Seit Jahren diskutiert der Bundestag in wechselnder Besetzung ein neues Wahlrecht, das das Parlament verkleinern soll. Am Freitag hat die Ampel-Koalition nun eine Reform beschlossen - und die Empörung ist groß, besonders bei der CSU. Bei einer kurzfristig einberufenen Vorstandssitzung hat die Partei beschlossen, Verfassungsbeschwerde einzulegen.
Söder: "Wahlrechtsreform ist Schwächung der Stimme Bayerns"
"Zutiefst undemokratisch" sei die Reform und und unterlaufe das Föderalismusprinzip, so Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk am Samstag in Nürnberg. Zum einen würden so direkt vom Volk gewählte Politiker ihren Sitz im Bundestag verlieren. Zum anderen blieben so die Stimmen von neun Millionen Bundesbürgern im Süden und Osten Deutschlands unberücksichtigt. Die Wahlrechtsreform sei eine Schwächung der Stimme Bayerns in Deutschland, so der Ministerpräsident. Das sei nicht hinzunehmen.
Laut "Bild am Sonntag" hat Söder Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aufgefordert, die Wahlrechtsreform zu stoppen. "Wir appellieren an den Bundespräsidenten, dass er dieses offensichtlich verfassungswidrige Gesetz nicht unterschreibt", sagte der CSU-Vorsitzende der Zeitung.
- Zum Artikel: Wahlrechtsreform: Ein Riss geht durch den Bundestag
Söder erteilt Zusammenschluss mit CDU Absage
Das Votum zur Verfassungsbeschwerde sei einstimmig gewesen, so Söder, und die Verfassungsbeschwerde sei auch unabhängig von der von CDU-Chef Friedrich Merz ins Spiel gebrachten Normenkontrollklage. Einer gemeinsamen Wahlliste von CDU und CSU oder einem Parteienverbund, wie von Mitgliedern der Bundesregierung vorgeschlagen, erteilte Söder eine klare Absage. Das Verfassungsgericht habe bereits früher geurteilt, dass so ein Vorgehen unzulässig sei.
Wahlrechtsreform benachteiligt CSU und Linkspartei
Die Zahl der Abgeordneten soll laut der Wahlrechtsreform künftig bei 630 festgeschrieben sein. Und zwar als feste Größe. Das heißt: Überhangmandate wird es nicht mehr geben. Und damit auch keine Ausgleichsmandate. Was ebenfalls wegfallen soll: die Grundmandatsklausel.
Die CSU profitiert aktuell von einem starken Direktwahlergebnis. Sie gewann bei der letzten Bundestagswahl 45 der 46 bayerischen Wahlkreismandate. Mehr als ihr Zweitstimmen-Ergebnis von bundesweit 5,2 Prozent hergab. Als Folge gab es für die CSU elf Überhangmandate, von denen wiederum acht ausgeglichen wurden. Diese acht Überhangmandate hatten 127 Ausgleichsmandate für die anderen Parteien zur Folge.
2021 kam die CSU bundesweit auf 5,2 Prozent. Wäre sie unter die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht, hätte sie nach dem neuen Modell keines der 45 errungenen Direktmandate bekommen. Sie wäre im Bundestag nicht vertreten. Die Linkspartei wäre schon jetzt nicht mehr vertreten, sie profitiert aktuell von der Grundmandatsklausel. Die Partei gewann bei der Bundestagswahl 2021 drei Direktmandate und 4,9 Prozent der gültigen Zweitstimmen.
Bayern-FDP unterstützt und kritisiert die CSU
Mit der Kritik am neuen Wahlrecht ist die CSU daher nicht allein. Die Linke empört sich ebenso. Und auch in Bayern erhält die CSU Unterstützung - zumindest ein bisschen. Der bayerische FDP-Vorsitzende Martin Hagen äußerte sich auf dem FDP-Parteitag: Er habe Söder persönlich zugesagt, sich für eine Lösung einzusetzen. Es sei nicht das Ziel der FDP, dass die CSU aus dem Bundestag fliege. Und es sei auch den Wählern nicht vermittelbar, dass dutzenden Wahlkreis-Siegern das Bundestags-Direktmandat verweigert würde. Dazu habe er bereits mit der Landtags- und Bundestagsfraktion vereinbart, sich für eine gerechtere Wahlrechtsreform einzusetzen, indem man beispielsweise Listenverbindungen ermögliche, so der bayerische FDP-Chef.
Hagen: Die CSU verdient kein Mitleid
Allerdings ließ Hagen auch durchklingen, dass die CSU die Reform jahrelang blockiert habe und stets selbst darauf erpicht war, die Reform so zu gestalten, dass es die wenigsten Verluste für ihre eigene Partei gebe. Auch bei der aktuellen Diskussion um die Reform habe die CSU keinerlei Kompromissbereitschaft gezeigt und sich damit selbst ins Abseits gestellt. Damit verdiene die CSU kein Mitleid, so Hagen.
Politikwissenschaftlerin Münch hat Bedenken bei der Reform
Auch von unabhängiger Seite ist durchaus Kritik an der Wahlrechtsreform zu hören. Im BR-Interview hat die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch die Reform unter die Lupe genommen und benannte "bedenkliche Elemente": "Ich halte es für problematisch, dass die Grundmandatsklausel nicht gleichwertig ist wie die Fünf-Prozent-Hürde, weil der föderale Gedanke völlig hinten runterfällt."
Die Reform sei eine Schlechterstellung von zwei Parteien im Bundestag, und dies halte sie für problematisch. Münch geht davon aus, dass es bei dem Beschluss in dieser Form nicht bleiben wird: "Entweder es kommt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts oder man macht andere Zugeständnisse."
Münch: CSU hat maßgeblichen Anteil an der Misere
Doch die Politikwissenschaftlerin betonte auch in dem Gespräch, dass die CSU maßgeblichen Anteil an dieser Misere habe: In den vielen Jahren, in denen sie mitregiert hatte, habe die Partei immer nur nach Lösungen gesucht, die für sie selbst günstig gewesen wären. "Jetzt ist man das Objekt des Handelns anderer und einen Kompromiss zu finden, ist schwierig."
- Zum Artikel: FAQ zur Wahlrechtsreform: Die Pläne im Einzelnen

Politikwissenschaftlerin Ursula Münch äußerte Bedenken hinsichtlich der Wahlrechtsreform. (Archivbild)
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