Sichtschutz
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Streitfall Sichtschutz im Garten: Weniger ist manchmal mehr

Kleinere Grundstücke, mehr Verkehr und eine dichtere Bebauung führen dazu, dass immer mehr Gartenbesitzer hohe Sichtschutzwände oder Hecken um ihren Grund setzen. Nicht nur das Ortsbild leidet darunter, auch viele Tiere sind die Opfer.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Sichtschutz ist vielen ein Grundbedürfnis, doch der richtige ist schwer zu finden. Mauern, Sichtschutz-Wände oder Hecken gefallen nicht jedem: Nicht nur das Ortsbild leidet darunter, wenn der Weg durch das Dorf oder den Stadtteil eingeengt wird. Doch es gibt verschiedenste Lösungen aus verschiedenen Richtungen.

  • Zum Artikel "Sichtschutz im Garten: Es muss nicht immer Thuja oder Buche sein"

Bloß nicht auf dem Präsentierteller?

Den einen sind draußen auf der Straße zu viel Autos unterwegs, die anderen möchten sich im Garten geschützt wie in einem Zimmer fühlen und errichten deswegen einen Sichtschutz. Vielleicht steckt auch ein zunehmendes Bedürfnis nach Sicherheit hinter manchen Gabionen und Metallzäunen, vermutet der Münchner Landschaftsarchitekt Franz Damm, Mitglied im Vorstand der Bayerischen Architektenkammer.

Was im Gegenzug dazu führen könne, dass das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum gemindert werde. Weil die Abschottung die gegenseitige Wahrnehmung verhindert. Der Nachbar sieht nicht, wenn ein Kind in den Teich fällt oder die Stallhasen geklaut werden und dem Gartenbesitzer entgeht, wenn auf dem Gehweg eine alte Person zusammenbricht.

Schutz vor dem hässlichen Nachbarhaus

Auch die weit verbreitete Bauweise mit bodentiefen, möglichst großen Fenstern, die den Garten ins Haus holen sollen, hat Tücken. Denn die bodentiefen Fenster holen quasi auch die Passanten und Nachbarn ins Haus. Alle sehen, wer zu Besuch ist, was auf dem Boden liegt, ob der Tisch abgeräumt und das Sofa belegt ist. Wenn die Grenze zwischen Haus und Garten verschwimmt, steigt das Bedürfnis nach einer hermetischen Grenze am Grundstücksende. Die Folge: Häuser mit offenen Glasfronten sind zum öffentlichen Raum hin häufig absolut abgeschottet.

Ein anderes Motiv für hohe Wände und Hecken: Der schlechte Geschmack des Nachbarn. Landschaftsarchitektin Petra Schretle-Gumpp aus Lutzingen im Landkreis Dillingen hat immer wieder Kunden, die das Nachbarhaus aus dem eigenen Blickfeld ausblenden wollen und deswegen einen dichten und hohen Sichtschutz verlangen.

Nicht nur optisch zweifelhaft

Kein Blick über den Zaun, keine Weite. Zellen statt Gärten. Der Spaziergang durchs Neubaugebiet, oft auch durchs Dorf oder den ganzen Stadtteil: ein Weg entlang von Wänden. Manchmal fehlt nur noch die Decke. Sichtschutzwände wirken auf die Betrachter abweisend. Und sie wirken nicht nur so, sie sind es auch – für einige Tiere. Denn viele Sichtschutzvarianten wie Metallgitter, Steingabionen und Palisadenwände oder Kunststoffmauern haben unten Sockel, Kantensteine oder gehen direkt bis auf den Boden – wie sollen Igel, Laufkäfer, Grashüpfer, Kröten oder Eidechsen da ins andere Grundstück kommen?

Palisadenwände schaden vielen Tieren

Wenn Sie nicht aufs nächste Grundstück kommen, die Straße entlanglaufen oder sie überqueren müssen, steigt die Gefahr, dass sie überfahren werden. Die Tiere können nur überleben, wenn ihnen viele Gärten offenstehen. Wer sich abgrenzt, schadet den Tieren also.

Ein Igel braucht zum Beispiel unter Umständen mehrere Hektar Fläche Jagdgebiet um genügend Regenwürmer und andere Beutetiere zum Fressen zu finden. In England hat der Trend, seinen Garten mit Palisadenwänden abzuschotten, dazu geführt, dass die Igelbestände in den Städten stark zurückgegangen sind. Gartenbesitzer, die Igel-Löcher in ihre Grundstücksbegrenzungen machten, bekommen dort nun eine Plakette mit der Aufschrift "Hegdehog Highway", auf deutsch: Igelautobahn, berichtet Wolfgang Weisser, Professor für Terrestrische Ökologie an der Technischen Universität München-Weihenstephan.

Schutz vor dem Sichtschutz

Mehr Offenheit für Igel und Passanten: Etliche Beschwerden von Bürgern und Stadträten haben den Stadtrat in Senden im Landkreis Neu-Ulm bewogen, im Februar eine Einfriedungssatzung zu erlassen. Sie regelt zum Beispiel, dass Zäune und Wände künftig eine gewisse Offenheit haben müssen. Das Verhältnis "geschlossen zu offen" darf nicht größer als v4 sein.

Nicht größer als v4 bedeutet zum Beispiel: Ist eine Zaunlatte 12cm breit, muss der Zwischenraum bis zur nächsten Zaunlatte mindestens 3 cm betragen. Gebauter Sichtschutz darf zur Straße hin nicht höher sein als 1 Meter 20, zum Nachbargrundstück hin nicht höher als 1,60. Für Igel müssen am Boden Lücken gelassen werden, die Einfriedungen dürfen keinen Sockel haben. Nur als Trennwände zwischen Terrassen - beispielswiese bei Reihenhäusern - sind auf höchstens 4 Meter Länge zwei Meter hohe Sichtschutzwände erlaubt. Hecken, Sträucher und Bäume sind von der Satzung ausgenommen.

Sendener Satzung wird heiß diskutiert

In den Sozialen Medien wird die Einfriedungssatzung kontrovers diskutiert, die Nachbarkommunen schauen interessiert nach Senden. Die Nachbarstadt Weißenhorn hat bereits eine Einfriedungssatzung in Arbeit. "Es gibt halt Probleme in dem Bereich und man muss es versuchen," so das vorläufige Resümee der Sendener Bürgermeisterin Claudia Schäfer-Rudolf.

Tatsächlich baut keiner nur für sich allein, immer ist eine Vielzahl von Mitmenschen direkt davon betroffen und zwar oft über Jahrzehnte. Geschmacklose Gebäude und Einfriedungen können die Attraktivität eines ganzen Quartiers mindern.

Hauptsache blickdicht – der falsche Ansatz

Der 100 Prozent blickdichte Sichtschutz geht oft am Ziel vorbei. Auch wenn er aus Pflanzen besteht. Immergrüne Hecken aus Thuja und Kirschlorbeer (oder Lorbeerkirsche, wie sie richtig heißen müsste) können zwar Sauerstoff produzieren, Kohlendioxid fixieren und im Sommer Verdunstungskälte erzeugen. Sie haben aber auch einige Defizite: Sie bieten Bienen weder Pollen noch Nektar, Raupen kein Futter, Vögeln keine Beeren und sehen das ganze Jahr über gleich aus. Grün und blickdicht.

Doch wer braucht schon das ganze Jahr über einen Sichtschutz? Markus Kobelt von der Pflanzenversandgärtnerei Lubera plädiert für Sichtschutz-Pflanzungen, die nur im Sommer grün und blickdicht sind. Denn im Winter sei das Licht im Garten wichtiger als der Sichtschutz, da liege man ja nicht in der Badehose rum, sagt der Schweizer. Er empfiehlt niedrige Obstgehölze, Beeren- oder Wildsträucher, weil sie im Winter das Licht durchlassen und im Sommer abschirmen, blühen und fruchten.

Weidenruten als Sicht- und Windschutz

In ihrem Dorfgemeinschaftsgarten haben die Bewohner von Frickenhausen (Lkr. Unterallgäu) letztes Jahr einen Windschutz aus Weidenruten gepflanzt, die miteinander verflochten werden. Den Windschutz könnte man auch als Sichtschutz nehmen – mit einer Einschränkung: Direkt am Gehweg kann man ihn nicht pflanzen, denn die Weidenruten brauchen viel Wurzelraum.

Einen Meter von der Grenze weg zu pflanzen, sei jedoch eh viel besser, so der Frickenhauser Naturgartenplaner Christoph Wegner. Denn dann bleibt zwischen Sichtschutz und Gehweg noch Platz für bunte Blumen und der sorgt dafür, dass es für die Anwohner im Dorf schön ist, durch das Dorf zu gehen.

Kein Horizont mehr

Im städtischen Geschosswohnungsbau geht der Trend stellenweise wieder zu mehr Offenheit zum Nachbarn hin. Eine Entwicklung, die hoffen lässt. Zum einen für den Igel und andere Tiere, die auf durchlässige Gartengrenzen angewiesen sind. Zum anderen auch für die Bewohner.

Denn wer in seinem Mini-Garten hockt, den Nachbarn telefonieren und die Wärmepumpe brummen hört, während er auf seinen Sichtschutz starrt, der merkt früher oder später, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Blicke aussperren und Blicke einsperren. Es fehlt die Perspektive.

Nachbars Garten ist im besten Fall auch mein Garten

Es geht auch anders: Der eine Nachbar hat den saftigsten Rasen, die andere Nachbarin besonders viele Neupflanzungen und der Garten des dritten Nachbarn liegt so geschickt am Hang, dass ich von ihm aus den besten Blick in meinen Garten habe. Die Gärten meiner Nachbarn sind im besten Fall auch mein Garten. Und mein Garten ist im besten Fall auch ihr Garten.

Das war stark zusammengefasst der Inhalt eines Newsletters, den der Gärtner und Pflanzenversender Markus Kobelt neulich an seine Abonnenten geschrieben hat. Eigentlich hatte er sich Gedanken darüber machen wollen, wie er sein Heckenpflanzen-Sortiment erweitern könnte. Doch nach einigem Nachdenken hat er stattdessen die Newsletter-Leser dazu aufgerufen, ihm ein Foto vom Garten ihres Nachbarn zu schicken. Die ersten 20 Einsender haben einen Einkaufsgutschein für 20 Euro bekommen und dann noch einen zweiten – für den Nachbarn. Innerhalb von kurzer Zeit kamen 100 Bilder von Nachbargärten. Markus Kobelt hatte einen Nerv getroffen.

Am Ende gibt es vielleicht sogar ein Zaun-Bier

Was für ein Lebensgefühl: Durchs Dorf spazieren, über die Lattenzäune schauen, sehen was blüht, den grüßen, der gerade Rasen mäht und kurz mit der reden, die im Garten Zeitung liest. Und am Schluss trifft man vielleicht jemanden, der fragt, ob man ein Zaun-Bier mittrinken will. Dieses Miteinander braucht Einfriedungen, die einen Blick und ein Gespräch über den Zaun zulassen.

Weniger Sichtschutz ist oft mehr Leben.

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