Deutsche lieben Tiere – dafür spricht, dass fast in der Hälfte der Haushalte mindestens ein Haustier lebt. Doch: Es werden auch immer mehr Tiere ausgesetzt. Pro Jahr sind es allein in Deutschland rund eine halbe Million Tiere.
Haustiere sind aber in der Regel nicht in der Lage in der freien Natur zu überleben und wären sich schutzlos selbst überlassen. Meist endet das tödlich. Außer, sie haben das Glück, und werden gerettet.
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In Bayerns größtem Tierheim, in Nürnberg, werden es von Jahr zu Jahr mehr Tiere, die ein neues Zuhause suchen. Dabei kämpft das Tierheim mittlerweile nicht nur mit den Kosten für Versorgung und Fütterung. Auch aufgrund der stark gestiegenen Preise für Energie, Strom und Mindestlohn, benötigt das Nürnberger Tierheim jeden Cent, um weiterhin über die Runden zu kommen.
Jedes Tier hat ein echtes Zuhause verdient
Circa 5.000 Tiere kommen jährlich im Nürnberger Tierheim unter. Ein Team von 32 Mitarbeitern, darunter ausgebildete Tierpflegerinnen und Tierpfleger, zwei Tierärztinnen sowie freiwillige Helferinnen und Helfer nehmen sich viel Zeit, um auf die Bedürfnisse der einzelnen Tiere und deren Schicksal einzugehen.
Schon seit 1839 engagieren sich die Nürnbergerinnen und Nürnberger für den Tierschutz und setzen Maßstäbe mit ihrer aufwändigen und erfolgreichen Vermittlungsarbeit. Denn hier hat man den Anspruch, jedes Tier zu vermitteln, für jeden ihrer Schützlinge ein echtes und artgerechtes Zuhause zu finden.
Tanja Schnabel, seit 2016 Leiterin und Geschäftsführerin des Tierheims Nürnberg, bringt es so auf den Punkt: "Unser Motto ist: Wir sind ein Heim und doch kein Zuhause. Ich kann beispielsweise einem Hund nicht das bieten, was ich ihm zuhause bieten kann. Dafür reicht die Zeit der Pfleger nicht. Ich bin der Meinung, es gibt für jeden Hund den richtigen Deckel. Und wenn es mal länger dauert, den zu finden, dauert es eben mal länger."
Schwierige Momente mit kranken Tieren auf ihrem letzten Weg
Für Tierpflegerin Tina Wessel ist dieser Anspruch gerade besonders aktuell: Für ihre beiden Sorgenkinder, das Senioren-Hundepaar Koko (12 Jahre) & Keks (15 Jahre) ist sie ganz dringend auf der Suche nach neuen Haltern. Aufgrund eines Pflegefalls wurden die beiden alten und kranken Hunde abgegeben. Doch Tina Wessel wünscht sich für deren verbleibende Zeit einen schönen Palliativplatz, wo sie so geliebt werden, wie sie sind.
Mit Tränen in den Augen spricht sie von ihren Erfahrungen. "Wir haben hier leider schon öfter aus Alters- oder Krankheitsgründen Tiere verloren. Es ist immer unsere Angst, dass wir das begleiten müssen und die Tiere nicht in ihrem eigenen Zuhause, ihrer gewohnten Umgebung sterben. Sondern hier im Tierheim als Einer unter Vielen."
Listenhunde in Bayern kaum vermittelbar
Allein 140 Katzen und über 40 Kaninchen hoffen momentan auf einen Vermittlungsplatz. Doch neben den ausgesetzten Tieren kommen - auch durch die Grenznähe zu Tschechien - noch viele behördlich beschlagnahmte und abgegebene Listenhunde dazu, die beispielsweise durch illegalen Welpenhandel oder via Kleinanzeigen in Bayern landen und zumeist hier nicht gehalten werden dürfen. Denn Bayern hat bundesweit die strengste Rasseliste und Hunde, die dort draufstehen, sind kaum vermittelbar.
Besondere Vorgaben für Kampfhunde in Bayern
In der Kategorie 1 sind Hunde wie Pit Bull und Staffordshire Terrier. Diese dürfen faktisch nicht im Freistaat gehalten werden. Ähnlich streng sind die Vorgaben für Hunde der Kategorie 2 wie beispielsweise American Bulldog oder Rottweiler, die nur unter strengen Auflagen mit Wesenstest, Meldepflicht und meist Maulkorbzwang gehalten werden dürfen.
Bedeutet: Diese umgangssprachlich häufig als "Kampfhunde" bezeichneten Hunde bleiben meist bis an ihr Lebensende in den Tierheimen. Daher gehen die Nürnberger hierbei ganz gezielt andere Wege und vermitteln mit viel Aufwand in andere Bundesländer und ins Ausland – mit großem Erfolg.
Über zehn Prozent mehr Hunde als noch 2018
Eine aktuelle GfK-Analyse ermittelte, dass im letzten Jahr über 1,51 Millionen Hunde in Bayern lebten, das sind im Vergleich zu den letztmalig 2018 erhobenen Zahlen über 200.000 mehr. Aber laut einer Statistik des bayerischen Innenministeriums steigt auch die Zahl von Beißattacken - sowohl auf Menschen, als auch auf andere Hunde und Tiere - seit Jahren drastisch. Bemerkenswert hierbei ist allerdings, dass 94 Prozent der Angriffe "sonstigen Rassen" zugerechnet werden, wie beispielsweise Schäferhund, Dackel und Co. Lediglich sechs Prozent kommen, laut Statistik des bayerischen Innenministeriums, auf Listenhunde.
Tierschützer fordern schon lange einen Hundeführerschein für alle Hundehalter, egal welcher Rasse ihr Vierbeiner ist, um von den veralteten Rasselisten wegzukommen. Auch Tierheimleiterin Tanja Schnabel will erreichen, dass die Menschen umdenken und sich ihrer Verantwortung als Tierhalter bewusst werden: "Das Problem ist immer am anderen Ende der Leine. Es ist so abgedroschen, aber es ist einfach so wahr."
Tierheimleiterin Tanja Schnabel gemeinsam mit Tierpflegerin Jennifer Mayer.
Budget von zwei Millionen Euro reicht nicht mehr
115 Tierschutzvereine sind beim Deutschen Tierschutzbund für Bayern gelistet, dazu kommen unzählige private Hilfsangebote und Auffangstationen. Sie alle teilen die gleichen Sorgen: Gestiegene Mehrkosten für Energie, Futter und wesentlich höhere Tierarztrechnungen.
Auf 45.000 Quadratmeter Grund bietet das Tierheim Nürnberg Schutz und Unterkunft. Allein für den Stromverbrauch fällt hier pro Monat ein mittlerer vierstelliger Betrag an. Geschäftsführerin Tanja Schnabel weiß nicht, wie sie und ihr gemeinnütziger Verein die Finanzierung stemmen sollen, wenn sich die Kosten durch die allgemeine Teuerung voraussichtlich verdoppeln.
Dazu kommen durch die Anhebung der tierärztlichen Gebührenordnung wesentlich höhere Arzt- und OP-Rechnungen sowie höhere Fahrtkosten beispielsweise für Notdienstfahrten rund um die Uhr für die Tierrettung im Einsatz sein zu können. Bisher lag das Jahresbudget bei zwei Millionen Euro, welches hauptsächlich über Spenden und teils aus Erbschaften gegenfinanziert wurde.
Für Tanja Schnabel ist aber bereits absehbar, dass dies in Zukunft bei Weitem nicht mehr reichen wird. Daher ist es ihr wichtig im Namen aller Tierschützerinnen und Tierschützer an Verstand, Herz und Portemonnaie zu appellieren: "Jeder Cent, der hier ankommt, den können wir gebrauchen. Jedes Tier, das nicht hier landen muss tut uns gut und dem Tier gut. Wenn da ein bisschen mehr Umdenken stattfinden würde, dass wirklich nur die Notfälle in einem Tierheim landen, das würde es deutlich vereinfachen."
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