Wenn Rainer Matzke aus Murnau am Staffelsee von seinem Beruf erzählt, ist die Leidenschaft kaum zu überhören. Seit einem halben Jahrhundert behandelt der 77-Jährige nun schon Pferde, Kühe - und neuerdings auch Lamas und Alpakas. Matzke ist Großtierarzt mit Leib und Seele - obwohl sein Alltag oft nur schwer planbar ist. Diese Arbeitsbedingungen halten offenbar viele junge Menschen davon ab, Großtierärztin oder -arzt zu werden. Die Bayerische Landestierärztekammer schlägt Alarm: Im Freistaat gibt es immer weniger Nutztierärzte.
Seit 50 Jahren im Einsatz für die Tiere
"Tiere waren schon immer mein Lebensinhalt", sagt Rainer Matzke begeistert. Angefangen hat er 1972 als Assistent. Damals sei es durchaus schwer gewesen, sich das Vertrauen der Pferde- und Kuhbesitzer zu erarbeiten. "Da springt Ihnen erst mal das Misstrauen aus den Augen der Tierbesitzer entgegen. Wenn die dann aber mit der Zeit sehen, dass man was kann, dann kann es sogar sein, dass die Leute sagen: Sei froh, dass der Assistent kommt, der ist besser als der Chef", lacht Matzke. 13 Jahre später übernahm Rainer Matzke schließlich die Praxis in Murnau.
Alltag als Großtierarzt nur schwer planbar
Der Alltag des 77-Jährigen ist nur schwer planbar. Matzke wird etwa gerufen, wenn eine Kuh nicht mehr aufstehen kann, es Probleme bei einer Geburt gibt oder sich ein Tier verletzt hat. Das kann auch spätnachts, an Wochenenden oder Feiertagen passieren. Aus 50 Berufsjahren bleibt dem Großtierarzt besonders ein Einsatz in Erinnerung. Mitten in einer Winternacht wurde er zu einer Tiergeburt auf die Insel Wörth im Staffelsee gerufen. Er stapfte über den gefrorenen See. Das Eis taute schon. "Ich dachte mir nur: Wenn ich jetzt hier einbreche, dann bin ich weg", erinnert sich Matzke. Doch das Eis hielt, und auch die Geburt verlief schlussendlich gut.
Immer weniger Nutztierärzte
So viel Leidenschaft können längst nicht alle für den Beruf aufbringen. Die Zahl der niedergelassenen Nutztierärztinnen und -ärzte in Bayern ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken. Nach Angaben der Bayerischen Landestierärztekammer gibt es derzeit rund 700 Tierärzte in Bayern, die Nutztiere behandeln können. 2020 kamen laut Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit auf einen Nutztierarzt knapp 2.000 Rinder.
Die Gründe für den Rückgang sind vielseitig. Wie der Bundesverband Praktizierender Tierärzte (BPT) mitteilt, gehören viele Nutztierpraktiker der "Babyboomer"-Generation an, die nun nach und nach in Rente geht. Ihre Praxis können sie oft nicht an junge Tierärztinnen und -ärzte geben, da diese eher eine Anstellung anstreben, als sich selbständig machen zu wollen.
Nachwuchs wandert in Forschung oder Industrie ab
Auch sind für viele Berufsanfänger die Arbeitsbedingungen in einer Kleintierpraxis oder in der Stadt attraktiver. Laut BPT wandert jeder dritte Absolvent direkt nach dem Studium in andere Bereiche ab - etwa in die Forschung oder die Pharmaindustrie. Dort fallen keine Notdienste an und die Bezahlung ist besser.
Nach Ansicht der Bayerischen Landestierärztekammer spielt auch die Änderung des Tierarzneimittelgesetzes eine Rolle. Tierärzte müssen seit Januar 2023 jeden Antibiotikaeinsatz in eine Datenbank eintragen. Die Bundesregierung will damit den Antibiotikaeinsatz in der Landwirtschaft senken, und setzt damit EU-Recht um. Demnach müssen Mitgliedstaaten ab 2024 jährlich umfassende Daten zur Anwendung von Antibiotika bei Tieren an die Europäische Arzneimittelagentur übermitteln. Die Landestierärztekammer sieht in der Neuregelung ein "Bürokratiemonster", das den Beruf Tierarzt weiter unattraktiver mache.
"Man baut Beziehungen zu manchen Tieren auf"
Rainer Matzke kann sich trotz all der Schwierigkeiten keinen besseren Beruf vorstellen. Über die Zeit baue man auch Beziehungen zu einigen Tieren auf. "Ich kenne manche Pferde - die werden ja so um die 30 Jahre alt - seit sie Fohlen sind. Zum Teil habe ich die selbst auf die Welt geholt", erzählt der Großtierarzt. Der Tod ist bei seinem Beruf auch immer ein Thema. "Irgendwann wird das Pferd alt und krank, und irgendwann muss man sagen: Jetzt müssen wir dich erlösen." Das gehöre einfach dazu, so Rainer Matzke. Ein Lieblingstier hat er nicht. "Wenn Sie ein Pferd sehen, das über die Weide galoppiert, da geht einem doch das Herz auf. Wenn Sie eine Mutterkuh sehen mit ihrem Kalb, das auf der Wiese grast, oder wenn Sie die Alpakas sehen, wie sie neugierig herkommen. Ich kann mich nicht entscheiden", lacht der 77-Jährige.
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