Das Atomkraftwerk Isar 2
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Armin Weigel

Das Atomkraftwerk Isar 2

  • Artikel mit Video-Inhalten

SPD und Grüne in München für längere Laufzeit des AKW Isar 2

Wegen der unsicheren Gaslieferungen aus Russland plädieren in München nun auch SPD und Grüne für eine etwas längere Laufzeit des Atomkraftwerks Isar 2. Oberbürgermeister Reiter will sich deshalb an den Bund wenden. Der CSU reicht das nicht.

Nach der CSU im Münchner Stadtrat plädieren nun auch SPD und Grüne in der Landeshauptstadt dafür, die Laufzeit des Atomkraftwerks Isar 2 unter bestimmten Voraussetzungen zu verlängern. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) teilte mit, der Aufsichtsrat der Stadtwerke München habe auf seinen Vorschlag hin beschlossen, "dass ich an die Bundesregierung herantrete und sie auffordere, unter anderem die gesetzlichen Voraussetzungen für einen sogenannten Streckbetrieb für das Atomkraftwerk Isar 2 zu schaffen".

Reiter: "Bis längstens Mitte nächsten Jahres"

Bei einem Streckbetrieb könnte das Kernkraftwerk mit den derzeit verwendeten Brennstäben noch eine Zeitlang mit geringerer Leistung betrieben werden - Reiter zufolge "bis längstens Mitte nächsten Jahres". Damit ließe sich zumindest ein Beitrag dazu leisten, "auch im Fall einer weiteren Verschärfung der Situation die Versorgungslage der Münchner Bürgerinnen und Bürger zu entspannen".

Stadtwerke-Chef Florian Bieberbach sagte auf BR-Anfrage: "Die Stadtwerke München halten aufgrund der Energiemangellage die Prüfung eines 'Streckbetriebs' für das AKW Isar 2 für angebracht." Eigentlich soll Isar 2 Ende des Jahres abgeschaltet werden. Auf Bundesebene lehnen vor SPD und Grüne bisher einen längeren Betrieb der drei noch aktiven Atommeiler ab.

Habenschaden: Versorgungssicherheit an erster Stelle

Auch Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) teilte mit: "Sollte der Stresstest des Bundeswirtschaftsministeriums ergeben, dass München ein Engpass bei der Stromversorgung droht, darf ein Streckbetrieb von Isar 2 kein Tabu sein." Die Versorgungssicherheit der Münchnerinnen und Münchner stehe für sie als Bürgermeisterin an oberster Stelle.

Stromengpässe würden laut Habenschaden auch die Unternehmen schwer treffen. "Dies gilt es unbedingt zu vermeiden, denn ohne eine starke Wirtschaft wären wir als Kommune nicht mehr fähig, die sozialen Härten dieser Krise abzumildern." In dieser außergewöhnlichen Situation müsse Politik kompromissbereit und pragmatisch sein. "Als Grüne übernehmen wir Verantwortung für München." Auf Bundesebene lehnen vor SPD und Grüne bisher einen längeren Betrieb der drei noch aktiven Atommeiler ab.

Grüne: CSU hat Bayern von russischem Gas abhängig gemacht

Nach Meinung des Grünen-Fraktionschefs im Stadtrat, Dominik Krause, ist es wegen der "sehr angespannten Versorgungslage" notwendig, "dass die Bundesregierung eine erneute Bewertung eines Streckbetriebes von Isar II vornimmt". Dabei könnten die bereits genutzten Brennelemente für einige Monate weiterverwendet werden, ohne dass neuer Atommüll entstehe. "Die Verlängerung des Betriebs von AKWs, wenn auch nur für wenige Monate, widerspricht unseren politischen Zielen als Grüne. Doch wir stehen auch in der Verantwortung, die Energieversorgung für alle sicherzustellen."

Habenschaden attackierte zugleich die CSU scharf: "Die CSU hat Bayern von russischer Energie abhängig gemacht. Kein anderes Bundesland importierte 2021 annähernd so viel Gas und Öl aus Russland." Gleichzeitig sei durch die Staatsregierung der Ausbau von Erneuerbaren Energien verschlafen oder aktiv verhindert worden, zum Beispiel durch die 10H-Abstandsregel. "Das rächt sich jetzt."

Auch SPD-Landeschef Florian von Brunn beklagte, dass die CSU die Windkraft über Jahre blockiert habe, dass wegen des Widerstands von CSU und Freien Wählern große Gleichstromleitungen fehlten, "die den Windstrom aus dem Norden zu uns bringen". Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Katharina Schulze, sagte dem BR, die CSU-Regierung habe Bayern sehr schutzlos gemacht.

Reiter: Keine neuen Brennstäbe

Die Beschaffung neuer Brennstäbe und eine Laufzeitverlängerung um mehrere Jahre - wie sie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert - lehnen Reiter und Habenschaden ab. Dies komme für ihn "nach wie vor aufgrund der völlig ungelösten Endlagerproblematik keinesfalls in Betracht", stellte Reiter klar.

SPD-Landeschef von Brunn würde auch einen Streckbetrieb gerne vermeiden. "Denn es hängen Sicherheitsprobleme daran, es hängen ungeklärte rechtliche Fragen daran - unter anderem zum Beispiel die Frage: Wer übernimmt die Verantwortung?" Entscheidend sei aber das Ergebnis des Stresstests. Es sei in Ordnung, wenn man Vorkehrungen treffe, um für mögliche Resultate gerüstet zu sein.

Grünen-Abgeordnete widerspricht Parteifreunden

Die oberfränkische Grünen-Bundestagsabgeordnete und Klimapolitikerin Lisa Badum widersprach ihren Münchner Parteifreunden: "Der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken als Wiedergutmachung der desaströsen bayerischen Energiepolitik der vergangenen Jahre ist kein Wundermittel für die ersehnte Versorgungssicherheit", teilte sie BR24 mit. Bei der Atomdebatte gehe es lediglich um fünf Prozent der Stromversorgung. Badum plädiert für eine "breite Palette aus Energieeffizienz, Erneuerbaren und Energiesparen".

Scharfe Kritik kam auch vom Bund Naturschutz: Er sieht SPD und Grüne auf "Irrwegen". Landeschef Richard Mergner warnte vor der "Aufkündigung des gesellschaftlichen Konsens", die letzten Atomkraftwerke am 31. Dezember abzuschalten. "Das wäre der Einstieg in eine Laufzeitverlängerung." All Anstrengungen müssten vielmehr in die Energieeinsparung und in die Energieerzeugungsformen fließen, "die im Gegensatz zur Atomkraft wirklich sicher und CO2-frei sind und die uns unabhängig machen, und das sind nur die erneuerbaren Energien". Atomkraftwerke seien ein Sicherheitsrisiko, betonte Mergner. Er fügte hinzu: "Um die Abhängigkeit vom Gas zu reduzieren benötigen wir keine AKWs, sondern neben der Energiewende vor allem eine Wärmewende."

CSU: Streckbetrieb nutzlos

Die Stadtratsfraktion von CSU und Freien Wählern begrüßte Reiters "Einsicht" und die "grün-rote Kehrtwende". Fraktionschef Manuel Pretzl betonte: "Wir müssen alle Maßnahmen ergreifen, um die Versorgungssicherheit in München zu gewährleisten." Mitten in der Energiekrise ein Kraftwerk abzuschalten, das einen großen Beitrag zur Versorgung der Menschen hier vor Ort leisten könne, "wäre ein eklatanter Fehler".

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder appellierte an SPD und Grüne in Bayern und im Bund, über ihren "Schatten zu springen" und sich der AKW-Forderung ihrer Münchner Parteifreunde anzuschließen: "Wenn sie es vor Ort können, ist es doch auch kein Problem, es auch national zu tun", sagte Söder im Landtag. Dagegen geht dem Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, der Vorstoß von Reiter und Habenschaden nicht weit genug: Ein Streckbetrieb würde keine Vergrößerung der gewonnenen Strommenge bedeuten - und sei damit nutzlos, sagte Dobrindt bei einer Klausurtagung im oberfränkischen Kloster Banz. Es gehe um eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten.

Merz: "Die Dinger müssen weiter laufen"

CDU-Chef Friedrich Merz sagte in Kloster Banz, der Streckbetrieb mache nur dann Sinn, wenn die gewonnene Zeit dazu genutzt werde, über den Winter neue Brennelemente für eine verlängerte Laufzeit zu beschaffen. Frankreich gelinge es, Brennstäbe für mehr als 50 Kernkraftwerke zu besorgen. Die Frage sei, ob Deutschland dies für drei Anlagen gelänge. "Technisch geht es, juristisch ist es möglich, politisch muss es gewollt werden", sagte Merz. "Ob mit oder ohne Streckbetrieb ehrlich gesagt ist mir wurscht. Die Dinger müssen weiter laufen."

AKW Isar 2
Bildrechte: BR

AKW Isar 2

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!