Mark Stemmler ist Psychologie-Professor an der Universität in Erlangen und forscht unter anderem zu islamistischer Radikalisierung. In diesem Rahmen interviewten er und eine Mitarbeiterin Gefängnisinsassen, die als Gefährder eingeschätzt werden oder unter dem Verdacht stehen, sich zu radikalisieren.
Ermittler beschlagnahmen Forschungsmaterial
Mit seinen Interviewpartnern sprach der Erlanger Professor eigener Aussage nach über deren Kindheit, Familie, über Glauben, den Koran und Politik, allerdings nicht über Straftaten. An einem der Insassen, den Stemmlers Mitarbeiterin interviewt hatte, zeigte jedoch die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München besonderes Interesse. Die Ermittler verdächtigten ihn, Mitglied einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu sein. Laut der Nachrichtenagentur dpa saß der Mann wegen Drogendelikten in der Justizvollzugsanstalt Bamberg.
Als die Ermittler Mark Stemmler im Januar um einen Mitschnitt seines Interviews mit dem Mann baten, habe er sich geweigert. Ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Oberlandesgerichts München bewegte Stemmler schließlich dazu, doch eine Kopie auf einem USB-Stick herauszugeben.
Bewusster Eingriff in die Forschungsfreiheit
Oberstaatsanwalt Klaus Ruhland teilte der Nachrichtenagentur auf Nachfrage mit, der Generalstaatsanwaltschaft sei zwar bewusst gewesen, dass das einen Eingriff in die Forschungsfreiheit dargestellt habe. Allerdings habe man diesen Eingriff für "gerechtfertigt und insbesondere auch für verhältnismäßig" gehalten. Denn es sei um die Aufklärung eines schwerwiegenden Verbrechens gegangen. Und ein Zeugnisverweigerungsrecht für Wissenschaftler beziehungsweise Forscher gebe es nicht.
Ruhland sprach zudem von einem "extrem seltenen Einzelfall". Ein Einzelfall, der offenbar nicht die gewünschten Ergebnisse lieferte. Denn die Generalstaatsanwaltschaft hat die Ermittlungen mittlerweile mangels Tatverdachts eingestellt.
Erlanger Forscher reicht Verfassungsbeschwerde ein
Für Mark Stemmler ist das Thema damit aber nicht erledigt. Er könne derartige Interviews nur führen, wenn er auch in der Lage sei, den Betroffenen Verschwiegenheit zuzusichern. Es sei essenziell, eine Vertrauensbasis aufzubauen. Doch das werde durch das Handeln der Ermittler nun ausgehöhlt.
"Wenn sich das rumspricht, brauche ich in kein Gefängnis mehr gehen", Mark Stemmler, Rechtspsychologie-Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Nun soll Helmut Pollähne, der Anwalt des Erlanger Wissenschaftlers, noch im September Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen. Er kritisiert die Justiz und befürchtet einen "Flurschaden für die Forschung".
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