Der bayerische Ministerpräsident hat offenbar ein neues Lieblingswort. "Lebensfreude pur", twitterte Markus Söder Mitte April, als er nach seiner verkürzten Corona-Isolation die Eröffnung des Augsburger Plärrers besuchte. Am folgenden Tag reiste er nach Traunstein zum Georgiritt: "Brauchtum, Tradition und Heimat geben Halt und Lebensfreude in schwierigen Zeiten."
Auf dem Münchner Frühlingsfest posierte der CSU-Chef im Bierzelt ohne Maske mit Besuchern für Selfies und schrieb: "Volksfeste und Lebensfreude gehören einfach zu Bayern." Und zu seinem Besuch des Augsburger Maifests twitterte Söder: "Es braucht Lebensfreude, mehr Nähe und eine Verschnaufpause nach zwei Jahren Pandemie."
Ob Augsburg oder Passau, Nürnberg oder München - der Ministerpräsident habe in letzter Zeit kein Volksfest ausgelassen, konstatiert die SPD-Gesundheitsexpertin im Landtag, Ruth Waldmann, auf BR24-Anfrage. "Zurzeit ist kein Biertisch vor ihm sicher." Wie passt das zur Corona-Linie, für die Söder lange Zeit stand? SPD und FDP in Bayern sind da sehr unterschiedlicher Meinung - obwohl sie auf Bundesebene gemeinsam mit den Grünen regieren.
Waldmann: "Was sollen die Leute davon halten?"
Für Waldmann passen die Bilder von Söder ohne Maske im Bierzelt nicht zu den Mahnungen der Staatsregierung zur Vorsicht - und dem Aufruf, in Innenräumen freiwillig eine FFP2-Maske zu tragen. "Er und auch Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagen ständig, Corona sei nicht vorbei, aber sie benehmen sich so und signalisieren das auch stark." Es gebe sogar Fotos, auf denen Söder und Holetschek dicht an dicht im Bierzelt sitzen. "Was sollen die Leute davon halten, die gleichzeitig immer diese mahnenden Botschaften hören?" Waldmanns Fazit: Söder gehe es immer nur um Stimmungen. Die SPD-Politikerin würde sich vom Ministerpräsidenten "mehr Zurückhaltung" wünschen.
Deutliche Worte hatte am Freitag auch der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) gefunden: In Bayern sei das von Söder propagierte "Team Vorsicht" aufgelöst und zum "Team Volksfesthopping" umgewandelt worden, kritisierte Reiter. "Ich nehme zur Kenntnis, dass der bayerische Gesundheitsminister, Herr Holetschek, täglich warnt vor den Gefahren des Herbstes, während der bayerische Ministerpräsident sich auf allen Volksfesten, die gerade stattfinden, zeigt - ohne Maske, mit Maßkrug in der Hand, ohne Abstand."
Hagen: "Er freut sich halt"
FDP-Landeschef Martin Hagen zeigt dagegen Verständnis für den Ministerpräsidenten - allerdings mit einer Portion Spott: "Er freut sich halt so, dass er dank der FDP wieder feiern und pro Woche drei Volksfeste eröffnen darf", schrieb Hagen kürzlich auf Twitter. Ähnlich äußerte sich vor einer Woche auch der FDP-Abgeordnete Wolfgang Heubisch: "Markus Söder scheint die zurückgewonnene Freiheit ja offensichtlich zu gefallen, so viel wie er in den letzten zwei Wochen in Bayern angezapft hat."
Ministerium rät zur Maske in Innenräumen
Bayerns Ministerpräsident als begeisterter Besucher diverser Volksfeste – vor nicht allzu langer Zeit hätte das kaum zu Söders Umgang mit der Corona-Pandemie gepasst. Die von der Ampel-Koalition bundesweit vorgegebenen und maßgeblich von der FDP forcierten Lockerungen sah der CSU-Politiker lange skeptisch. Noch Mitte März kritisierte er ein "Prinzip Hoffnung entgegen dem Rat der Experten". Und weiter: "Ab dem 2. April ist dann sozusagen der von der FDP gewünschte und durchgeboxte und durchgedrückte tatsächliche Freedom Day. Ich hoffe sehr, dass diese Freedom nicht für uns alle ein echtes Problem wird."
Söder unterstrich damals in vielen Wortmeldungen, für wie heikel er die Corona-Lockerungen der Bundesregierung hielt. "Das ist nicht Team Augenmaß, sondern Team Blindflug", twitterte er vor gut sechs Wochen. "Wir wollen den Ausstieg, aber schrittweise und kontrolliert." Söder betonte auch lange, wie wichtig das Maskentragen in Innenräumen bleibe. Ähnlich äußerte sich auch Gesundheitsminister Holetschek. Via Twitter teilte er am 20. März mit: "Pandemie vorbei? Wäre schön, reine Illusion. In Wien: Maske drinnen wieder Pflicht. In Berlin derweil: Unvernunft."
Das bayerische Gesundheitsministerium schreibt nach wie vor auf seiner Internetseite: "Es wird weiterhin empfohlen, in Innenräumen eine medizinische Gesichtsmaske oder FFP2-Maske zu tragen." Auch zur Einhaltung eines Mindestabstand von 1,5 Metern wird geraten.
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Corona-Zahlen deutlich gesunken
Ein Grund für Söders neuen Hang zu "Lebensfreude" und "mehr Nähe" dürfte in der Entwicklung der Corona-Zahlen liegen. Die entscheidenden Parameter sinken seit Mitte März deutlich – anders als von manchen Experten nach den damals beschlossenen Lockerungen prophezeit.
Die Sieben-Tage-Inzidenz ist in Bayern seither massiv zurückgegangen: Von rund 2.408 am 22. März auf zuletzt gut 631. Auch auf den Intensivstationen nimmt der Anteil von Corona-Infizierten seit Mitte März deutlich ab: Am 23. März waren es bayernweit 430, am 1. Mai waren es 228. Dazu kommt, dass nicht alle dieser Patienten ursächlich wegen einer Corona-Infektion auf der Intensivstation sind.
Söder plädierte mehrfach fürs Oktoberfest
Ein weiterer Hinweis darauf, dass Söder die Corona-Lage inzwischen deutlich anders einschätzt als noch im März ("Sprung ins Unbekannte"), ist sein Umgang mit dem Oktoberfest. Anders als in den vergangenen beiden Jahren sprach sich der Ministerpräsident heuer vor der Entscheidung mehrmals dafür aus, dass die Wiesn in diesem Jahr wieder stattfindet.
Oberbürgermeister Reiter bemängelte denn auch, dass ihm so mancher seine Meinung via Medien "regelmäßig ungefragt" mitgeteilt und den Eindruck erweckt habe, die Entscheidung für das Oktoberfest sei total simpel. Reiter fiel es dagegen sichtlich schwer, letztlich grünes Licht für die Wiesn (17. September bis 3. Oktober) zu geben. Der Sozialdemokrat hätte gern eine 3G-Zugangsbeschränkung oder eine generelle Testpflicht für das Oktoberfest angeordnet - das von der Ampel aus SPD, Grünen und FDP beschlossene Bundesinfektionsschutzgesetz machte dies aber unmöglich.
Söder lobte anschließend die Entscheidung für das Oktoberfest: Die Wiesn sei wichtig für die Seele Bayerns in schweren Zeiten. "Wer nicht hingehen will, der muss ja nicht, aber trotzdem sollte man das Angebot machen."
- Zum Artikel "Entscheidung in München: Oktoberfest 2022 findet statt"
Warnung vor neuer Corona-Welle im Herbst
Gleichzeitig warnte vor allem Gesundheitsminister Holetschek zuletzt immer wieder vor dem Herbst. Er verwies auf mögliche Gefahren durch eine neue Corona-Mutation – und forderte vom Bund einen "Masterplan" inklusive neuem Anlauf für die Impfpflicht, die jüngst im Bundestag auch an CDU und CSU gescheitert war. Gleichzeitig nannte auch Holetschek die Entscheidung für die Wiesn vertretbar: "Es gibt gute Gründe dafür, das Oktoberfest in diesem Jahr wieder stattfinden zu lassen."
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