhere Freibeträge zu reden, wenn die Erben von sehr großen Vermögen in die Verantwortung genommen werden."
Bayern-FDP: Söder-Klage ist "Wahlkampfgag"
Auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Hagen wäre durchaus dafür, die Freibeträge bei der Erbschaftssteuer zu erhöhen – schließlich werde bei der aktuellen Freibetragsgrenze die Inflation nicht berücksichtigt. Die angedrohte Klage von Söder bezeichnete er aber als "politischer Klamauk". "Das ist juristisch völlig haltlos, da ist nichts dahinter, das ist ein Wahlkampfgag", sagte Hagen.
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