Die Plätze der Bachgauhalle in Großostheim im Landkreis Aschaffenburg sind am Dienstagabend bis auf den letzten Platz besetzt. 250 Menschen wollen die Sondersitzung des Marktgemeinderats verfolgen zur geplanten Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete im Ort. Rund 150 teils verärgerte Menschen stehen vor der Halle, kommen nicht mehr hinein – die Polizei kontrolliert die Türen.
Mobilisierung in sozialen Netzwerken
Zum Protest gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft in Großostheim wurde und wird nach BR-Recherchen in etlichen Gruppen in sozialen Netzwerken mobilisiert. In einer WhatsApp-Chatgruppe heißt es: "Diese Gruppe ist für alle Einwohner der Bachau Gemeinden, die aufgewacht sind und erkennen, wo unsere 'staatlichen Einrichtungen' das Land hinführen" (sic!). Rund 600 Mitglieder besitzt die entsprechende Gruppe. In dieser heißt es beispielsweise "Demokratie ist Sklaverei in Reinform". Doch wer zu den Demonstranten gehört, die am Abend zum Protest aufgerufen haben, ist in der Masse der Menschen nicht auszumachen.
Etwas abseits steht eine kleine Gruppe, die Flagge zeigen will. "Rechte Strukturen zerschlagen – Antisemitismus und Rassismus die Stirn bieten", steht auf ihrem Banner.
Leerstehendes Firmengebäude als Flüchtlingsunterkunft?
Zwei Stunden dauert die Sondersitzung, bei der Vertreter der Regierung von Unterfranken über das Vorhaben informieren. Ein Privatinvestor habe der Regierung sein leerstehendes Firmengebäude an der Ortsumgehung angeboten. Hier sollen 150 Asylbewerber einziehen, Familien mit Kindern, doch die Mehrzahl werden junge Männer sein – aus Ländern wie Afghanistan, dem Iran und Somalia.
Auch in anderen Landkreisen sorgen fehlende und überfüllte Unterkünfte für Debatten. So werden im Landkreis Regensburg mittlerweile private Unterkünfte für Geflüchtete gesucht. In Bach an der Donau soll seit Februar vorübergehend ein Schiff als Notunterkunft für 200 Schutzsuchende dienen. Einige Menschen in Bach an der Donau sehen die Maßnahme kritisch. Im Landkreis Miltenberg hat Grünen-Landrat Scherf im Februar gewarnt, dass die Akzeptanz für Flüchtlingshilfe sinke und mit einem Brandbrief bundesweit für Aufsehen gesorgt. Er sieht bei der Aufnahme Geflüchteter vor Ort eine Belastungsgrenze erreicht.
Bürgermeister: Sorge um Integration
Großostheims Bürgermeister Herbert Jakob betonte zu Beginn der Sitzung, dass ihm das Vorhaben große Sorgen bereite. Eine Integration von so vielen Menschen könne in seiner kleinen Gemeinde nicht gelingen. Er erntete tosenden Applaus. Hilfe erhofft er sich vor allem von der Bundesregierung, wie er gegenüber dem BR betonte: "Aber auch die Bayerische Staatsregierung muss ich in die Pflicht nehmen."
Es könne nicht sein, "dass der kleine Markt die Bürger aufnimmt – das werden dann Großostheimerinnen und Großostheimer – und wir sollten dann auch noch das Betreuungsgeld auszahlen", so Jakob. "Das kann ich in meinem kleinen Haus nicht leisten – da brauche ich Unterstützung von Bund und Land." Dass in sozialen Netzwerken auch während der Veranstaltung gegen die Gemeinderäte gehetzt wurde, mache ihm Bauchschmerzen und Angst um die Demokratie.
Regierung: Landkreis erfüllt Quote noch nicht
Maria-Antonette Graber, die Sachgebietsleiterin Flüchtlingsunterbringung und Integration bei der Regierung von Unterfranken, hatte am Abend keinen leichten Stand. Sie wurde mehrfach durch Buh-Rufe und Kommentare unterbrochen. Doch sie betont, dass auch die Regierung unter Zugzwang sei. Es sei nicht einfach, eine Immobilie am Bayerischen Untermain zu finden, Wohnraum in bayerisch Rhein-Main sei knapp.
Graber betont, dass jeder Landkreis seine Quote erfüllen müsse. "Doch der Landkreis Aschaffenburg erfüllt seine Quote von 13,3 Prozent am Anteil von Unterfranken noch nicht ganz." Der Mietvertrag für die GU in Großostheim sei noch nicht unterschrieben. Doch dass sie kommen wird, sei wohl wahrscheinlich.

Bei der Sondersitzung des Marktgemeinderats in Großostheim zur geplanten Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete gab es hitzige Diskussionen.
Probleme mit Arbeitserlaubnis und ärztlicher Versorgung
Ein Gemeinderat betont, dass die Integration der Asylbewerber auch deshalb schwierig sei, weil sich die Arbeitserlaubnis zum Teil über Jahre hinziehe. Ein anderer fordert: "Wir wollen, dass die Menschen, die hierherkommen, unsere Kultur und Werte akzeptieren und respektieren."
Eine andere Gemeinderätin fordert Hilfe von der Regierung, vor allem, was die ärztliche Versorgung der Menschen anbelangt, denn die Hausärzte seien bereits am Limit: "Wir nehmen auch Sie in die Pflicht, uns zu helfen." Einen Applaus von den Unruhestiftern im Saal verbat sie sich allerdings.
"Querdenker" und rechte Szene mobilisieren gegen Flüchtlingsunterkunft
Wie BR-Rechtsextremismus-Experte Jonas Miller recherchiert hat, wurde auch in Kanälen der "Querdenker"-Szene und der rechten Szene für die Kundgebung gegen die Flüchtlingsunterkunft mobilisiert. In einem Kanal aus dem "Querdenker"-Milieu heißt es beispielsweise: "Den Großostheimern muss gegen ein Asylheim geholfen werden." Großostheims Bürgermeister Herbert Jakob ist von der Hetze im Netz nichts bekannt. "Ich nutze diese sozialen Medien nicht, weil ich mich darüber einfach nicht ärgern mag", sagt er.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!