Am 3. Juni entgleiste ein Regionalzug in Burgrain, einem Ortsteil von Garmisch-Partenkirchen. Fünf Menschen sind bei dem Unglück gestorben. Seither geht die Frage um: Wie konnte das passieren? Noch gibt es dazu keinerlei Gewissheiten - dafür aber immer mehr Vermutungen und Hinweise. Sie deuten darauf hin, dass der Oberbau, also Schienen oder Schwellen, beschädigt gewesen sein könnten.
Eine private Initiative aus dem Norden Deutschlands gibt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden. Die Gruppe namens "Prellbock Altona e.V." hat zusammen mit dem langjährigen Vorsitzenden von Pro Bahn Berlin-Brandenburg, Dieter Doege, eine eigene Analyse erstellt. Sie vermuten, dass an der Unglücksstelle schon vor mehr als 20 Jahren Fehler gemacht wurden: bei einem großen Straßenbauprojekt.
Private Analyse: Straßenbau hat mehrere Probleme geschaffen
Doege stellte die Analyse am Dienstag in München vor, zusammen mit Michael Jung von "Prellbock Altona", dem Bahn-Experten und ehemaligen Bundestagsabgeordneten Winfried Wolf und Uwe Böhm, dem bayerischen Bezirksvorsitzenden der Lokführer-Gewerkschaft GDL.
In ihrer Analyse gehen die Autoren zurück in die 1990er-Jahre. Damals wurden bei Garmisch-Partenkirchen die Bundesstraßen B2 und B23 miteinander verknüpft. Um dafür Platz zu gewinnen, verlegte man das Bett des Katzenbachs, eines kleinen Wildbachs. Der Katzenbach verläuft nun in einem schmalen Graben zwischen dem Bahndamm und der damals neu entstandenen Straßenböschung. Und dies sei in mehrerlei Hinsicht ein Problem, so Doege.
Wildbach und Straßenböschung zu nah am Bahndamm?
In der Analyse stellen Doege und seine Mitstreiter die These auf, dass der Katzenbach bei Hochwasser Schotter aus dem Bahndamm herausgespült und ihn damit instabil gemacht haben könnte. Eine Fangschiene zwischen den beiden vorhandenen Schienen hätte außerdem ein Entgleisen verhindert; eine Pflicht, sie an einer Stelle wie dieser einzubauen, gebe es aber nicht.
Das größte Problem ist aus Doeges Sicht jedoch die Straßenböschung. Er ist sich sicher: Hätte es sie nicht gegeben, wäre das Unglück glimpflicher ausgegangen. Denn die entgleisten Waggons konnten nicht langsam rutschen und dabei bremsen, sondern prallten vermutlich noch mit hoher Geschwindigkeit gegen die Böschung.
An der Pressekonferenz zu möglichen Unglücks-Ursachen herrschte reges Interesse.
Burgrain-Analyse: Ob sie richtig liegt, ist nicht klar
Ob sie mit ihrer Analyse recht haben, wissen die Macher nicht. Das betonten die Bahn-Experten bei der Veranstaltung immer wieder. "Wir sagen nur, dass es so gewesen sein könnte", so Dieter Doege. "Wir wissen nicht genau, was die Entgleisungsursache war." Auch der bayerische GDL-Sprecher Böhm betonte: "Wir sprechen im Konjunktiv. Wir wollen zeigen, dass planerisches Versagen der Grund sein könnte."
Die Annahmen in der Analyse sind nur schwer beweisbar oder widerlegbar. Klar ist, dass die Regierung von Oberbayern im April 1994 mit einem Planfeststellungsbeschluss das Straßenbauprojekt möglich machte. Für Planung und Bau war die Autobahndirektion Südbayern zuständig. Die Bahn war während Planung und Bau beteiligt; das bestätigt das Staatliche Bauamt Weilheim.
DB Netz äußert sich nicht
Wegen der Verlegung des Katzenbachs war auch das Wasserwirtschaftsamt Weilheim beteiligt. Der Hochwasserschutz sei berücksichtigt worden, so das Amt. "In den uns vorliegenden Planunterlagen wurde eine Hochwasserlinie (Hochwasserstand) sowie eine Ufersicherung eingezeichnet", heißt es in einem Schreiben an den BR.
Die DB Netz AG, die für die Schienen-Infrastruktur der Bahn zuständig ist, äußert sich nicht - weder zu dem Straßenbauprojekt in den 1990er-Jahren noch zu den Vermutungen, die Dieter Doege und seine Mitstreiter in ihrer Analyse anstellen. Man verweise "auf die immer noch laufenden Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Unfall in Garmisch", so eine Sprecherin in einem Schreiben.
Gewerkschafter: "Nicht Einzelne zum Bauernopfer machen"
Die genaue Ursache für das Zugunglück ermitteln derzeit noch die Staatsanwaltschaft und die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung. Doch der bayerische GDL-Vorsitzende Uwe Böhm befürchtet, dass am Ende nur ein "Bauernopfer" verantwortlich gemacht werde. Dabei müsse man "auf das ganze System Bahn" schauen, so der Gewerkschafter: "Wir wollen, dass die Infrastruktur gestärkt wird." Dafür brauche es eine Gesellschaft in öffentlicher Hand. "Und die sollte keine Gewinne abwerfen müssen." Denn über das marode Schienennetz beklagen sich inzwischen viele: Lokführer, Bahngesellschaften und nicht zuletzt die Fahrgäste.
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