Sie sollen das verbotene Neonazi-Netzwerk "Blood & Honour" fortgeführt, rechtsextreme Musik-CDs verbreitet, sogar selbst produziert haben oder Artikel mit verbotenen Nazi-Symbolen verkauft haben: Vor dem Landgericht München I müssen sich seit Montag mehrere mutmaßliche Funktionäre und Mitglieder der im Jahr 2000 verbotenen Organisation verantworten.
Gerichtsprozess im "berühmten Saal A101"
Das Verfahren gegen die zehn Rechtsextremisten findet ausgerechnet im Saal A101 statt, also jenem Saal des Münchner Justizzentrums, in dem fünf Jahre lang der sogenannte NSU-Prozess verhandelt wurde.
- Zum Artikel: Im NSU-Komplex sind immer noch viele Fragen offen
Die Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds waren eng verbunden mit "Blood & Honour". Über das internationale Netzwerk werden seit den 1980er-Jahren rechte Musik und Propaganda, aber auch Anleitungen zum bewaffneten Kampf und zum Bombenbauen verbreitet.
"Blinder Verlass" für NSU auf "Blood & Honour"
Das Kerntrio des NSU tauchte 1998 mit der Hilfe von "Blood & Honour"-Aktivisten unter, sagt der Fachjournalist und Rechtsextremismus-Experte Robert Andreasch. Mitglieder von "Blood & Honour" hätten zu denjenigen gehört, auf die sich das NSU-Kerntrio "wie blind verlassen hat". Die NSU-Mitglieder hätten von "Blood & Honour"-Mitgliedern "Wohnung, Ausweispapiere, Geld und sonstige Formen der Unterstützung" erhalten, so Andreasch.
Das internationale Netzwerk wird mit zahlreichen Gewalttaten und Terror in Verbindung gebracht. Außerdem geht es um Volksverhetzung sowie das Verwenden von Symbolen verfassungswidriger Organisationen.
Der älteste Angeklagte ist knapp 50, der jüngste knapp über 30 Jahre alt. Einige erscheinen auf den ersten Blick harmlos bis bieder, so Prozessbeobachter. Anderen sieht man die politische Einstellung von Weitem an: kahlgeschoren, Arme, Hände und Hals mit einschlägigen Tattoos verziert, einer trägt das Kapuzenshirt einer Marke, die bei Neonazis beliebt ist.
Geburtstagsfeier mit NSU-Terroristen?
Der Name eines der Beschuldigten in diesem Gerichtsverfahren tauchte auch schon im NSU-Prozess auf: Stanley R.. Der mehrfach einschlägig vorbestrafte Neonazi ist seit den 1990er-Jahren in der militanten rechten Szene aktiv. Bei seiner Geburtstagsfeier im März 2006 in einem Rocker-Club in Kassel sollen die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gesehen worden sein – der Verdacht ließ sich jedoch nicht erhärten. Zwei Wochen später jedenfalls ermordete der NSU in Kassel den 21-jährigen Halit Yozgat.
Mehrere Funktionäre von "Blood & Honour" im Fokus
"Stanley R. ist in den letzten Jahren immer wieder auch bei Razzien, bei Polizeikontrollen und in Ermittlungsverfahren aufgefallen", so Rechtsextremismus-Experte Robert Andreasch, "weil er unter anderem Schießübungen durchgeführt hat mit dem Teil seiner "Combat 18"-Sektion." Er sei auch einmal kontrolliert worden, als er Munition illegal aus der Tschechischen Republik eingeführt habe.
Stanley R. gilt als Führungsfigur der verbotenen Organisation "Combat 18" – was sich mit "Kampftruppe Adolf Hitler" übersetzen lässt. Combat 18 bezeichnet sich selbst als bewaffneter Arm von "Blood & Honour", dennoch ist Stanley R. beim Prozess in München nicht wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation angeklagt, sondern nur wegen Unterstützungshandlungen.
Im Zentrum des Verfahrens stehen andere: insbesondere die mutmaßlichen Sektionschefs von "Blood & Honour" in Baden-Württemberg und Bayern, Eric-Alexander S. und Ron W. sowie der sogenannte Divisionschef Deutschland, Sven B. aus Thüringen.
Vorwurf: Verstoß gegen Vereinigungsverbot, Volksverhetzung, verfassungsfeindliche Symbole
Gerichtssprecher Florian Gliwitzky fasst die Vorwürfe zusammen: "Es geht formal betrachtet zunächst einmal um einen Verstoß gegen das Vereinigungsverbot. Es geht um Volksverhetzung, es geht um die Verwendung von Symbolen verfassungsfeindlicher, also verfassungswidriger Organisationen." Und es geht um eine CD mit Neonazi-Musik, die die Beschuldigten in Ungarn produziert haben sollen: Darauf gebrannt ist unter anderem ein Lied mit dem Titel "Holocaust", in dem die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis als Lüge bezeichnet wird.
Verfahren basiert auf Razzien im Jahr 2018
Ausgangspunkt des Verfahrens war eine bundesweite Razzia im Dezember 2018. Es dauerte mehr als zwei Jahre, bis die Generalstaatsanwaltschaft München Anklage erhob – und noch einmal mehr als ein Jahr bis zum Beginn des Prozesses. Alle Beschuldigten sind laut Gerichtssprecher Gliwitzky auf freiem Fuß. "Es waren ursprünglich mal U-Haftbefehle auch vollzogen worden. Diese Haftbefehle sind außer Vollzug gesetzt beziehungsweise aufgehoben worden."
Extremismusexperte: "Blood & Honour" hat nie aufgehört zu existieren
Der Münchner Prozess ist nach langer Zeit das erste Verfahren wegen Fortführung von Blood & Honour. Dabei habe die Organisation nach dem Verbot im Jahr 2000 nie aufgehört zu existieren, so Fachjournalist Robert Andreasch: "Da ist jetzt dieser Prozess, muss man wirklich sagen, fast eine Ausnahme, dass jetzt, zehn Jahre nach dem letzten "Blood & Honour"-Verfahren, dann doch mal Neonazis sich wegen solch kleinerer, in Verbindung stehender Straftaten vor Gericht wiederfinden."
Etliche Angeklagte zielen auf Geständnis gegen Straferlass
Ursprünglich waren 25 Verhandlungstage bis Oktober geplant. Doch der Prozess könnte schon bald zu Ende gehen. Die Angeklagten sollen die verbotene Neonazi-Organisation "Blood & Honour" weitergeführt haben. Gerechnet wurde mit einer aufwendigen Beweisaufnahme. Doch schon am ersten Verhandlungstag zeichnete sich ab, dass ein Großteil der Angeklagten bereit ist, gegen einen Straferlass ein Geständnis abzulegen.
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft machte deutlich, dass er bereit ist, sich auf solche Deals einzulassen, insbesondere bei den Angeklagten, die nur Mitläufer gewesen seien und keine Vorstrafen hätten. Die sogenannten Rädelsführer – insbesondere die Sektions- und Deutschland-Chefs sowie der mehrfach vorbestrafte Angeklagte Stanley R. – müssten allerdings mit Freiheitsstrafen rechnen.
Die Staatsanwaltschaft will den Angeklagten nun bis zum nächsten Verhandlungstag Anfang Juli konkrete Angebote für einen Straferlass machen. Gut möglich, dass der Prozess dann schnell zu Ende ist.
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