Kurz nach halb neun, Christina David sperrt die Tür zu ihrem Büro auf, das Handy unters Ohr geklemmt. "Haben sie eine Räumungsklage oder was ist der Grund der drohenden Obdachlosigkeit?" fragt sie den Anrufer und trifft damit gleich ins Schwarze. Der Mann muss raus aus seiner Wohnung – innerhalb der nächsten drei Wochen. Um die Gründe zu erfahren und zu schauen, wie sie helfen kann, damit er nicht auf der Straße landet, vereinbart Christina David einen Termin bei ihm zuhause.
In ihre Beratungsstelle kommt jetzt aber erstmal eine 42 Jahre alte Mutter. Als sie den Raum betrifft, streckt sie Christina David einen Schoko-Osterhasen hin und lächelt: "Weil Sie so viel für uns getan haben". Ohne David würde die Frau mit ihrem Sohn und ihrer Mutter wohl noch im Obdachlosenheim leben. Nach einer schweren Krankheit und Rattenbefall in ihrer alten Wohnung sind sie dort gelandet. "Dann habe ich Christina David kennengelernt, und die hat für uns eine Wohnung gefunden", sagt die Frau und lächelt. Sie hat eine Lese-Rechtschreibschwäche, tut sich schwer mit Formularen.
Christina David hilft in Notfällen
David hat der 42-Jährigen deshalb beim Schreiben der Bewerbung geholfen. Sie hat gute Kontakte, weiß wo im schwäbischen Dillingen welche Wohnung frei ist. So konnte sie helfen, wie bei etwa 80 Prozent der rund 400 Haushalte, die in den vergangenen fünf Jahren zu ihr zur Beratung kamen. Sie macht aber auch klar: Die Wohnungsnotfallhilfe sei kein Maklerbüro. Sie helfe nur in Notfällen.
Doch diese Notfälle werden immer mehr: Allein 2024 kamen über 120 Menschen zu ihr, die dringend eine neue Wohnung brauchten. Der Wohnungsmarkt ist auch auf dem Land angespannt. Es gebe zu wenige günstige Wohnungen, sagt David. Insbesondere fehlten auch größere Wohnungen, für Familien mit Kindern.
Wohnungslosigkeit nimmt zu
Fast 440.000 wohnungslose Menschen waren laut statistischem Bundesamt Ende Januar 2024 bundesweit von Kommunen in Einrichtungen untergebracht. In Bayern waren es demnach 39.130 Menschen – ein Anstieg um mehr als 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dabei erfasst die Statistik lediglich untergebrachte Personen, die Dunkelziffer von Menschen, die bei Angehörigen oder Bekannten unterkommen oder auf der Straße leben, dürfte deutlich höher liegen.
In Großstädten ist das Problem besonders massiv: So waren in München laut Diakonie Bayern zuletzt über 10.000 wohnungslose Menschen in Notunterkünften oder Einrichtungen untergebracht, in Nürnberg waren es mehr als 4.500, in Augsburg über 1.500.
Der Freistaat finanziert Modellprojekte gegen Obdachlosigkeit und stellt Fördermittel für Präventionsmaßnahmen bereit. Vor allem soziale Träger wie die Caritas oder die Diakonie setzen sich mit dieser Unterstützung sowie Hilfe der Kommunen gegen Wohnungslosigkeit ein. Die Caritas bietet zahlreiche Hilfsangebote und betreibt Notunterkünfte etwa in Augsburg. Auch die Diakonie betreibt Notunterkünfte und unterstützt mit bayernweit um die 200 Hilfsangeboten Menschen bei der Suche nach Wohnungen, etwa durch Beratungsstellen wie der in Dillingen.
Diakonie hat Tipps für Wohnungssuche
Dort erfahren die Wohnungssuchenden, was sie alles beachten müssen, um überhaupt erstmal zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen zu werden. So sollte der Bewerbungstext keine Grammatik- oder Rechtschreibfehler enthalten, rät Christina David. Wichtig sei es auch, die Höhe der momentanen Einkünfte offenzulegen und eine aktuelle Schufa-Auskunft beim Vermieter vorzulegen. Die könne man kostenlos online beantragen.
War die Beratungsstelle anfangs nur als vorübergehendes Pilotprojekt im Rahmen des Aktionsplan "Hilfe bei Obdachlosigkeit" des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales angelegt, konnte das Dillinger Projekt wie laut Diakonie 75 Prozent dieser Modellprojekte in eine dauerhafte Einrichtung umgewandelt werden. Die Beratungsstelle wird inzwischen von der Stadt und dem Landkreis Dillingen finanziert. Seit fünf Jahren gibt es die Wohnungsnotfallhilfe in Dillingen – und jedes Jahr suchen mehr Menschen dort Unterstützung.
Seit 5 Jahren gibt es die Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie in Dillingen: Vom Projekt wurde sie zur festen Einrichtung.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!