Unterhaching: Der Vorort von München machte sich als Geothermie-Pionier einen Namen
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Unterhaching: Der Vorort von München machte sich als Geothermie-Pionier einen Namen

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"Schatz unter den Füßen": Streit ums Tempo beim Geothermieausbau

In Bayern produzieren aktuell 25 Geothermie-Anlagen Wärme - teilweise auch Strom - und zwar klimafreundlich. Bald werden es deutlich mehr sein. Doch warum geht der Ausbau so schleppend voran, wenn Geothermie "ein Schatz unter unseren Füßen" ist?

Auf den 18. September 2020 ist das Gutachten mit dem Titel "Bewertung des Masterplans Geothermie" durch die Technische Universität München (TUM) datiert. Das Bayerische Wirtschaftsministerium hatte diese Studie einst in Auftrag gegeben. Den Abgeordneten im Landtag - und damit auch der Öffentlichkeit - wurde die mehr als 100 Seiten umfassende Analyse allerdings erst im Herbst 2022 vom Ministerium vorgelegt - also ziemlich genau zwei Jahre später. In dieser Woche nun berichtete die Staatsregierung dem Landtag über ihre Schlussfolgerungen aus der TUM-Studie.

Tiefengeothermie: Potenzial größer als die Ambitionen?

Danach geht die Staatsregierung davon aus, das selbst gesteckte Ziel bis zum Jahr 2050 mindestens 25 Prozent des Wärmebedarfs in Gebäuden mit Geothermie zu decken, erreichen zu können. Derzeit sind es allerdings gerade einmal 0,5 Prozent. Trotzdem liegt Bayern damit bundesweit an der Spitze - vor allem wegen der geologischen Gegebenheiten. "Da haben wir einfach Glück", findet Rainer Zimmer, Bergbaudirektor im Bayerischen Wirtschaftsministerium.

Das Potenzial allerdings ist aufgrund dieses "geologischen Glücks" weit größer: Die Experten der TUM sprechen von bis zu 40 Prozent des Wärmebedarfs in Bayern, der alleine durch die Tiefengeothermie im Molassebecken im Süden des Freistaats gedeckt werden könnte. Hinzu kämen Möglichkeiten in Nordbayern, die allerdings noch erforscht werden müssten. Gerade aus Sicht von Grünen und SPD ist das "25 Prozent bis 2050-Ziel" der Staatsregierung bei der Geothermie zu wenig ambitioniert. Schließlich hatte Ministerpräsident Markus Söder verkündet, Bayern werde bereits 2040 klimaneutral sein.

Günstig, klimafreundlich, "einfach genial"

"Wir haben einen Schatz unter unseren Füßen" - schwärmt der energiepolitische Sprecher der Landtagsgrünen, Martin Stümpfig, von der Tiefengeothermie: Die klimafreundliche Technologie sei - sobald sie installiert ist - "immer da", "günstig", "einfach genial". Umso mehr ärgert ihn, dass "man dieses Potenzial gerade nur zu einem ganz ganz kleinen Teil abschöpft". Auch aus den Regierungsfraktionen - etwa vom CSU-Abgeordneten Alexander König - kommt inzwischen der klare Wunsch "die Geothermie in Bayern zügig" auszubauen. Doch wenn alle Geothermie wollen - warum wird die Technologie dann bislang so wenig genutzt?

Wurde der Ausbau verschleppt?

Nach Ansicht von Martin Stümpfig hat die Staatsregierung Ausbau und Forschung zur Geothermie verschleppt. Ein Indiz für ihn: Zwei Jahre lang habe die Bewertung des Masterplans "nur in einer Schublade" des Wirtschaftsministeriums gelegen. Von "verlorener Zeit" spricht auch die Wirtschaftspolitikerin der Landtags-SPD, Annette Karl. Gerade die Debatte um den Heizungstausch von fossilen auf andere Energieträger zeige, dass man schnell andere Wärmequellen auftun und Wärmenetze aufbauen müsse, so Karl.

Grüne und SPD fordern vor allem mehr Investitionen. Aktuell sind 7,5 Millionen Euro für die Erkundung und zehn Millionen Euro für Forschungsvorhaben eingestellt in den Bayerischen Etat fürs laufende Jahr. Schon eine einzige Bohrung ist allerdings um ein Vielfaches teurer, moniert die Opposition. Viele Kommunen könnten sich das schlicht nicht leisten. Das von Hubert Aiwanger geführte Wirtschaftsministerium argumentiert dagegen, eine Erhöhung der Gelder würde "aus Gründen der Doppelförderung keinen Sinn machen, da der Bund Investitionen in die Tiefengeothermie bereits mit bis zu 40 Prozent fördert".

Lange Planungszeiten, fehlende Rohstoffe und Gefahren

Doch auch Wille und Geld reichen offenbar längst nicht aus, um schnell weitere Geothermie-Anlagen zu errichten. Neben einer mindestens fünf- bis sechsjährigen Planungszeit sorgt oft auch fehlendes Material für Verzögerungen. Von derzeit gut einem Jahr Wartezeit für Stahlrohre spricht Rainer Zimmer aus dem Wirtschaftsministerium. Der Bergbaudirektor warnt allerdings ohnehin davor die Projekte "übers Knie zu brechen". Der Grund: Ihm zufolge besteht durchaus die Gefahr, dass sich zu viele Geothermie-Anlagen in einer Region gegenseitig beeinflussen und womöglich schwächen. "Wir können uns nicht-fündige Projekte nicht leisten, genauso wenig wie Projekte, die hinterher unwirtschaftlich sind". Man habe deshalb erst einmal ein Bewirtschaftungsmodell für den Untergrund in Auftrag gegeben, so Zimmer.

Ministerium: mindestens 74 neue Bohrungen bis 2030

Trotz der Hürden tut sich offenbar etwas: Laut Armin Rudolph und Rainer Zimmer vom Bergbau-Referat des Wirtschaftsministeriums nimmt der Einsatz der Technologie in Bayern gerade an Fahrt auf: Aktuell geht das Ministerium neben den bereits 25 laufenden Geothermie-Projekten in Bayern von 74 weiteren Bohrungen bis zum Jahr 2030 aus - und - es können deutlich mehr werden, so die Einschätzung der Experten. "Da sind wir recht optimistisch", so Zimmer. Fast wöchentlich kämen neue Anfragen. München etwa plane im Stadtgebiet 15 bis 25 Tiefbohrungen, um in Zukunft mindestens 80 Prozent des Wärmebedarfs in der Landeshauptstadt abzudecken.

Neben den Kommunen hätten auch Industriebetriebe Interesse. In diesem Frühjahr startet etwa eine Tiefenbohrung bei MTU im Münchner Westen. Das Unternehmen plant, die Geothermie als Prozesswärme und Raumwärme in den Betriebsgebäuden zu nutzen. Mehr als 80 Prozent der heute eingesetzten fossilen Energie will der Konzern so ersetzen.

Geothermie: eine Frage der Wirtschaftlichkeit

Zuletzt hatte es vor 15 Jahren einen Run auf die Geothermie gegeben. Doch viele Projekte scheiterten am Ende wegen der zunächst hohen Investitionskosten. Die fossilen Energieträger waren einfach zu günstig. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich das schlagartig geändert. Geothermie gilt nun als Technologie, die sich sowohl für private Investoren als auch die öffentliche Hand rechnet, erklärt Rainer Zimmer vom Bayerischen Wirtschaftsministerium. Hinzu komme ein anderes Bewusstsein, was Energieunabhängigkeit und Klimaschutz angehe.

Das Ministerium verspricht nun unter anderem eine "Koordinierungsstelle Tiefengeothermie" einzurichten. Auch wolle man sich beratend stark machen für interkommunale Projekte sowie Privatinvestoren und Kommunen zusammenbringen.

Die Ungeduld vieler Abgeordneter konnten die Vertreter aus dem Wirtschaftsministerium allerdings nicht lindern. Alexander König von der CSU fasste den aktuellen Blick auf das ungenutzte Geothermie-Potenzial in Bayern so zusammen: "Heute wissen wir, es wäre schön gewesen, wenn es gestern schon passiert wäre".

In Schwerin wurde gestern die erste Geothermie-Anlage mit Wärmepumpen in Deutschland eingeweiht. Das Modell könnte auf andere Städte übertragen werden, denn in Schwerin wurde nur 1.300 Meter tief gebohrt und es wird nur 56 Grad warmes Wasser aus der Erde gepumpt.

Geothermie-Anlage in Schwerin
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Geothermie-Anlage in Schwerin

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