Im Erzbistum Bamberg gibt es eine unabhängige Aufarbeitungskommission, die sich in allen Diözesen mit Ausmaß, Art und Folgen des sexuellen Missbrauchs in der Kindheit und Jugend beschäftigt.
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Im Erzbistum Bamberg gibt es eine unabhängige Aufarbeitungskommission, die sich mit den Folgen des sexuellen Missbrauchs beschäftigt.

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Traumata jahrelang verborgen: Missbrauchsopfer wollen aufklären

Immer wieder werden neue Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche bekannt. Das Münchner Missbrauchsgutachten geht von knapp 500 Opfern aus. In Bamberg kritisiert ein Betroffenenbeirat den Umgang der Kirche mit dem sensiblen Thema.

Zwei Männer unterhalten sich angeregt und diskutieren über die katholische Kirche. Matthias Wünsche ist Anfang 60, Waldemar Naperkowski ist 70 Jahre alt: Beide sind Sprecher im Betroffenenbeirat des Erzbistums Bamberg. Die beiden kommen regelmäßig zusammen, um sich mit einem dunklen Kapitel ihres Lebens zu beschäftigen. Einmal im Monat treffen sie sich mit fünf anderen Menschen, die ebenfalls in ihrer Jugend Opfer von sexuellem Missbrauch innerhalb des Erzbistums wurden.

Täter war mehr als 25 Jahre Jugendbetreuer

Der Täter im Fall der beiden Männer war mehr als 25 Jahre lang Jugendbetreuer in einem katholischen Jugendverband in Bamberg. Naperkowski erzählt, dass er einen gewalttätigen Vater hatte. "Es war ein Leichtes, mich aus dieser Marianischen Kongregation [kirchliche Vereinigung, Anm. d. Red.] als einen bedürftigen Buben herauszufiltern, der den Vater sucht. So hat er sich mir genähert", erinnert sich der Sprecher des Bamberger Betroffenenbeirats.

Schwere Folgen für das weitere Leben

Naperkowski war zwischen seinem zwölften und 16. Lebensjahr in dem Jugendverband. Danach habe er große Probleme im Leben gehabt: Er war drogensüchtig und konnte keine ernsthaften Beziehungen zu Frauen aufbauen. Über das erlebte Missbrauchstrauma habe er jahrelang nicht sprechen können. Erst in einer stationären Therapie, die er wegen seiner Suchtkrankheit gemacht habe, sei die Geschichte plötzlich hochgekommen. "Da war ich über 40 Jahre alt, und dann hat es noch mal rund 15 Jahre gedauert, bis ich meinen Peiniger angezeigt habe", erzählt Naperkowski mit Tränen in den Augen. Von der katholischen Kirche habe er sich seitdem distanziert.

Trauma jahrzehntelang verschüttet

Einen anderen Weg hat unterdessen Wünsche eingeschlagen: Er wurde selbst Pfarrer im Erzbistum Bamberg. Der Sprecher des Betroffenenbeirats erzählt, dass er sich von der katholischen Kirche deshalb nicht abgewendet habe, weil er "seine Kirche nicht denen überlassen will, die sagen, es sei alles in Ordnung".

Die Kirche sei immer noch seine Welt, auch wenn ihm in dem katholischen Jugendverband Leid zugefügt wurde. Ähnlich wie bei Naperkowski kam auch bei Wünsche das Erlebte erst Jahrzehnte später hoch. Sein Trauma sei 30 Jahre verschüttet gewesen. Er habe im Fernsehen 2010 einen Bericht über die Enthüllungen am Canisius-Kolleg in Berlin gesehen. Dann sei ihm wie Schuppen von den Augen gefallen, dass es bei ihm genauso war, erinnert sich Wünsche.

Vorwurf an die Kirche: Betroffene werden kaum gehört

Er habe 2010 auf Anraten des damaligen Missbrauchsbeauftragten im Erzbistum eine Anzeige gegen den Täter erstattet, der schon Jahre vorher gestorben war. Daher wurde das Verfahren eingestellt. Kurz daraufhin habe Wünsche aufgrund des sexuellen Missbrauchs in seiner Jugend erstmals Depressionen bekommen. Sein Arbeitgeber, die katholische Kirche, habe sich für sein Leiden nicht wirklich interessiert. Seine Krankmeldung habe die Kirche zur Kenntnis genommen, mehr sei nicht passiert.

Ein durchgehendes Problem sei, dass sich die Kirche mit den Tätern beschäftigte, mit den Betroffenen nicht oder nur sehr wenig, so Wünsche. Außerdem kritisiert er "das Unverständnis, das uns immer wieder begegnet, welche Schäden wir mit uns herumtragen – auch 40 Jahre nach den Taten".

Erzbistum Bamberg: In diesem Jahr 17 Fälle gemeldet

Erst im Januar erschütterte das Münchner Missbrauchsgutachten erneut die Katholische Kirche. Von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern ging die Studie aus. Seitdem kamen etliche neue Hinweise dazu. Im Erzbistum Bamberg wurden in diesem Jahr 17 Fälle "bezüglich sexuellem Missbrauch und Grenzverletzungen" gemeldet.

Inzwischen gibt es im Erzbistum Bamberg eine unabhängige Aufarbeitungskommission, in der unter anderem ein Jurist, ein Theologe, ein Psychologe und auch zwei Betroffene sitzen. Diese Kommissionen beschäftigen sich in allen Diözesen mit Ausmaß, Art und Folgen des sexuellen Missbrauchs in der Kindheit und Jugend. In Bamberg will die Unabhängige Kommission demnächst eine Studie in Auftrag geben, um die Aufarbeitung weiter voranzutreiben. Mit dieser Studie könnten weitere Fälle von sexuellen Missbrauch im Erzbistum Bamberg aufgedeckt werden.

Ansprechpartner für Opfer von sexualisierter Gewalt

Das Erzbistum Bamberg will den sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Priester und Kirchenmitarbeiter in der Diözese aufarbeiten. Seit einigen Jahren gibt es mehrere Ansprechpartner für sexualisierte Gewalt. Betroffene können sich an einen Missbrauchsbeauftragten oder an einen Präventionsbeauftragten wenden. Er stellt in Kindergärten und kirchlichen Einrichtungen Konzepte vor, wie sexualisierte Gewalt erkannt und verhindert werden kann. Außerdem führt er Gespräche mit Betroffenen.

Betroffenenbeirat: Aufarbeitung nicht transparent genug

Der Sprecher des Betroffenenbeirats, Wünsche, findet, dass die Aufarbeitung im Erzbistum nicht transparent genug sei. Naperkowski kritisiert, dass die Betroffenen als Anhängsel nach hinten geschoben werden und "mit so wenig Befugnissen ausgestattet werden wie nur möglich. Dabei geht es doch hier um uns."

Die zwei Sprecher des Betroffenenbeirats wollen nicht mehr schweigen, sondern andere Menschen, die Opfer von sexuellem Missbrauch wurden, begleiten und ihnen helfen, ihr Trauma zu verarbeiten. Die beiden gehen davon aus, dass auch in den kommenden Jahren weitere Missbrauchsfälle ans Licht kommen. Für diese Menschen wollen sie Ansprechpartner im Erzbistum sein, auch wenn die Beschäftigung mit weiteren Missbrauchsfällen sehr schmerzhaft sei.

Zwei Männer sitzen in der Küche an einem Tisch und unterhalten sich.
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Im Erzbistum Bamberg gibt es eine unabhängige Aufarbeitungskommission, die sich mit den Folgen des sexuellen Missbrauchs beschäftigt.

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