Röhrender Hirsch
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Zu viel Rotwild in Unterammergau?

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Schäden im Bergwald: Zu viel Rotwild in Unterammergau?

Im Bergwald im Ammertal gibt es seit Jahren starken Wildverbiss und Schälschäden. Grund dafür ist der hohe Wildbestand: Rotwild-Rudel mit 150 Tieren sind hier keine Seltenheit. Der Hirsch gefährdet inzwischen die Zukunft des Schutzwaldes.

Leo Speer stapft einen bewaldeten Berghang bei Unterammergau hinauf: Der Wald gehört ihm, aber er ist auch Schutzwald und soll das Dorf vor Erdrutschen und Lawinen schützen. Doch dieser Wald leidet unter den hohen Reh- und Rotwildbeständen. Das Wild verbeißt die frischen Triebe kleiner Tannen und Buchen, ein junger, zukunftsfähiger Bergmischwald kann nicht heranwachsen. Inzwischen geht es auch den 20 Jahre alten Fichten an den Kragen: Das Rotwild schält deren saftige Rinde, in der Wunde verbreitet sich Fäule, das Holz wird wertlos.

Wildbestand ist existenzbedrohend

Inzwischen hat Landwirt Leo Speer auch finanziell unter den Folgen zu leiden: Das Rotwild frisst nicht nur seinen Wald, sondern auch sein Grünland kahl: Der junge Landwirt hat 50 Milchkühe, im Winter musste er bereits Futter für rund 15.000 Euro zukaufen.

Seine Wiesen schützt er nun mit einem Wildschutzzaun: "Wir haben seit langem einen hohen Wildbestand, aber die letzten zwei Jahre ist das richtig extrem geworden", sagt er. "Das ist für mich existenzbedrohend." Es ist normal, dass Rotwild zum Äsen, also Fressen, auf Wiesen oder Lichtungen kommt, aber in großen Rudeln richtet es enorme Schäden an. Wenn er nachts unterwegs sei, sehe er Rudel von 150 bis 200 Tieren, sagt Speer.

Jagdpächter ist ehemaliger Münchner Oktoberfestwirt

Wer ist verantwortlich für die hohen Rotwild-Bestände bei Unterammergau? Das 2.000 Hektar große Jagdrevier ist an zwei Geschäftsleute verpachtet, der größere Teil an einen ehemaligen Münchner Wiesenwirt und Hotelier.

Weder er noch sein angestellter Berufsjäger waren zu einem Gespräch mit dem BR über ihr Jagdkonzept und die Verantwortung für den Bergwald bereit. Verpächterin des Jagdreviers ist die Privatwaldgemeinschaft Unterammergau. Aber auch der Vorstand dieser Waldeigentümer-Gemeinschaft, der Bürgermeister von Unterammergau, möchte keine Interviews.

Trophäenjagd in teuren Rotwild-Revieren

Rotwild ist eine sehr kluge Wildtierart, die in Rudeln lebt und sich über große Entfernungen bewegt. Ein Revier allein für die hohen Bestandszahlen verantwortlich zu machen, wäre zu kurz gegriffen. Allerdings wird im Revier Unterammergau im Winter intensiv gefüttert: Eine intensive Fütterung lockt Rotwild aus der ganzen Region an, das hat Auswirkungen auf die Größe der Rudel und der vorhandenen Hirsche.

Wo viel weibliches Wild ist, sind im Herbst zur Brunft auch starke Hirsche zu beobachten. Das ist wohl auch ein Knackpunkt: Pächter hochwertiger Rotwild-Reviere zahlen fünfstellige Summen, dafür wollen viele von ihnen beeindruckende Hirsche sehen und Trophäen mit nach Hause bringen. Für einen gesunden Wald wäre der gezielte Abschuss weiblicher Tiere aber viel wichtiger, denn sie bringen ständig Nachwuchs zur Welt.

Hat das Landratsamt als Kontrollbehörde versagt?

Das Landratsamt in Garmisch-Partenkirchen ist zuständig für die Kontrolle der Jagd. Hat man hier versagt? Der Landkreis ist seit Jahren ein Hotspot des Wildverbisses. In den Vegetationsgutachten der staatlichen Förster ist der Landkreis "dauerhaft rot", das heißt: hoher Wildverbiss, Schälschäden – und das in einer Schutzwaldregion.

Auf Druck des bayerischen Forstministeriums hat der Landkreis 2020 "Leitlinien zur Verbesserung der waldbaulichen Situation" ausgearbeitet – ein Rahmenplan, mit dem die Jäger stärker sanktioniert werden sollen. Fütterungs- und Abschusskontrollen sind vorgesehen, sowie ein körperlicher Nachweis für den Abschuss weiblicher Tiere.

Waldfreundliche Jagd in Ohlstadt

In Ohlstadt im östlichen Landkreis Garmisch-Partenkirchen zeigen die Jäger, wie es anders gehen kann. Dort hat Robert Herz für die Ohlstädter Jagdgenossenschaft ein waldfreundliches Jagdkonzept eingeführt: Statt einer langjährigen Verpachtung ist das 1.000-Hektar-Revier in Pirschbezirke von 120 Hektar aufgeteilt. Die Verträge laufen immer nur für ein Jahr. Erfüllt ein Jäger seine Abschussvorgaben nicht, ist er raus.

Peter Keller hat seit sechs Jahren einen Pirschbezirk in Ohlstadt: "Wir haben da einen guten Zusammenstand mit den Jagdgenossen", sagt er. Und das Konzept dieser sogenannten "Eigenbewirtschaftung" funktioniert: Unter den alten Fichten wächst ein junger Bergmischwald heran: mannshohe Ahorne, Eschen, Buchen und junge Tannen.

"Jäger mit Waldgesinnung"

Die Eigenbewirtschaftung hat aber vordergründig auch einen Nachteil: Früher hatte die Jagdgenossenschaft, also die Vereinigung der Grundeigentümer, ein Viertel mehr Einnahmen aus der Jagdpacht. Waldbesitzer Georg Zach ist das egal: "Unser Gewinn ist der Wald, wir brauchen Jäger mit Waldgesinnung."

So eine waldorientierte Jagd fordert Waldbesitzer und Landwirt Leo Speer auch für Unterammergau. In zwei Jahren läuft der Vertrag des aktuellen Jagdpächters aus, dann könnten hier die Karten neu gemischt werden.

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