Normalerweise herrscht im großen Probenraum in München Leben, denn hier probt eigentlich der Chor 1 des Tölzer Knabenchors. Bis zu 50 Kinder üben hier ihre Konzerte ein, wie zum Beispiel das Weihnachtsoratorium. Doch nun herrscht Stille. Chorleiter Christian Fliegner steht allein in dem 60 Quadratmeter großen Raum.
"Bedrückend, sag ich ihnen ehrlich. Es ist traurig. Mehr kann ich nicht sagen." Christian Fliegner, Chorleiter Tölzer Knabenchor
Fliegner war schon als Kind Sänger beim Tölzer Knabenchor. Er hat noch nie erlebt, dass so lange keine Chorproben mehr stattgefunden haben wie seit Ausbruch der Corona-Pandemie.
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Corona trifft die Kunstszene hart. Auftrittsmöglichkeiten gibt es kaum. Für viele Künstler ist die Pandemie damit existenzbedrohend. Auch der Tölzer Knabenchor musste alle Auftritte absagen. Aufgeben will der private Chor aber nicht.
Qualität des Tölzer Knabenchores könnte leiden
Insgesamt singen in dem privaten Chor 160 Kinder. Sie wohnen bei den Eltern, gehen normal zur Schule und kommen dreimal in der Woche zur Probe - eigentlich. Im März kam der Verdacht auf, dass besonders bei Chören ein erhöhtes Risiko bestünde, sich mit Corona anzustecken. Was aus ärztlicher Sicht vielleicht verständlich ist, hat aus gesanglicher Sicht Konsequenzen für den weltbekannten Chor.
"Das ist wie ein Muskeltraining, wie bei einem Sportler. Wenn man nicht regelmäßig übt und trainiert, und auch gewöhnt ist, diese Leistung abzurufen, dann baut man ab." Christian Fliegner, Chorleiter Tölzer Knabenchor
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Der Chorleiter des Tölzer Knabenchores, Christian Fliegner, am Klavier
Keine Übung – keine Qualität – keine Auftritte
Die Konkurrenz unter den Knabenchören ist hart. Wenn die Qualität nicht mehr stimmt, gibt es weniger Auftritte auf den großen Bühnen. Seit kurzem ist zumindest Einzelunterricht wieder erlaubt. Dabei steht ein Kind mit dem Rücken zu seinem Gesangslehrer. Beide trennt ein Abstand von rund zehn Metern. Damit sie sich trotzdem in die Augen sehen können, steht ein Spiegel im Raum. Doch auch das ist nur eine Notlösung. Jeder übe für sich allein. Das Ergebnis werde man erst sehen, so Chorleiter Christian Fliegner. So einen Fall habe es noch nie gegeben.
Digitale Chorproben funktionieren nicht
Dazu kommt das Problem, dass viele Kinder derzeit nicht zum Einzelunterricht kommen können. Zwar bieten Fliegner und seine Kollegen Video-Unterricht an, aber Konzertstücke einüben kann man so nicht. Die Zeitverzögerung, bis das Kind das Klavier hört, ist zu lange. Das macht das Musizieren unmöglich. Zu allem Übel verlieren die Kinder auch teilweise die Lust am Singen, denn gerade die Kinder, die erst seit ein paar Monaten dabei sind, hätten nur Digitalunterricht gehabt.
Einzelunterricht ist natürlich weniger interessant, als wenn alle miteinander singen und eine Gaudi haben. Musik soll ja auch Spaß machen. Das fällt halt jetzt total weg." Barbara Schmidt-Gaden, Geschäftsführerin Tölzer Knabenchor
Deswegen bekommen sie jetzt laut der Geschäftsführerin Schmidt-Gaden Kündigungen von Eltern, die sagen, sie könnten ihr Kind leider nicht mehr motivieren.
Große finanzielle Probleme
Der private Chor bekommt zwar Zuschüsse - zum Beispiel von der Stadt Bad Tölz. Um sich finanzieren zu können, braucht der Tölzer Knabenchor aber auch Eintrittsgelder. Alle Auftritte wie beispielsweise in der Elbphilharmonie oder in der Staatsoper mit Star-Dirigent Kirill Petrenko wurden aber abgesagt.
"Bis Sommer ist fast alles abgesagt. Wenn sogar das Weihnachtsgeschäft wegfällt, kann es wirklich sein, dass es an die Existenz geht." Barbara Schmidt-Gaden, Geschäftsführerin Tölzer Knabenchor
Ein zartes Pflänzchen Hoffnung gibt es aber. Nach den Pfingstferien, so hofft der Tölzer Knabenchor, darf vielleicht wieder in Kleingruppen geprobt werden.
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