Schöffinnen unterstützen den Vorsitzenden der Wirtschaftskammer Peter Grünes bei der Urteilsfindung.
Bildrechte: BR/Barbara Leinfelder

Ohne Robe, aber mit viel Mitspracherecht: Schöffinnen unterstützen den Vorsitzenden der Wirtschaftskammer Peter Grünes bei der Urteilsfindung.

  • Artikel mit Audio-Inhalten

Schöffensuche: Warum die ehrenamtlichen Richter so wichtig sind

Bei vielen Gerichtsverhandlungen sitzen auch Ehrenamtliche mit am Richtertisch: die sogenannten Schöffen. Derzeit werden neue Schöffen gesucht. Sie sollen für die nächsten fünf Jahre regelmäßig mitentscheiden. Was Bewerber mitbringen müssen.

Kurze Vorbesprechung im Zimmer hinter dem Gerichtssaal 174 im Augsburger Gerichtsgebäude. Ein großer Bestechungsprozess wird verhandelt, das Urteil steht bevor. Der Vorsitzende Richter Peter Grünes erläutert seinen beiden Schöffinnen die Planung für den heutigen Prozesstag. Sie haben das aufwendige Verfahren seit Oktober begleitet, in der Regel wurde zwei Mal pro Monat verhandelt.

Ohne die Ehrenamtlichen gehe nichts, stellt der Richter klar: "Für uns sind die Schöffen unwahrscheinlich wichtig, weil sie halten uns den Spiegel vor. Wir sprechen ja auch das Urteil im Namen des Volkes." Und da sei es ganz wesentlich, dass auch Laien daran beteiligt seien: "Ohne Schöffen kein Urteil", bringt es der Richter auf den Punkt.

Schöffin: "Sehr viel Lebenserfahrung gewonnen"

Laura Afflerbach aus Königsbrunn ist schon seit zehn Jahren Schöffin beim Landgericht. Sie möchte auf jeden Fall noch eine weitere Periode dranhängen, denn sie habe sehr viel Lebenserfahrung gewonnen dadurch, berichtet sie. Man bekomme Einblick in Bereiche, die man sonst nie kennenlernen würde, meint die frühere Bankangestellte. Etwa beim Verfahren gegen einen Zuhälter, als über einhundert Zeugen befragt wurden.

Sieben Euro pro Stunde bekommt Laura Afflerbach als Aufwandsentschädigung für ihr Schöffenamt. Welchem Prozess sie zugeordnet wird, weiß sie vorher nicht. Wenn ein Prozess beginnt, werden die Schöffen zugelost. Und dann müssen sie das gesamte Verfahren begleiten.

An ihren allerersten Fall vor Gericht erinnert sie Laura Afflerbach noch ganz genau: Es ging dabei um Beschaffungskriminalität. Ein junger Mann hatte einer alten Frau die Handtasche entrissen und sie zu Fall gebracht. "Das war hart für mich", erinnert sie sich, "weil er furchtbar geweint hat und erzählt hat, er muss jetzt ins Gefängnis zurück, und er hat Angst vor Vergewaltigungen. Da habe ich nächtelang nicht geschlafen, am Anfang".

Mitfühlend sein, aber neutral bleiben

Auch damit müssen die Schöffinnen und Schöffen klarkommen. Mit jedem Prozess hat man tiefe Einblicke in ein individuelles Schicksal, sagt auch Schöffin Barbara Siegel aus Amerdingen im Ries: "Das berührt mich schon immer wieder, wenn man erlebt, welche Biografie der Angeklagte hat. Diese Frage: Wie kommt es dazu?"

Oberstes Gebot für die Schöffen: neutral bleiben. Einsicht in die Akten haben sie nicht. Sie müssen sich ihr Bild aus dem Ablauf der Verhandlung bilden. Was für einen Eindruck machen die Angeklagten, was spricht aus der Erfahrung der Schöffen für oder gegen die Beschuldigten. Ihr Wort wiegt trotzdem viel.

Barbara Siegel gesteht, dass ihr vorher gar nicht klar gewesen sei, wie groß der Anteil der Schöffen an der Urteilsfindung ist: "Ich habe auch früher nicht gewusst, dass der Schöffe dasselbe Stimmrecht hat wie der Richter. Das ist schon sehr gut vom Gesetzgeber gestaltet."

Ihre Schöffenkollegin Laura Afflerbach geht sogar noch einen Schritt weiter: "Was ich positiv finde - was ich vor meinem Schöffenamt nicht so gesehen habe - ist, dass ich absolutes Vertrauen zu der deutschen Justiz habe. Das muss ich sagen. Ich habe noch nie erlebt in den ganzen, vielen Jahren, dass ich nicht mit dem Richterspruch leben konnte. Man hat ja immer diskutiert. Man hat immer einen Weg gesucht – vor allem natürlich die Richter, und das hat mir sehr imponiert. Das hätte ich nicht gedacht, dass das so ist."

Wie werden Schöffen überprüft?

Viel Verantwortung also. Vorbestraft darf ein Schöffe deshalb nicht sein, erklärt Richter Peter Grünes. Von jedem Schöffen wird in Bayern daher ein Bundeszentralregistereinzug eingeholt. Ob jemand aber einer demokratiefeindlichen Gruppe angehört, kann damit nicht überprüft werden.

Gerade in rechtsextremen Kreisen hat es Medienberichten zufolge Aufrufe gegeben, über das Schöffenamt mehr Einfluss auf die Gerichte zu bekommen. Das Bundesjustizministerium will nun die bestehende Regelung verschärfen: Der aktuelle Entwurf sieht vor, dass niemand Schöffe werden darf, wenn Zweifel daran bestehen, dass die Person jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt.

In Niedersachsen und Bremen könnten Schöffen künftig durch Verfassungsschutz überprüft werden. In Bayern gibt es derzeit nur eine Art Selbstauskunftsbogen. Der Augsburger Richter Grünes hat bislang aber noch keine schlechten Erfahrungen mit Schöffen gemacht: "Wenn mir hier jemand auffallen würde, dann würde ich ein ernstes Wort mit ihm reden, klar machen, dass er neutral zu entscheiden hat."

Die Expertise der Schöffen: Lebenserfahrung

Richter Peter Grünes schätzt die Unterstützung durch die Ehrenamtlichen: "Schöffen sind unwahrscheinlich hilfreich. Man hat die unterschiedlichsten Lebenserfahrungen bei den Schöffen. Das ist aber auch vom Gesetzgeber so gewollt. Da kommen ganz tolle Anregungen. Ich kann mich an einen Fall erinnern, das war dann wirklich auch perfekt. Da ging es um Sachen, die am Bau gespielt haben. Und dann hatten wir eine Geschäftsführerin, die auch in einem Bauunternehmen tätig war. Die konnte uns natürlich weiterhelfen und das hat sogar in der Argumentation dazu geführt, dass wir für eine konkrete Frage kein Sachverständigengutachten einholen mussten."

Wie die Schöffen ausgewählt werden

Die Schöffen kommen dabei nach einem bestimmten System zu den jeweiligen Kammern: Sie werden zu Jahresbeginn einem Sitzungstag und an diesem Tag einer bestimmten Kammer zugelost. Für dieses konkrete Verfahren bleiben sie dann zuständig – auch wenn sich dann eine Vielzahl von Sitzungstagen anschließt. "Weil nur Personen, die über die gesamte Zeit dem Verfahren beigewohnt haben, können letztendlich ein Urteil sprechen", betont Richter Grünes.

Die Ehrenamtlichen sind bei Wirtschaftsstrafverfahren genauso dabei wie bei Drogenprozessen oder Verhandlungen vor der Jugendkammer. Wer sich bewirbt und ausgewählt wird, muss damit rechnen, im Schnitt einmal pro Monat bei Gericht zu sein, für die nächsten fünf Jahre. Der Arbeitgeber muss den Schöffen dafür freistellen, erhält aber eine Entschädigung. Schätzungen zufolge werden in Bayern wieder rund 8.000 Laienrichterinnen und -richter gebraucht.

"Wir wollen einen Querschnitt der Bevölkerung sowohl im Hinblick auf das Geschlecht als auch auf das Alter als auch auf den beruflichen oder sozialen Hintergrund", so Grünes. "Es gibt eine bestimmte Anzahl von Schöffen, die benötigt werden für den Landgerichtsbezirk, und fürs Augsburger Landgericht brauchen wir mehr als 600 Schöffen für die nächste Wahlperiode. Und die sollen ja eben auch aus der Region kommen", erklärt der Richter, also aus Nordschwaben ebenso wie aus dem Süden von Augsburg, denn der Landgerichtsbezirk Augsburg reicht von Nördlingen bis hinunter an den Ammersee.

Am kommenden Montag findet eine weitere Infoveranstaltung am Gerichtszentrum in der Gögginger Straße statt, nähere Auskünfte dazu gibt es auch auf der Webseite der Stadt Augsburg. Weitere Informationen sind auf den Internetseiten der bayerischen Städte und Gemeinden zu finden. Eine ausführliche Infobroschüre zum "Schöffenamt in Bayern" kann auf der Seite des Bayerischen Justizministeriums heruntergeladen werden.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!