In der Nacht des 9. November 1938 machen sich die Schlägertrupps der "Sturmabteilung" auf den Weg. Das Ziel der Nazis: Synagogen, jüdische Betstuben, jüdische Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe. Jüdinnen und Juden werden misshandelt, verhaftet oder getötet. Häuser, Geschäfte und Synagogen gehen im gesamten Gebiet des damaligen Deutschen Reichs in Flammen auf.
Auch in Augsburg sind die braunen Schlägertrupps unterwegs, wie die Israelitische Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg dokumentiert: Bewaffnet mit Äxten, Stangen und Keulen dringen 20 bis 30 junge Männer gewaltsam in die Synagoge ein. So berichtet es die Tochter des Synagogen-Vorstands. Tora-Rollen, Leuchter und andere heilige Gegenstände werden zertrümmert. Als sich Brandgeruch breit macht, sind die Telefonleitungen bereits zerschnitten.
Die Tankstelle sollte geschützt werden
Doch die Synagoge übersteht den Vandalismus. In den frühen Morgenstunden des 10. Novembers rückt die Feuerwehr an, um den Brand zu löschen. Der Erhalt des Gotteshauses ist dabei zweitranging. Vor allem geht es darum, ein Übergreifen der Flammen auf die umstehenden Wohnhäuser und eine naheliegende Tankstelle zu verhindern.
Im Inneren wüten die Schäger jedoch weiter. Noch mehrere Tage lang wird Inventar zertrümmert. Genauso lange werden Juden verhört, denen man nun auch noch die Schuld an dem Brand und der zerschnitten Telefonleitung geben will. Mehr als 300 Juden werden ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Darunter auch alte Menschen, so die Israelitische Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg.
Wie die Nazis die jüdische Gemeinde auslöschen
In den folgenden Jahren verschwindet das jüdische Leben gänzlich aus Augsburg. Im November 1941 werden die ersten schwäbischen Juden in den Osten deportiert und im Wald bei Kaunas erschossen. Laut der Israelitischen Kultusgemeinde werden insgesamt 450 Menschen aus der Stadt in die Vernichtungslager geschickt.
Heute gibt es wieder eine jüdische Gemeinde in Augsburg, die in einem Gedenkgottesdienst an die Verbrechen des Nazis im Zuge der "Reichspogromnacht" erinnert. Rund 1.500 Mitglieder hat die Gemeinde, die meisten stammen aus Russland oder der Ukraine - derzeit eine heikle Mischung, die aber in der Gemeinde zu keinen Konflikten führt, so eine Sprecherin. Gleich zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine seien gemeinsame Hilfsmaßnahmen organisiert worden.
Die größte Aufgabe der Gemeinde ist aktuell die Sanierung der 1917 erbauten Synagoge. Durch schmiedeeiserne Tore betritt man zunächst einen Innenhof und gelangt von dort in das prachtvolle Gotteshaus mit der großen Kuppel. Tora-Schrein und Gebets-Pult stehen im Zentrum des Gotteshauses – dort, wo die Schlägertrupps der Nazis einst das Feuer gelegt hatten.
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