Augenarzt untersucht Patient.
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Einen Termin beim Facharzt zu bekommen, das ist für Kassenpatienten nach wie vor schwierig. Ein neues Verfahren scheint wenig zu bringen.

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Und immer noch: Warten auf einen Arzttermin

Vor drei Jahren wurde die sogenannte Neupatientenregelung eingeführt, damit Patienten schneller einen Termin bei einem Facharzt bekommen. Seit Januar gilt sie nicht mehr – eine neue Regel hat sie abgelöst. Doch Verbesserung bringt auch die nicht.

Die Ärzteschaft und die Kassenärztlichen Vereinigungen wehrten sich vehement gegen die Abschaffung der Neupatientenregelung – aber auch eine Unterschriftenaktion mit 50.000 Unterzeichnern und Protesttage brachten nichts: Der Bundestag beschloss das Ende der Regelung. Zum 1. Januar hat das Bundesgesundheitsministerium stattdessen den Hausarztvermittlungsfall eingeführt. Hausärzte sollen jetzt dringende Termine beim Facharzt für Patienten vereinbaren. Wenn das nicht geht, sollen die Terminservicestellen helfen.

Facharzttermine: Monatelange Wartezeit

Gleich in der ersten Januarwoche wollte Veronika aus dem Landkreis Bamberg einen Termin für ein Hautscreening bei einem Dermatologen vereinbaren. Bei fünf Ärzten hatte sie gar keinen Erfolg, die nahmen keine Neupatienten mehr auf. Erst beim sechsten Anlauf erhielt sie bei einem Hautarzt einen Termin im August. Veronika ist privatversichert, was aber vor allem bei bestimmten Fachärzten keinen Unterschied mehr macht.

Auch Lisa aus dem Landkreis Hof kennt das Problem. Sie selbst hat bis jetzt vergeblich versucht, die Praxis des Augenarztes zu erreichen. Immer wieder kann sie sich nur anhören: "Leider können wir ihren Anruf derzeit nicht entgegennehmen. Bitte versuchen sie es zu einem späteren Zeitpunkt erneut." Ihre 83-jährige Oma, die 30 Kilometer entfernt wohnt, wartet seit Wochen auf einen Termin beim Dermatologen.

Untersuchung mit dem Stethoskop
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Untersuchung mit dem Stethoskop

Abschaffung der Neupatientenregelung

Eigentlich sollte sich dieses Problem durch die Neupatientenregelung erledigt haben und vor allem sollten dadurch Patienten, die zum ersten Mal zu einem Facharzt mussten, schneller einen Termin bekommen. Doch diese Regelung wurde zum Ende des letzten Jahres abgeschafft. Stattdessen gibt es jetzt die sogenannte Hausarztvermittlungsfall-Regelung. Auch sie ändert jedoch nichts am Grundproblem, dass Patienten oft lange auf einen Arzttermin warten müssen.

Mit viel Widerstand hatten sich die Fachärzte gegen die Rücknahme der Neupatientenregelung gewehrt. Im Oktober blieben Praxen zeitweise geschlossen, damit die Beschäftigten an Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen konnten, hieß es offiziell. Ein Protest, denn streiken dürfen Ärzte nicht. Es half nichts. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) fehlte im vergangenem Jahr Geld. Das Defizit der Krankenkassen für 2023 wurde auf 17 Milliarden Euro geschätzt. Die Konsequenz: Die Neupatientenregelung wurde zum Ende des letzten Jahres abgeschafft. Das soll jetzt 400 Millionen Euro einsparen.

Ärzte bekommen Aufschlag für einen schnellen Termin

Der Hausarztvermittlungsfall soll Patienten schneller zu einem Termin beim Facharzt verhelfen, aber nur, wenn sie auch wirklich krank sind. So sollen Patienten erst zum Hausarzt. Wenn der meint, der Patient müsse dringend bei einem Facharzt behandelt werden, vermerkt er das durch einen neu eingeführten Dringlichkeitscode auf der Überweisung. Seine Mitarbeitenden sollen dann auch gleich einen Termin beim entsprechenden Facharzt für den Patienten vereinbaren. Damit, so der Plan des Bundesgesundheitsministeriums, wird erst der dringliche Fall behandelt, und dann erst beispielsweise der Patient mit einer Vorsorgeuntersuchung.

Die Vermittlung wird dem Hausarzt mit 15 Euro vergütet. Der Facharzt bekommt ebenfalls einen Aufschlag. Der richtet sich jedoch danach, wie schnell der Patient einen Termin bei ihm buchen kann. Bei der Vermittlung innerhalb von 24 Stunden erhält der Facharzt bis zum Doppelten der Grundpauschale und eine extrabudgetäre Vergütung der Behandlungsleistungen. Muss der Patient jedoch länger auf einen Termin warten, wird das Zusatzhonorar für den Facharzt immer geringer.

Hört sich gut an, aber leider nur in der Theorie, meint auch der Bayreuther Hausarzt Dr. Ingo Rausch: "In Gebieten, in denen es wenig Hausärzte gibt, gibt es in aller Regel noch weniger Fachärzte. Insofern ändert sich da nichts. Die Möglichkeit dieses Hausarztvermittlungsfalls ist einfach, dass ich ein Steuerungselement habe, um wirklich nur diejenigen Patienten beim Facharzt vorstellig werden zu lassen, die wirklich der fachärztlichen Versorgung bedürfen."

"Hochbürokratisch": Heftige Kritik an neuer Regelung

Der neue Hausarztvermittlungsfall stößt auf erhebliche Kritik beim Verband der bayerischen Fachärzte. Der Vorsitzende Wolfgang Bärtl sieht gerade im Freistaat mit vielen unbesetzten Hausarztpraxen ein Problem.

"Ich fordere daher Lauterbach auf, diese hochbürokratische, konfliktive und diskriminierende Regelung schnellstmöglich zu revidieren, um Schaden von der ambulanten Versorgung gerade in strukturschwachen Regionen abzuwenden", sagt Bärtl.

Aufgrund des Hausärztemangels, so das Argument von Bärtl, bekommen jetzt schon Patienten schlecht einen Termin beim Hausarzt. Nicht zu vergessen, dass sich auch der Fachärztemangel weiter zuspitze und auch medizinische Fachangestellte schlecht zu finden seien. "Wie also soll das funktionieren? Wo ist denn da die Verbesserung für den Patienten?", fragt er.

Hilfe soll die Terminservicestelle bringen

Kann auch der Hausarzt keinen Termin beim Facharzt vermitteln, bleibt dem Patienten noch ein Anruf bei der sogenannten Terminservicestelle, TSS. Sie ist unter der bayernweit einheitlichen Nummer 116 117 erreichbar. Sie hilft aber nur weiter, wenn der Patient bereits einen Überweisungsschein vom Hausarzt hat. Je nach Dringlichkeit sollen dann in der Regel zwei Arzttermine innerhalb von bis zu zwölf Wochen vorgeschlagen werden. Es gibt keine Wunschtermine. Einen Anspruch darauf, einen Termin bei einem bestimmten Arzt oder Psychotherapeuten zu bekommen, gibt es nicht.

Wenn der Hausarzt eine Überweisung mit Dringlichkeitscode ausgestellt hat, müssen die Terminvorschläge des TSS innerhalb der nächsten vier Wochen liegen. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) teilt dazu mit: "Sollte innerhalb der einwöchigen Vermittlungsfrist kein Termin über die Terminservicestelle gefunden werden, so sucht die Terminservicestelle eine weitere Woche im Rahmen der ambulanten Krankenhausversorgung."

Bei der Terminservicestelle können auch Patienten anrufen, die keine Überweisung von ihrem Hausarzt haben. Das gilt aber nur für folgende Arztgruppen: Augenärzte, Gynäkologen, Psychotherapeutische Sprechstunde für Erwachsene und Kinder, Hausärzte, Kinder- und Jugendärzte für eine U-Untersuchung bei Kindern.

Die Arztpraxis, zu der ein Patient durch die Terminservicestelle vermittelt werden kann, muss aber nicht um die Ecke liegen. "Bei Fachärzten der spezialisierten und gesonderten fachärztlichen Versorgung (z.B. Strahlentherapeuten) entspricht die 'zumutbare Entfernung' zum nächsten Arzt der Fachgruppe einer Fahrzeit von 60 Minuten oder 60 km", schreibt die Kassenärztliche Vereinigung Bayern, KVB, dazu. "Bei Haus-, Kinder- und Jugendlichenärzten kann die Fahrstrecke bis zu 30 Kilometer betragen."

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Blick in die Terminservicestelle der KVB in Bayreuth

TSS: Anrufzahlen schnellen in die Höhe

Laut KVB hat sich das Anrufvolumen der Terminservicestelle "im direkten Vergleich Januar/2022 zu Januar/2023 um 51 Prozent gesteigert und die daraus resultierenden tatsächlichen Terminanfragen sogar um 66 Prozent". Der Anstieg der Nachfragen ziehe sich durch alle Facharztgruppen: "Am meisten werden – nach wie vor – die Fachgruppen der Psychotherapeuten, Neurologen, Psychiater und Radiologen angefragt." Nach den Erfahrungen der Terminservicestelle müssten "wir, um dem allen gerecht zu werden, Hunderte von KollegInnen neu einstellen. Das ist finanziell gar nicht machbar", so die KVB.

Die neue Regelung soll Besserung bringen, doch nach den ersten Wochen zeichnet sich das nicht ab.

Tiefgreifende Strukturreform ist dringend notwendig

Im Jahr 2019 gab es laut Bundesamt für Statistik rund 719 Millionen Behandlungsfälle in Deutschland. 77,6 Millionen Patienten wurden ambulant von Ärzten versorgt. Nicht nur das ambulante Behandlungssystem stößt immer mehr an seine Grenzen.

Das Pfuschen am Gesundheitssystem mit immer mehr Teilreformen und immer mehr Regelungen sei keine Lösung, so der Bayreuther Hausarzt Ingo Rausch. Was gebraucht werde, sei eine durchdachte Reform. "Wir kommen zunehmend an die Grenzen, weil es einfach erhöhten Versorgungsbedarf gibt, aber auch einen erhöhten Versorgungsanspruch. Wir sind derzeit in einem völlig ungesteuerten Versorgungssystem. Das führt dazu, dass die Patienten einfach dort aufschlagen, wo sie teilweise gar nicht hingehören, und dort fehlen, wo sie eigentlich sinnvollerweise versorgt werden sollten."

    • Zum Artikel "Wenn Ärzte und Pflegekräfte nicht mehr können"

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