Kühe mit ihren Kälbern auf einer Weide.
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Tierfreundlichere Milchwirtschaft: Wohin mit den Bruderkälbern?

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Tierfreundlichere Milchwirtschaft: Wohin mit den Bruderkälbern?

Folgende Aussage mag irritieren: Fleisch essen kann im Sinne des Tierwohls sein. Und zwar dann, wenn der Verbraucher damit Milchviehbetrieben hilft, ihre Kälber selbst aufziehen zu können und nicht billig verramschen zu müssen.

Über dieses Thema berichtet: Schwaben + Altbayern am .

Viele Menschen lieben Käse, Butter und Milch. Doch – und das ist nicht allen bewusst - damit Milch fließt, müssen Kälber geboren werden, und zwar viel mehr, als zur Nachzucht gebraucht werden. Die Überzähligen – um nicht zu sagen Überflüssigen – aufzuziehen, ist für die Landwirte meist unwirtschaftlich, da der Fleischpreis zu gering ist. Außerdem sind die meisten Betriebe dafür zu spezialisiert oder haben zu wenig Platz. Also verkaufen sie die Kälber und die landen dann in auf Wirtschaftlichkeit getrimmten Mastbetrieben im Norden Deutschlands oder im Ausland.

Kälber dort aufziehen, wo sie geboren wurden

Es gibt aber inzwischen einige Landwirtinnen und Landwirte, die das nicht mehr mitmachen wollen. Auch Katharina und Andreas Wimmer aus Bergen im Chiemgau gehen einen anderen Weg. Ihre Kälber dürfen groß werden auf dem Hof, wo sie geboren sind – damit stellen sich die Wimmers seit Anfang 2020 gegen die übliche Praxis in der Milchwirtschaft.

"Vorher sind sie zum Zuchtverband Traunstein gegangen, zum Kälbermarkt, und da sind sie versteigert worden", erzählt Andreas Wimmer. Das sei der Punkt gewesen, zu überlegen: "Wir wissen überhaupt nicht, wo die hinkommen". Sie hätten nur gewusst, dass die Transportwege wahrscheinlich nicht gerade kurz seien, ergänzt Katharina Wimmer. Und: "Das, haben wir gesagt, das machen wir nicht mehr mit, da muss eine Lösung her."

Nicht alle Kälber werden für Nachzucht gebraucht

Das Problem: Kühe geben nur genügend Milch, wenn sie jedes Jahr kalben. Doch männliche und ein Teil der weiblichen Kälber werden nicht für die Nachzucht gebraucht. In der Regel landen sie - egal ob bio oder konventionell - in Transporten zu Großmästereien in Norddeutschland, den Niederlanden oder sogar Spanien.

Die Tierschutzorganisation "Animal Welfare Foundation" ist solchen Fahrten mit der Kamera gefolgt und beklagt, dass die Kälber auf langen Transporten nicht mit Nahrung versorgt werden können und unter Hunger und Durst leiden. Dieses Schicksal bleibt den Tieren der Wimmers erspart.

Finanzielles Risiko für die Landwirte

"Das ist ein Sprung in das kalte Wasser!", sagt Katharina Wimmer. Für sie und ihren Mann habe festgestanden: "Unsere Kälber bleiben bei uns." Sie hätten aber noch den Weg zu diesem Ziel finden müssen. Das Risiko sei riesig gewesen, meint auch ihr Mann. Denn das Paar muss die hohen Mehrkosten, die nun für die Aufzucht von rund 25 Kälbern jährlich anfallen, wieder hereinholen.

Insgesamt halten die Wimmers 24 Milchkühe biologisch im Nebenerwerb – den Hauptertrag bringt die Milch. Da Katharina Wimmer keinen billigen Milchersatz aus Pflanzenfett und Eiweiß füttert, geht nun ein beträchtlicher Teil dieser Kuhmilch an ihre Kälber. "Das bekommen sie zwölf Wochen lang", so Katharina Wimmer. "Das sind ungefähr 500 Euro, was wir da an Aufzuchtkosten nur von der Milch haben, weil wir die nicht mehr an die Molkerei verkaufen können."

Kaufen die Verbraucher das Fleisch?

Pro Kalb 500 Euro nur für die Milch. Zahlt der Kunde dafür einen höheren Fleischpreis? Katharina Wimmer und ihr Mann haben sich für die Direktvermarktung entschieden, einmal im Monat. Am Verkaufsstand bekommen die Kunden das Fleisch, das sie vorbestellt haben. "Bei uns kostet ein Fünf-Kilo-Paket 94 Euro", sagt Katharina Wimmer." Ja, wir sind voll zufrieden, bis jetzt sind wir immer noch ausverkauft und wir freuen uns dennoch über jede Bestellung."

Fleisch geht per Sammelbestellung in die Stadt

In Zukunft soll es einen täglich geöffneten Selbstbedienungsladen geben für bewusste Kunden auf dem Lande – und was machen bewusste Städter? Angelika Lintzmeyer von der "Genussgemeinschaft Städter und Bauern" arbeitet mit dem Regionalladen "MachtSinn" von Bernhard Wolf in Holzkirchen zusammen. Wenn sie die Chance hat, Fleisch von Tieren zu bekommen, die von Milchbauern aufgezogenen wurden, holt sie eine Sammelbestellung für Münchner Verbraucher – es ist eben noch viel Eigeninitiative vonnöten.

"Für jemanden, der jetzt einfach zu seinem Metzger geht, der wird solch ein Fleisch nicht bekommen, weil das sehr spezielle Produkte sind", sagt Lintzmeyer. "Und das wäre natürlich super, wenn viel mehr Vermarktungsinitiativen auch von Seiten der Erzeuger da wären, die genau dieses spezielle Kalbfleisch vermarkten." Bis dahin bleibt es ein seltenes Nischenprodukt, für das Lintzmeyer einen weiten Weg – etwa von München nach Holzkirchen und zurück - auf sich nehmen muss, wo es an die Abnehmer verteilt wird.

Platz für die Aufzucht gesucht - und gefunden

Zurück nach Bergen: Katharina Wimmer und ihr Mann bringen es nicht übers Herz, ihre Kälber jung zu schlachten. Doch es fehlt der Platz für die Aufzucht. 20 Transportminuten entfernt haben sie jedoch einen Partnerbetrieb gefunden, der die Milcherzeugung aufgegeben hat. Nun wachsen ihre Tiere hier auf.

Nach zwei bis drei Jahren kommen diese anstatt zum Schlachthof zurück nach Bergen. Ihr Tod soll möglichst stressfrei sein. "Also die ganzen Rinder, die bei uns geschlachtet werden, die werden bei uns am Hof geschlachtet", erzählt Andreas Wimmer. "An dem Tag x kommt halt der Metzger dazu, der hat einen EU-zugelassenen Schlachtanhänger. Das war auch unser Ziel, dass wir bis zum Schluss in unserer Hand haben, was da passiert."

Verbraucher sollen besser informiert werden

Eine Tierhaltung, die für die Schweisfurth Stiftung in München Vorbildcharakter hat. Tierwohl-Berater Saro Ratter setzt sich dafür ein, dass es mit der Vermarktung heimischer Milchbauern-Rinder endlich vorwärtsgeht. "Man sollte sehen, dass bei artgerechter Milchkuhhaltung pro Liter Milch mindestens 25 Gramm Fleisch anfallen und das gilt es, den Verbrauchern zu vermitteln", so Saro Ratter von der Schweisfurth Stiftung. Die Stiftung trage durch Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen und Praxisdialoge dazu bei. "Es gibt mehr und mehr Projekte dazu", ergänzt Ratter. Etwa das mehrWERT Öko-Milch + Fleisch-Projekt in Bayern, oder das "WertKalb"-Projekt in Baden-Württemberg.

Gibt es noch nicht oft: Kälber, die bei der Mutter aufwachsen

Das Projekt "Kuhgebundene Kälberaufzucht", bei dem die Jungtiere bei der Kuh bleiben dürfen, gehört ebenfalls dazu. Bei den Wimmers wachsen die Kälber noch von der Mutter getrennt auf, aber auch Katharina Wimmer will die "Kuhgebundene Kälberaufzucht": "Für uns ist das halt wichtig, dass das wieder mehr zurück zur Natur geht, also dass wir die Tiere so natürlich wie möglich aufziehen und da gehört halt das auch dazu."

Das bedeutet aber auch Investitionen in die Erweiterung des Stalls. Andreas Wimmer möchte auf seinem Hof dafür den Sandplatz verkleinern und zwei Abkalbeboxen bauen. "Muttergebundene Kälberaufzucht" bedeute, dass die Kälber die ersten Tage mit der Mutterkuh in der Abkalbebox bleiben und dann in die Herde integriert werden.

Ob diese Haltung Schule macht, hängt davon ab, ob die Leute das Fleisch kaufen wollen und auch die Gelegenheit dazu haben. Für die Wimmers ist die Frage jedenfalls gelöst. "Das war eine richtig gute Entscheidung und ich freue mich jeden Tag, wenn ich zu unseren Tieren in den Stall reingehe und ich weiß einfach, ich bin in der Lage, dass ich für die die Verantwortung übernehme," sagt Katharina Wimmer. "Ein Zurück gibt es für uns nicht mehr!"

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