Razzia von Polizei und Staatsanwaltschaft
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"Tabubruch": Streit über Razzia bei "Letzter Generation"

Nach der Razzia gegen Klimaaktivisten wächst die Kritik am Vorgehen der Behörden: Beklagt wird eine Vorverurteilung, zudem steht die Frage einer politischen Motivation im Raum. Bayerns Grünen-Fraktionschefin Schulze fordert "unverzüglich Aufklärung".

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Die Bilder von Polizisten mit Sturmhauben vor Wohnhäusern in mehreren Bundesländern gingen durch die Republik. 170 Beamte durchsuchten im Zuge von Ermittlungen gegen Aktivisten der "Letzten Generation" 15 Objekte in sieben Bundesländern. Der Vorwurf: "Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung."

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigte die Razzia, andere warfen den Ermittlungsbehörden dagegen eine öffentliche Vorverurteilung der Gruppierung vor, zudem wurden Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Aktion laut, auch die Frage nach politischer Einflussnahme kam auf.

Die bayerische Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze sieht jetzt die Staatsregierung in der Verantwortung: Innenminister Joachim Herrmann und Justizminister Georg Eisenreich (beide CSU) müssten unverzüglich aufklären, wie es zu der "Vorverurteilung" kommen konnte "und ob die Ermittlungen auf politische Weisung erfolgt sind". Das bayerische Justizministerium wies auf BR24-Anfrage Spekulationen über eine politische Einflussnahme zurück.

"Eklatanter Verstoß gegen die Unschuldsvermutung"

Im Zusammenhang mit der Beschlagnahmung der Internetseite der "Letzten Generation" hatten die Behörden bereits am Mittwochabend einen Fehler eingeräumt. Auf der Seite war vorübergehend der Hinweis von Generalstaatsanwaltschaft und Landeskriminalamt zu lesen: "Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar! (Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!" Nach Kritik in sozialen Netzwerken wurden diese Sätze gelöscht, eine Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München sprach von einem "missverständlichen" Hinweis.

Grünen-Politikerin Schulze bezeichnete das Verhalten der Ermittler als eklatanten Verstoß gegen die Unschuldsvermutung und einen "Tabubruch": "Die Ermittlungsbehörden dürfen nicht gleichzeitig die Richter sein." Das mache den Rechtsstaat aus. Die Grünen fordern laut Schulze nun einen mündlichen Bericht im Innenausschuss des Bayerischen Landtags und reichen zudem eine schriftliche Anfrage an die Staatsregierung ein. "Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Rechtsstaatlichkeit darf nicht verspielt werden!"

"Erkenne meine Bundesrepublik nicht wieder"

Für den Linken-Bundestagsabgeordnete Bernd Riexinger war das eine klare staatliche Vorverurteilung. "Das nennt sich dann politische Justiz", twitterte er. Zudem habe die Justiz im Freistaat mit der Razzia an sich "eine gefährliche Grenze" überschritten. "Macht das Schule, dann kann es in Zukunft jede unliebsame politische Protestbewegung treffen." Grünen-Bundestagsfraktionsvize Konstantin von Notz schrieb: "Die entscheidende Frage, die jetzt rechtsstaatlich geklärt werden muss, ist, ob es eine illegitime politische Einflussname von Seiten der CSU auf die Justiz- und Strafverfolgungsbehörden gab."

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, beklagte, er habe bei der Razzia und der Vorverurteilung durch die Münchner Generalstaatsanwaltschaft ein "wirklich sauschlechtes Gefühl". So etwas habe er bisher immer mit autokratischen Regimen assoziiert. "Erkenne meine Bundesrepublik gar nicht wieder." Der Vorsitzende der Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), Peer Stolle, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) mit Blick auf das Verfahren: "Das ist politisches Strafrecht in Reinform."

Justizministerium: "Keine Weisung"

Laut dem Gerichtsverfassungsgesetz sind die Staatsanwälte in Deutschland weisungsgebunden: "Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen." Das bayerische Justizministerium stellte auf BR24-Anfrage zur Razzia bei der "Letzten Generation" allerdings klar: "Eine Weisung an die Generalstaatsanwaltschaft München ist seitens des Justizministeriums nicht erfolgt."

Von der Möglichkeit einer Einzelfallweisung werde in Bayern lediglich in äußerst seltenen Einzelfällen Gebrauch gemacht, teilte das Ministerium weiter mit. "In den vergangenen Jahren gab es beispielsweise keine Einzelfallanweisung."

FDP-Vize: "Rechtsstaat at work"

Die CSU-Bundestagsabgeordnete Andrea Lindholz wies Vorwürfe, die Ermittlungen seien politisch motiviert, im Deutschlandfunk als "vollkommenen Blödsinn" zurück. Die Staatsanwaltschaft ermittle nach ihrer Erkenntnislage - und es sei ihre Aufgabe, auch entsprechende Maßnahmen einzuleiten. "Genau das ist hier auch erfolgt." Von einem Wahlkampfmanöver zu sprechen, sei ein "unmögliches Ablenkungsmanöver".

FDP-Vize Johannes Vogel wertete die Razzia positiv. "In unserem Rechtsstaat gelten klare Regeln", sagte er im "Morgenmagazin von ARD und ZDF. "Was wir hier erleben ist: Rechtsstaat at work." Es stünden Vorwürfe wie Nötigung, Eingriff in den Straßenverkehr und Sabotageakte auf Infrastruktur im Raum. In Deutschland seien Richter dafür zuständig, über solche Fälle zu entscheiden.

Kriminelle Vereinigung?

Kontrovers diskutiert wird auch die Frage, inwieweit der Vorwurf der kriminellen Vereinigung haltbar ist. Die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) sagte den "Tagesthemen" am Mittwoch, die Letzte Generation lasse sich "nicht in Gänze als eine kriminelle Vereinigung einstufen". Der frühere Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) kritisierte das Vorgehen der Behörden im "Tagesspiegel" als Irrweg: "Die letzte Generation ist keine kriminelle Vereinigung."

Dagegen sagte der SPD-Rechtsexperte Sebastian Hartmann den RND-Zeitungen, die Razzien seien für die Ermittlungen gegen die Letzte Generation wichtig. Allerdings betonte er, bei dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung gehe es bisher um "einen Anfangsverdacht".

Bayerns Justizministerium betonte, laut Strafprozessordnung seien die Staatsanwaltschaften grundsätzlich verpflichtet, einen konkreten Sachverhalt unter sämtlichen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Zu strafrechtlichen Einzelfällen äußere sich das Ministerium grundsätzlich nicht. Dies sei Aufgabe der jeweiligen Staatsanwaltschaft oder des jeweiligen Gerichtes.

Fehlerhafte Altersangabe - keine Festnahme

Die Generalstaatsanwaltschaft München räumte derweil fehlerhafte Angaben zum Alter der sieben Beschuldigten ein: Sie seien nicht zwischen 22 und 38 Jahre alt, sondern 22 bis 48 Jahre.

Die Ermittler werfen ihnen vor, eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die "Letzte Generation" organisiert und so mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt zu haben. Zwei Beschuldigte stehen zudem im Verdacht, einen Sabotageakt auf die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt versucht zu haben. Festgenommen wurde niemand.

Im Audio: Kommentar zur Razzia bei "Letzter Generation"

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