Der Haupteingang des neuen Universitätsklinikums Augsburg. (Archiv)
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Wer darf leben, wer muss sterben? Auf 20 Seiten hat das Uni-Klinikum Augsburg ein Triage-Konzept vorgelegt.

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So würde Triage in einer bayerischen Uni-Klinik ablaufen

Gegen Weihnachten wird bundesweit eine Höchstzahl an Corona-Intensivpatienten erwartet. Sollte dann Triage nötig werden, hat das Uni-Klinikum Augsburg ein Konzept erarbeitet. Ein Team müsste Patienten bewerten und über Leben und Tod entscheiden.

Wer darf leben, wer muss sterben? Auf 20 Seiten hat das Uni-Klinikum Augsburg ein Triage-Konzept vorgelegt, das inzwischen auch an kleinere Kliniken weitergegeben wurde. "Es geht tatsächlich darum, einem das Bett wegzunehmen, um es einem anderen zu geben", sagt Professor Axel Heller, der im Gebiet Nordschwaben die Intensiv-Kapazitäten koordiniert.

Rot, Orange, Gelb. Drei Kategorien sieht das Konzept für Intensivpatienten vor. Und zwar für alle, nicht nur für Covid-Fälle. Wer in der roten Kategorie eingruppiert wird, hat die höchste Priorität und wird weiter behandelt. Wer bei Gelb landet, hat die niedrigste Priorität und müsste um sein Intensiv-Bett fürchten.

Alter und Impfstatus sollen keine Rolle spielen

Doch wer landet wo? Und warum? Alter, Impfstatus oder eine Behinderung sind keine Kriterien, stellt Professor Heller klar. Es geht rein um die Erfolgsaussicht der Behandlung – sofern man diese Erfolgsaussicht bestimmen kann. Dabei helfen soll der sognannte SOFA-Score, das "Sequential Organ Failure Assessment". Dabei geht es darum, den Gesundheitszustand des Patienten messbar zu machen.

Neben Laborwerten geht es vor allem um Begleiterkrankungen wie Krebserkrankungen, Herzerkrankungen, chronische Lungenleiden, Niereninsuffizienz, Leberzirrhose und neurologische Erkrankungen. Je schwerer eine dieser Begleiterkrankungen ist, umso näher rückt die Kategorie Gelb.

"Am Ende geht es um eine Rangliste"

Wie schwer eine Begleiterkrankung wirklich ist, ist im klinischen Alltag jedoch oft schwer zu bewerten – gerade wenn die Zeit drängt. Deshalb wird auch der Grad der Gebrechlichkeit in die Entscheidung einbezogen. Ganz oben auf der Skala stehen die Sportler, ganz unten bettlägerige, pflegebedürftige oder todkranke Menschen. "Am Ende geht es um eine Rangliste", sagt Heller.

Eine Rangliste, auf der auch Schwangere stehen können. Geht es der Mutter unabhängig von der Erkrankung, wegen der sie auf die Intensivstation gekommen ist, gut und ist die Schwangerschaft intakt, wird sie immer den ersten Platz einnehmen. "Zwei Lebenden die höchste Dringlichkeit einräumen", heißt es in dem Konzept. Bei kritisch kranken Schwangeren sollte jedoch "möglichst zeitnah eine geburtshilfliche Untersuchung erfolgen". Sprich: Den Kaiserschnitt prüfen, damit zumindest das Kind überlebt. Ein Fall, der in Augsburg schon vorgekommen ist. Die Mutter ist in der Folge verstorben.

Uni-Klinik bestimmt dreiköpfiges Triage-Team

Die Entscheidung über Leben und Tod soll bei allen Intensivpatienten nicht der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin fällen, die vielleicht eine persönliche Beziehung zu dem Patienten aufgebaut hat, oder in engerem Kontakt mit der Familie stand. Stattdessen entscheidet ein ausgewähltes Triage-Team.

An der Spitze des dreiköpfigen Teams steht der sogenannte Triage-Beauftragte. Zwei Intensivmediziner und eine Anästhesistin sind in Augsburg dafür vorgesehen. Führungsqualität, Kommunikationsstärke und Konfliktlösung würden sie auszeichnen, so die Klinik. Eine Pflegekraft sowie eine dritte unabhängige Person, zum Beispiel ein Mitglied des Klinischen Ethikkomitees, komplettieren das Triage-Team.

Wer sagt es dem Patienten?

Hat das Team die Entscheidung getroffen, wird zuerst der betreuende Stationsarzt informiert. Dieser entscheidet dann zusammen mit dem Triage-Beauftragten, wie dem Patienten und dessen Angehörigen die Entscheidung am besten erklärt wird. Bei diesem Gespräch sollte bereits ein Palliativmediziner mit einbezogen werden. Dem betroffenen Patienten einen möglichst angst- und schmerzfreien Tod zu ermöglichen, ist alles, was die Klinik nun noch für ihn tun kann.

Doch natürlich kann es vorkommen, dass der Betroffene oder dessen Angehörige sich nicht mit dem nun drohenden Tod abfinden wollen. Oder das Behandlungsteam widerspricht den Einschätzungen des Triage-Teams. Doch nur wenn dem Triage-Team bei der Eingruppierung ein Fehler unterlaufen ist, zum Beispiel bei der Bewertung der Begleiterkrankungen, kann die Entscheidung angefochten werden.

"Keine Hilfe von den Behörden"

"Hilfe seitens der Behörden gab es bei der Triage nie. Man hat das immer ausgespart, weil man sich damit nie befassen wollte", beklagt Professor Heller. Von der Bundespolitik wünscht er sich Leitplanken für diese moralische Maximalfrage. "Nach aktueller Rechtslage ist die Triage ein Straftatbestand. Ein Arzt hätte also erst mal eineinhalb Jahre ein Verfahren wegen Totschlags anhängen. Und das muss man aushalten können", so Heller weiter.

Heller glaubt, dass der Höchststand an Corona-Intensivpatienten in der Region womöglich schon erreicht wurde. So hofft er, dass sein Team in der Weihnachtszeit um die Triage herumkommen wird. Ausschließen kann er es aber nicht.

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