Kultusminister Piazolo in München
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Kultusminister Piazolo in München

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Piazolo: "Solide Unterrichtsversorgung" - Hunderte Lehrer fehlen

Zu Beginn des Schuljahrs in Bayern wird es laut Kultusminister Michael Piazolo an allen Schularten eine "solide Unterrichtsversorgung" geben - trotz des Lehrermangels. Es gebe aber Unwägbarkeiten. Lehrerverbände und Opposition beklagen Schönfärberei.

Trotz vielfältiger Herausforderungen blickt der bayerische Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) insgesamt zuversichtlich auf das neue Schuljahr. Die gute Nachricht sei, dass es - "Stand heute" - an allen Schularten "eine solide Unterrichtsversorgung" gebe, sagte Piazolo in München. Das neue Schuljahr beginnt am Dienstag.

Der "Pflichtunterricht der Stundentafel" werde stattfinden, Wahlunterricht oder Arbeitsgemeinschaften könnten aber wegfallen. Der Freie-Wähler-Politiker räumte ein, dass es mehr Unabwägbarkeiten als in anderen Schuljahren gebe. "Es wird ein herausforderndes Schuljahr."

Piazolo: So viele Lehrer wie nie - dennoch Mangel

Lehrerverbände hatten in den vergangenen Tagen und Wochen Alarm geschlagen. Die Lage sei so angespannt wie noch nie in Bayern, warnte beispielsweise der bayerischen Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Besonders an den Grund-, Mittel- und Förderschulen fehlen Lehrkräfte vorne und hinten."

Piazolo betonte, noch nie habe es in Bayern so viel Lehrkräfte geben wie aktuell - mit mehr als 100.000 im staatlichen Bereich. Dennoch herrsche ein Mangel. "Wir haben immer noch zu wenig", sagte der Minister. Steigenden Schülerzahlen stehe ein Rückgang der Lehramtsabsolventen gegenüber. "Wir haben an den meisten Schularten Volleinstellung. Wir nehmen alle, die da sind."

Es gebe aber noch "offene Verträge und Beschäftigungsmöglichkeiten". Es fehlten einige hundert Lehrkräfte, vor allem an Grund- und Mittelschulen. Eine genaue Zahl nannte Piazolo auch auf mehrfache Nachfrage nicht. Auch regional gebe es Unterschiede. Mangel herrsche beispielsweise in ein paar ländlichen Regionen in Mittelfranken und im Allgäu.

Keine strengen Corona-Maßnahmen zu Beginn des Schuljahrs

Nach dem Willen des Ministers soll es bei den Corona-Schutzmaßnahmen einen "Gleichklang" zwischen den Schulen und den übrigen gesellschaftlichen Bereichen geben. Es könne nicht sein, dass es an den Schulen ein sehr strenges Regiment gebe, während ansonsten "frohes Treiben" herrsche.

Zunächst werde es keine besonders strengen Regeln geben, bekräftige der Minister. Schon vor den Ferien hatte das Kabinett beschlossen, ohne Testpflicht ins neue Schuljahr zu starten. In den ersten beiden Wochen nach Schulbeginn wird es laut Piazolo die Möglichkeit geben, bis zu sechs Selbsttests in der Schule zu erhalten. "Die Tests werden dann zuhause durchgeführt", betonte er. Es gebe keine Tests in den Schulen.

Die bisherigen Hygieneempfehlungen gelten dem Minister zufolge weiter. Wer krank sei oder Corona-Symptome habe, solle zu Hause bleiben. Es bleibe bei der Empfehlung, zumindest auf den Begegnungsflächen eine Maske zu tragen. Auch in diesem Jahr sei das vorrangige Ziel, so viel Präsenzunterricht und so viel Normalität wie möglich zu erreichen.

Lehrerverband: "Unterricht wird gekürzt werden müssen"

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, äußerte sich bei BR24live kritisch: "Herr Piazolo hat erklärt, dass wir so viele Lehrkräfte wie noch nie in Bayern haben. Er hätte aber auch sagen können, dass wir noch nie so viele fehlende Lehrkräfte wie in diesem Schuljahr haben." Meidinger geht insgesamt von fehlendem Personal im vierstelligen Bereich aus.

Was kurzfristige und flächendeckende Lösungen für das neue Schuljahr angehe, sei "das Kind schon in den Brunnen gefallen". Nun seien Schulleitungen vor Ort gefordert. Sie müssten versuchen, Quereinsteiger anzuwerben, bereits pensionierte Lehrkräfte zu gewinnen oder Kollegen dazu zu bewegen, Teilzeitstellen aufzustocken.

"Letztendlich wird auch Unterricht gekürzt werden müssen", sagte der Verbandspräsident. Der Kulturminister spreche in diesem Zusammenhang von Zusatzangeboten, damit seien beispielsweise aber auch Deutschförderkurse an Grundschulen gemeint. Diese gehören nicht zum Pflichtprogramm, seien aber enorm wichtig für die Integration und für Kinder aus benachteiligten Familien.

Schülersprecherin: Lehrermangel "absolut kritisch"

Marlena Thiel, Landesschülersprecherin für die bayerischen Gymnasien, bewertete den Lehrermangel als "absolut kritisch". Durch die Corona-Pandemie seien bei vielen Schülerinnen und Schülern Lücken entstanden, die nur durch Förderangebote geschlossen werden könnten, betonte sie bei BR24live. Viele Jugendliche hätte außerdem mit psychischen Belastungen zu kämpfen. Es brauche daher ausreichend Lehrkräfte, "um Schule wieder zu dem sozialen Ort zu machen, der er sein sollte", sagte Thiel.

Elternverband besorgt: "Unser Land wird das büßen müssen"

Der Bayerische Elternverband blickt mit großer Sorge auf das neue Schuljahr und warnt vor schmerzhaften Abstichen. Die Folgen von Corona seien noch lange nicht ausgestanden, teilte der Verband mit. "Und die Kürzungen werden vor allem die Kinder treffen, deren Eltern sie nicht unterstützen können, sei es, weil ihnen selbst die Bildung fehlt, sei es, weil sie nicht gut genug Deutsch sprechen. Unser Land wird das büßen müssen."

Der Freistaat müsse die Bedingungen für Lehrkräfte an Grund- Mittel- und Förderschulen deutlich attraktiver machen. Wo Personalmangel herrsche, müssten Stipendien, Prämien, sichere Verträge und höhere Einstiegsgehälter eingesetzt werden. Das "ehrenwerte Anliegen, dem Steuerzahler hohe Ausgaben zu ersparen", finde hier ein Ende.

Grüne: "Ich sehe keinen Plan"

Auch die Grünen-Schulexpertin im Landtag, Anna Schwamberger, zeigte sich bei BR24live enttäuscht von Piazolos Aussagen. Sie bewerte die Lage bei weitem nicht so rosig wie der Minister. "Ich sehe keinen Plan", sagte sie. Vor einem Jahr habe Piazolo gelobt, dass vor jeder Klasse ein Lehrer stehe, jetzt freue er sich über eine "solide" Unterrichtsversorgung. "Wir senken das Niveau von Jahr zu Jahr", kritisierte Schwamberger. Es zeichne sich bei allen Schularten ein Lehrkräftemangel ab.

Besonders im Bereich der Mittelschule sieht die Landtagsabgeordnete dringenden Handlungsbedarf. Dort sehe es laut Lehrerbedarfsprognose des Kultusministeriums bis mindestens 2032 schlecht aus: "Ich habe das Gefühl, diese Schulart soll gegen die Wand gefahren werden", sagte Schwamberger. Um dem entgegenzuwirken müsse langfristig die Ausbildung verändert werden. Im Moment müssten sich Abiturienten am Beginn des Studiums für eine Schulart entscheiden. "Das ist einfach zu früh", so die Grünen-Politikerin. Abiturienten würden aus eigener Erfahrung nur das Gymnasium kennen und müssten vor ihrer Entscheidung auch die anderen Schularten kennenlernen.

SPD: Piazolo redet sich die Welt schön

SPD-Bildungsexpertin Simone Strohmayr verlangte, Bayern müsse mehr Lehrkräfte einstellen und den Beruf dafür attraktiver machen. Das sei der einhellige Wunsch von Schülern, Eltern und Lehrern. "Die Klassen sind zu groß, es gibt Unterrichtsausfälle, die nicht aufgefangen werden können." Einzig der bayerische Kultusminister rede sich die Welt schön und behaupte, es gebe kein Problem.

FDP: Schulstart ins Ungewisse

Als "Mangelverwalter" bezeichnete FDP-Bildungspolitiker Matthias Fischbach den Kultusminister. "Statt mit stoischer Gelassenheit über hunderte unbesetzte Stellen zu sprechen, sollte er die Sorgen der Schulfamilie vor Ort ernst nehmen und handeln." Reformen in der Ausbildung, Auswahl und Anstellung von Lehrkräften seien überfällig. Die Staatsregierung mit ihrem Kultusminister versage schon bei kurzfristigen Maßnahmen, wie "dem viel zu pauschalen Betretungsverbot für Schwangere", auf ganzer Linie. Nach all den unpräzisen Auskünften zum Lehrkräftemangel stünden Bayerns Schülerinnen und Schüler sowie ihre Lehrkräfte nun jedenfalls vor einem Schulstart ins Ungewisse.

Nach Angaben Piazolos werden im neuen Schuljahr knapp 3.000 schwangere Lehrerinnen für die Unterrichtsversorgung im Freistaat fehlen, da für sie wegen Corona weiterhin ein Betretungsverbot gelte. "Das heißt, sie sind beschäftigt, aber können in der Schule nicht direkt unterrichten." Natürlich wünsche er sich, auch die Schwangeren im Unterrichtsbetrieb zu haben. Allerdings habe der Freistaat als Dienstherr eine Fürsorgepflicht - der Schutz der Gesundheit der Schwangeren und des ungeborenen Lebens müsse ganz weit oben stehen. Das Kultusministerium sei bei diesem Abwägungsprozess im Austausch mit dem Gesundheits- und dem Kultusministerium.

Zahl der Schüler gestiegen

Im neuen Schuljahr wird es laut Piazolo 1,68 Millionen Schülerinnen und Schüler geben. Das seien 45.000 Kinder und Jugendliche mehr als im vorigen Schuljahr (+2,8 Prozent). Allein rund 30.000 von ihnen stammten aus der Ukraine. Die Zahl der Erstklässler sei mit 130.000 um 9.500 höher als vor einem Jahr (+8 Prozent) .

Das BR24live zum Schulstart zum Nachschauen:

Minister Piazolo
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