Bei der letzten Chorprobe gibt Elena Szuczies den Ton an. "Hört ihr das? Das Klavier ist ein bisschen höher als ihr." Die Chorleiterin arbeitet an den letzten Details, bevor am Sonntag der Mädchenchor der Regensburger Domspatzen erstmals vor Publikum auftreten wird. Bei der Messe im Regensburger Dom St. Peter um 10 Uhr.
Doch von Nervosität keine Spur. "Man merkt, dass richtig Musik dahintersteckt. Nicht nur, dass die Töne stimmen, sondern es ist richtig Gestaltung darin. Der Klang entwickelt sich von Probe zu Probe weiter", sagt Szuczies. Wie ihre 33 Mädchen ist auch die Chorleiterin erst seit Schuljahresbeginn bei den Regensburger Domspatzen. Drei Monate, um aus den Stimmen einen Chor zu formen, der nun vor seinem ersten Auftritt steht. Einem historischen noch dazu.
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Domspatzen-Mädchen aus ganz Deutschland
Auch Marlene Nitt ist seit Kurzem ein Domspatz. Die 16-Jährige stammt aus Wilhelmshaven. Wegen der musikalischen Ausbildung hat sie sich entschieden, ins mehr als 500 Kilometer entfernte Internat nach Regensburg zu ziehen. "Es war natürliche eine Umstellung, weil ich vorher noch nie in einem Internat war. Aber wie die anderen Mädchen auch habe ich mich sehr gut eingelebt. Jetzt ist es wie ein Zuhause für mich."
Zusammen mit den gleichaltrigen Jugendlichen sitzt sie nun zusammen in ihrem Internatszimmer, in dem ein Klavier und ein Kontrabass stehen. In den Pausen zwischen Unterricht und Chorprobe wird hier gequatscht oder gemeinsam musiziert. Hin und wieder lässt sich auch ein Junge auf dem Mädchenflur blicken.
Auf dem Internatszimmer - hier wird nach den Chorproben oft gemeinsam geredet und musiziert.
Zusammenleben der Geschlechter: "Alles normal"
Tagsüber sind die Internatsflure zwischen den Geschlechtern offen. Nachts werden die Türen zugesperrt, sind die Mädchen unter sich. Trotzdem hätten die Mädchen und Jungen schnell als Gemeinschaft zusammengefunden, sagt Marlene. Sie war zuvor an einer gemischten Schule. Wie für den Großteil der anderen Mädchen also auch keine ungewohnte Situation. "Und die Jungs hier hatten natürlich auch schon Kontakt zu Mädchen von anderen Schulen. Es ist ja nicht so, dass die Jungs davor noch keine Mädchen gesehen hätten."
Auch Schulleiterin Christine Lohse ist erstaunt darüber, wie normal der Wechsel von einer reinen Jungen- zu einer gemischten Schule erfolgt ist. "Es war keinen Moment komisch." Der Unterricht laufe aber etwas anders ab. Es geht nicht mehr so sportlich männlich zu, bilanziert Schulleiterin Lohse. Vielmehr seien die Jungs charmanter, sei die Stimmung sehr harmonisch. "Den Jungs tun die Mädchen einfach gut."
Mädchenchor: Kein Bruch mit der Tradition
Die Jungs hätten es gut verkraftet, sagt Domkapellmeister Christian Heiß mit einem Schmunzeln. Warum auch nicht? Als Bruch mit einer Tradition, wie die Einführung des Mädchenchors vielfach bezeichnet wurde, will Heiß den Schritt nicht verstanden wissen. Auch in Zukunft werde es einen reinen Knabenchor geben.
"Die Tradition behalten wir. Aber wir ergänzen sie. Der Mädchenchor ist eine Ergänzung des bisherigen Profils." Christian Heiß, Domkapellmeister
Wie den Knaben biete sich nun den Mädchen die Möglichkeit, nebst einer schulischen eine exzellente musikalische Ausbildung zu bekommen. Ein Gewinn für alle Seiten. "Es gibt kaum einen Chorleiter, der die Chance hat, dass er täglich seine Sänger vor sich hat", erklärt Heiß. Davon soll auch der Mädchenchor profitieren.
Mädchen bei anderen Domchören längst üblich
Dass ein Knabenchor wie die Regensburger Domspatzen ihr Repertoire um einen Mädchenchor erweitert, ist in Deutschland und Bayern keine Besonderheit. Seit 1989 hat der Kölner Domchor einen eigenen Mädchenchor. Der Mainzer Domchor zog 1994 nach. Beim Aachener Domchor, dem ältesten Knabenchor Deutschlands, singen seit 2011 auch Mädchen in einem separaten Chor. In Bayern haben die Augsburger Domsingknaben zwar keine eigene Mädchenkantorei. Allerdings wurde dort bereits 1848 die erste Frau aufgenommen, "um die Lücken zu schließen", wie es auf der Internetseite der Domsingknaben heißt.
Ein Problem, auf das jüngst auch die Regensburger Domspatzen reagieren mussten. Nach dem Missbrauchsskandal sind die Schülerzahlen stark gesunken. Auch, weil viele Eltern ihre Kinder lieber auf gemischte Schulen schicken wollten. Und tatsächlich: Mit Aufnahme der Mädchen haben sich auch wieder mehr Jungen bei den Domspatzen angemeldet.
Vor historischen Auftritt: Nah an der Perfektion
Zurück bei der letzten Probe vor dem Auftritt des Mädchenchors. Oft ist nun Husten zu hören. Chorleiterin Szuczies mahnt die Schülerinnen dazu, sich für den Auftritt im Regensburger Dom warm anzuziehen. Ihr täte es leid, wenn eines ihrer Mädchen diesen Moment verpassen würde. Bei fast allen Mädchen kommen nicht nur die Eltern, um sie singen zu hören, sondern auch weitere Angehörige und Freunde. Dass die Mädchen deswegen besonders nervös wären oder der Auftritt schiefgehen könnte, glaubt die Chorleiterin nach den Proben nicht. Szuczies ist überzeugt von ihrem Mädchenchor. "Natürlich wollen wir schon zeigen, dass wir als Mädchenchor auch toll singen können und dass wir auch diesen tollen Klang und auch diese Perfektion erreichen können wie der Knabenchor."
Die letzten Proben vor dem großen Auftritt. Chorleiterin Elena Szuczies ist hochzufrieden.
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