Das Atomkraftwerk Isar 2 ist abgeschaltet.
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Einen Monat nach der Abschaltung der der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland sind kaum Auswirkungen auf die Stromversorgung sichtbar.

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Ein Monat Atomausstieg: Der Strom wurde sogar billiger

Einen Monat nach der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland sind kaum Auswirkungen auf die Stromversorgung sichtbar. Sowohl beim Preis als auch bei der Versorgungssicherheit. Zu tun bleibt trotzdem einiges.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Das System der Stromversorgung in Deutschland hat die Abschaltung der Atomkraftwerke Isar 2 bei Landshut, Emsland und Neckarwestheim 2 gut verkraftet. Im ersten Monat ohne deutsche Atomkraft ist der Strom an der Börse nicht teurer geworden, sondern sogar billiger.

Die Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, Barbie Kornelia Haller, bilanziert im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk: "Die Auswirkungen sind extrem gering."

Mehr Strom aus Wind und Sonne

Das Fehlen des deutschen Atomstroms wird überlagert von anderen Effekten, die stärker sind. "Die Erneuerbaren speisen jetzt im Frühjahr deutlich mehr ein als im Winter", so Haller. Sie sagt aber auch: Erst wenn man ein oder zwei Jahre im Ganzen vergleichen könne, werde man die Auswirkungen des letzten Schritts beim deutschen Atomausstieg sehen können.

Auch Bruno Burger, der am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) die Datenbank Energy Charts betreut, betont: Im Vergleich zur gesamten Stromproduktion in Deutschland und Europa sei der Effekt der drei Atomreaktoren so klein, dass er schwer zu erkennen sei. "Das Wetter hat viel größeren Einfluss als die drei Kernkraftwerke, und auch unsere Nachbarländer haben einen viel größeren Einfluss auf den Strompreis."

Im Frühjahr wird der Börsenstrom immer billiger

Dass die Strompreise an der Börse seit Mitte April gesunken sind, ist normal: Nach dem Ende des Winters ist Strom in Europa immer billiger, weil mehr Wasserkraft zur Verfügung steht und die vielen Stromheizungen alten Typs in Frankreich nicht mehr laufen.

Aus dem gleichen Grund exportiert Frankreich immer – und so auch jetzt – im Sommerhalbjahr Strom nach Deutschland, während es im Winterhalbjahr andersherum ist. Auch das also keine Folge des vollendeten Atomausstiegs. Nachdem vergangenes Jahr ein Großteil der französischen Kernkraftwerke wegen verschleppter Wartung und entdeckter Schäden außer Betrieb war, kehren sie jetzt langsam zurück ans Netz.

Bis Ende des Jahres ist der Atomstrom ersetzt

Rund 30 Terawattstunden jährlich haben die drei jetzt stillgelegten deutschen Atomreaktoren produziert, rechnet Burger vor. Ein Drittel davon könne man in diesem Jahr im Vergleich zum letzten einsparen, weil wegen der abklingenden Krise der Kernkraft in Frankreich nicht mehr so viel Strom dorthin exportiert werden muss. Die verbleibenden 20 Terawattstunden werden nach der Prognose Burgers bereits im Laufe dieses Jahres vollständig durch erneuerbare Energien ersetzt: jeweils zur Hälfte durch den Zubau von Photovoltaik und Windenergie.

Ähnlich, wie es in den Jahren zuvor auch schon mit dem Strom aus den anderen stillgelegten deutschen Reaktoren passiert ist.

"Keine Knappheit": Strommarkt in ruhigerem Fahrwasser

So schätzen das offenbar auch die Akteure am Strommarkt ein: Futures für Strommengen im kommenden Winter werden für Deutschland deutlich billiger gehandelt als für den vergangenen – und auch viel billiger als in Nachbarländern wie Frankreich. Bruno Burger vom Fraunhofer ISE betont: "Es gibt keine Stromknappheit in Deutschland – und Deutschland hat auch genügend Erzeugungskapazität.“ Wenn zeitweise Strom von anderen Ländern nach Deutschland fließt, heiße das nur, dass die Stromerzeugung zu diesem Zeitpunkt in anderen Ländern billiger als in Deutschland ist.

Ohne "gesicherte Leistung" geht es nicht

Freilich braucht es auch sogenannte gesicherte Leistung. Also Kraftwerke, die in jenen Stunden des Jahres einspringen, in denen Wind und Sonne fehlen – während einer so genannten Dunkelflaute. Hier werden die drei stillgelegten Kernkraftwerke im nächsten Winter fehlen.

Trotzdem hat ein Ende April veröffentlichter Bericht der Bundesnetzagentur festgestellt: Auch im kommenden Winter ist die sichere Stromversorgung in Deutschland gewährleistet. Im Inland muss die Bundesnetzagentur sogar viel weniger Reservekraftwerke unter Vertrag nehmen als im vergangenen Winter: statt 8,3 nur noch 4,6 Gigawatt. Was allerdings vor allem daran liegt, dass Kohlekraftwerke aus der Reserve in den regulären Betrieb zurückgekehrt sind.

Renaissance der Kohle ist ausgeblieben

Was für das Klima übrigens am Ende weniger schlimm war, als manche befürchteten. Denn die wieder an den Markt zurückgekehrten Kohlekraftwerke liefen vergleichsweise wenig.

Die oft kritisierte "Renaissance der Kohle" ist in Deutschland und Europa trotz der Energiekrise ausgeblieben. Im Gegenteil: Deutschland hat nach einem Bericht der Denkfabrik Ember im vergangenen Winter sogar zehn Terawattstunden weniger Kohlestrom produziert als im Jahr zuvor. Vor allem, weil die Energiesparbemühungen erfolgreich waren und im Jahresvergleich rund sieben Prozent weniger Strom verbraucht wurden.

Süddeutschland braucht Kraftwerke im Ausland

Ganz allein schafft es Deutschland trotzdem nicht, im Winter genug gesicherte Leistung bereitzustellen. Und zwar schon seit Jahren nicht. Das liegt daran, dass die meisten Kohlekraftwerke in Norddeutschland stehen und die großen Nord-Süd-Stromleitungen noch immer nicht fertig sind.

Deshalb müssen auch im Ausland Reservekraftwerke für den Winter unter Vertrag genommen werden. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Wasserkraftwerke in der Schweiz oder Gaskraftwerke in Österreich. Nach dem Bericht der Bundesnetzagentur sinkt dieser Bedarf an ausländischen Ersatzkraftwerken im kommenden Winter jedoch trotz des Atomausstiegs sogar ein wenig: von 1,4 auf 1,3 Gigawatt.

Wer baut die nötigen Gaskraftwerke?

Das Ziel wäre aber eigentlich, in Deutschland selbst genug gesicherte Leistung zu haben. Und hier herrscht noch Nachholbedarf. Zumal ja auch die Kohlekraftwerke möglichst bald zu ersetzen sind. In den nächsten Jahren müssen in Süddeutschland deshalb Gaskraftwerke gebaut werden, die auch Wasserstoff-fähig sind, betont Barbie Kornelia Haller von der Bundesnetzagentur. Aber: "Im Moment sehen wir die Investitionen in diese Kraftwerke nicht. Insofern braucht es wohl einen Mechanismus, die Investitionen anzureizen, damit diese Kraftwerke auch tatsächlich kommen."

Dieses Problem ist nicht neu. Gesprochen wird davon schon seit mehr als einem Jahrzehnt, bislang jedoch ohne wirkliches Ergebnis. Es tatsächlich zu lösen und zu entscheiden, wie diese neuen Gaskraftwerke entstehen sollen – auch diese Aufgabe fällt jetzt der aktuellen Bundesregierung zu.

Dieser Artikel ist erstmals am 15.05.23 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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