In der Nähe des Münchner Hofgartens entdeckt Fabian Schreyer das laufende Ei. Oder genauer: Die Person, die sich ein überdimensioniertes Eier-Kostüm über den Kopf gezogen hat. Nur noch die Beine schauen unten raus. Sie legen den Verdacht nahe, dass sich ein Mann unter dem Ei verbirgt. Schreyer folgt ihm zur U-Bahn-Station Odeonsplatz.
Der Bahnsteig ist schon leer. Das laufende Ei tritt als Letztes über die Schwelle der U-Bahn-Tür. In diesem Moment drückt Fabian Schreyer auf den Auslöser seiner Kamera. "Es war weder Fasching noch irgendetwas, was erklärt hätte, warum eine Person mit einem riesigen Eier-Kostüm über dem Kopf durch München spaziert. Und das sind so Situationen, die mich ansprechen oder interessieren. Wo ich mir denke: Was hat es damit auf sich?"
Der Betrachter rätselt mit
Das macht den Reiz von Schreyers Ausstellung im Café des Augsburger Schaezlerpalais aus. Bei vielen Bildern rätselt der Betrachter mit. Wo ist der Kopf des alten Mannes? Warum vergräbt die Frau im roten Kleid ihr Gesicht in der Hand? Weint sie? "In Limbo" nennt Schreyer das, was übersetzt "in der Schwebe" bedeutet.
In der Schwebe ist zunächst einmal die Identität der Fotografierten. Aber auch die Rolle des Fotografen, der vielen inzwischen suspekt sei, sagt Schreyer: "Da ist die Angst vor dem Missbrauch von persönlichen Daten, werde ich überall online gepostet? Da spielt die Angst vor Überwachung mit rein, auch staatlicher Überwachung. Und es gibt eine generelle Angst, die eigene Deutungshoheit zu verlieren", sagt der zwei Meter große Fotograf.
Schreyer spricht von Paranoia
Schreyer spricht sogar von Paranoia, die ihm Sorge macht. "Nehmen sie einen Bildband aus den 60er oder 70er Jahren. Wie sich die Leute gekleidet haben auf den Straßen, was für Autos herumfuhren, welche Spiele die Kinder gespielt haben. Da würden wahrscheinlich alle sagen: 'Das ist total spannend zu sehen, wie sich der Ort verändert hat und wie das damals aussah.' Ja okay. Aber diese Bilder muss halt jemand machen."
Schreyer macht diese Bilder. In Augsburg, aber auch in Ländern wie Marokko. Es seien wichtige Bilder, sagt Schreyer, denn Straßenfotografie sei nicht gestellt, nicht inszeniert, eine Dokumentation unserer Zeit. "Die Straßenfotografie-Szene hat sich in den 2000er Jahren sehr stark international über Social Media zusammengefunden. Und daraus ist bei mir damals die Idee entstanden, ein internationales Straßenfotografiekollektiv zu gründen."
Feedback aus dem Kollektiv
Schreyer tauscht sich seitdem mit Kolleginnen und Kollegen aus Marseille oder London aus. Vor allem, um ehrliches Feedback zu bekommen und so ein besserer Fotograf zu werden: "Weil sich auf Social Media die Leute meistens nicht viel Zeit nehmen, um sich mit Bildern auseinanderzusetzen. Da kriegt man schnell ein Like oder ein 'nice shot' oder irgendwie so etwas. Das bringt einen aber nicht wirklich weiter."
Der Rundgang im Schaezlerpalais endet vor dem Bild einer älteren Frau. Sie sitzt auf einer Straßenbank, vor ihr ein Koffer. Vor das Gesicht hält sie sich eine Zeitschrift. Und wieder rätselt man: Hat sie in diesem Moment gesagt, nicht fotografiert werden zu wollen? "Nein", sagt Schreyer, "die Frau hat sich in dem Moment vor der Sonne geschützt. Die sitzt vor einem Plärrer-Zelt." Der Schwebezustand, manchmal hat er so banale Gründe wie die Hitze auf dem Volksfestplatz.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!