Susanne (Name geändert) aus Niederbayern hat lang gebraucht, um eine Ärztin zu finden, die ihr hilft. Schwanger – doch sie wollte kein Kind mehr. Ihr Gynäkologe konnte ihr in der Nähe ihres Wohnortes nur einen Kollegen für operative Schwangerschaftsabbrüche nennen. Das wollte sie nicht. Jetzt sitzt Susanne schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen bei einer Frauenärztin in München. 150 Kilometer entfernt von Zuhause. Gleich wird sie von der Ärztin die Tablette bekommen, die ihre Schwangerschaft beenden soll.
Alleingelassen in verzweifelter Situation
Susanne hat die Adresse der Münchner Ärztin von einer Pro-Familia-Beraterin bekommen. Denn das Internet war ihr keine Hilfe: Der Paragraph §219a verbietet es Gynäkologen, auf ihrer Website zu schreiben, welche Methoden sie bei Schwangerschaftsabbrüchen anwenden. Das gilt schon als unerlaubte Werbung – und es droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren.
In der Regel bieten Ärzte im Netz deshalb sogar überhaupt keine Information dazu, ob sie Abbrüche anbieten oder nicht.
Nur wenig Ärzte in Bayern für Schwangerschaftsabbrüche
Dazu kommt: In Bayern ist die Situation für betroffene Frauen besonders schwierig. In keinem anderen Bundesland bieten weniger Ärzte Schwangerschaftsabbrüche an. In Zahlen: 48 Ärzte und Kliniken kümmern sich hier um 11.500 Abbrüche pro Jahr. Zudem ist die Verteilung innerhalb Bayerns ein Problem: Fast zwei Drittel aller Eingriffe finden in der Landeshauptstadt München statt.
Grafik: Arztpraxen und Kliniken nach Regierungsbezirken
Unterversorgung auf dem Land
Vor allem im ländlichen Raum und in einigen Regierungsbezirken ist die Versorgung auffallend schlecht. In Niederbayern etwa gibt es nach Auskunft der Beratungsorganisation Pro Familia derzeit nur einen Arzt, der alle zwei Wochen Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Frauen wie Susanne, die im ländlichen Raum wohnen, müssen also oft über weite Strecken anreisen. Für viele eine zusätzliche psychische und physische Belastung.
Bundestagsdebatte: Soll das Werbeverbot für Ärzte fallen?
Heute debattieren die Fraktionen im Bundestag darüber, ob das sogenannte Werbeverbot für Ärzte, der §219a, fallen soll. Die Regierungskoalition erhofft sich davon unter anderem, Schwangerschaftsabbrüche für Ärzte zu entkriminalisieren. So sollen mehr Gynäkologen motiviert werden, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten.
Viele Gründe, warum so wenige Ärzte Abtreibungen anbieten
Dr. Stefan Heuer, Gynäkologe in Würzburg, bezweifelt, dass das reicht: "Es gibt sehr viele Gründe, dass Ärzte keine Schwangerschaftsabbrüche in ihren Praxen anbieten, das Werbeverbot ist nur einer von vielen. Zum Beispiel muss man eine spezielle Fortbildung nachweisen, die aber nur einmal jährlich angeboten wird. Dazu kommen zum Beispiel noch hohe Anforderungen für ambulante Operationen, mit entsprechenden OP-Räumen, Raumlüftungsanlagen und Instrumentenaufbereitung - in einer normalen Praxis ist das in der Regel gar nicht erfüllbar", so Stefan Heuer. "Man hat nicht das Gefühl, von der Landespolitik wirklich unterstützt zu werden. Auf lokaler Ebene sehe ich zum Glück sehr positive Signale."
In Bayern ist es besonders kompliziert
In anderen Bundesländern sind die Hürden deutlich kleiner, das bestätigt das Bayerische Gesundheitsministerium auf Anfrage. In Rheinland-Pfalz etwa gibt es zwar eine Zulassungspflicht für ambulante Einrichtungen, in denen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden sollen. Aber eine spezielle Fortbildungspflicht wie in Bayern ist nicht vorgeschrieben. Noch einfacher ist es in Bremen und Berlin: Hier müssen Praxen nur der entsprechenden Behörde mitteilen, dass sie Abbrüche durchführen. Zusätzlich besteht etwa in Berlin die Möglichkeit den Schwangerschaftsabbruch zuhause per Telemedizin durchzuführen. In Bayern ist das nicht möglich – deshalb nutzen etliche Frauen in Bayern die Möglichkeit, mit einem Berliner Arzt über Telemedizin eine Abtreibung durchführen.
Grafik: Entwicklung der Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche in Bayern
Es gibt gute Gründe für einen Arzt, nicht abzutreiben
Susanne hat in der Münchner Arztpraxis inzwischen ihre Tablette eingenommen. Jetzt wartet sie darauf, dass ihr Körper den Embryo abstößt. Ihr Mann ist bei ihr, die Situation wühlt sie auf, auch wenn sie sich sicher ist. Sie will anonym bleiben, genauso wie ihre Gynäkologin. Zu viel Ablehnung gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen in der Gesellschaft. Susannes Ärztin erzählt, dass sie auf ihrer Website auf jeden Hinweis zur Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs in ihrer Praxis verzichtet. "Dann kann es schnell passieren, dass die Bewertungen meiner Praxis schlecht werden oder sogar Proteste vor der Tür stattfinden." Das hört sie immer wieder von Kollegen.
Auch ohne Werbeverbot ist Situation für Ärzte schwierig
Die geplante Streichung des Paragraphen §219a, also des sogenannten Werbeverbotes, verfolgt die Ärztin mit gemischten Gefühlen: "Was nutzt mir die Möglichkeit, wenn ich anschließend Angst vor aggressiven Abtreibungsgegnern haben muss. Aber natürlich ist es trotzdem gut, dass das rigide Werbeverbot abgeschafft wird. Sicherlich werden es einige mutige Kollegen nutzen, schon um den Frauen zu helfen, dass sie sich informieren können."
Nach dem Schwangerschaftsabbruch: Weiter Weg zurück nach Hause
Bei Susanne ist jetzt alles vorbei – körperlich. Sie ist nicht mehr schwanger. Sie hatte Glück – oft ist auch die medikamentöse Abtreibung mit Schmerzen verbunden, bei ihr nicht. Jetzt muss sie sich mit ihrem Mann wieder auf den Heimweg machen – 150 Kilometer zurück aufs Land.
BR24live: Kippt das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche? Debatte im Bundestag zum Nachschauen

Protest gegen §219a
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