Wer durch Oberammergau läuft, dem fällt gleich auf, wie ernst es die Oberammergauer mit ihrer Passion nehmen. Auffällig viele langhaarige und bärtige Männer prägen das Straßenbild. Der Haar- und Barterlass verbietet männlichen Darstellern die Rasur und das Haareschneiden. Nur den Darstellern der römischen Soldaten ist ein Kurzhaarschnitt und ein glattes Kinn erlaubt.
Damit alles möglichst authentisch aussieht, wuchern die Haare immer ab Aschermittwoch im Jahr vor einer Passion. Doch wegen der Corona-Verschiebung waren einige schon fast drei Jahre nicht mehr beim Friseur. Das Ritual ist im Ort Kult und stimmt alle schon Monate vor dem ersten Auftritt auf die Rolle ein.
Die Passion mit der Passion
Nur wer in Oberammergau geboren ist oder mindestens 20 Jahre im Dorf lebt, darf mitspielen. Das schreibt das Spielrecht vor. Im Lauf der fast 400-jährigen Passionsgeschichte hat es sich immer wieder geändert. So durften etwa bis 1984 keine verheirateten Frauen und Frauen über 35 Jahre mitspielen. Eine Schande, fanden einige Oberammergauerinnen und erstritten sich vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof das Mitwirkungsrecht. Passionsspielen ist für Oberammergauer einfach eine Leidenschaft und für eine Rolle auf der Bühne wird gekämpft.
Seit 30 Jahren inszeniert Christian Stückl in seinem Heimatort Oberammergau die Passionsspiele.
Passion soll mehr polarisieren
Auch Spielleiter Christian Stückl (Intendant des Münchner Volkstheaters) hat die Passion erneuert. Seit 30 Jahren inszeniert der gebürtige Oberammergauer die Spiele, die für viele im Ort die Welt bedeuten. Stückls Handschrift ist unverkennbar, nicht nur im Text und auf der Bühne, sondern auch hinter den Kulissen. So ist es ihm zu verdanken, dass Mitbürger ohne Kirchenmitgliedschaft und Angehörige anderer Religionsgemeinschaften mitwirken dürfen. Das war davor Hunderte Jahre nur Christen erlaubt.
Dieses Mal hat der Theaterregisseur eine der begehrtesten Hauptrollen, die des Judas, an einen Muslim vergeben. Stückl liebt es zu polarisieren und zu provozieren. Flüchtlingskrise, Corona und der Ukraine-Krieg tun ihr übriges. Das Bühnenbild und die Kostüme sind trist und grau, das soll das derzeitige Gefühl unterstreichen. Stückl hat auch den Text nachjustiert. "Jesus ist bei dieser Passion lauter und wirkt verzweifelter angesichts der Lage der Welt", so der Macher im Theater.
Leben von und für die Passion
Rund 1.800 Mitwirkende sind es bei dieser Passion, darunter Hunderte Kinder, für die großen Volksszenen. Mit einem Durchschnittsalter von rund 30 Jahren ist die Passion so jung wie noch nie. Durch die Verschiebung um zwei Jahre sind gut 300 Bürgerinnen und Bürger abgesprungen oder einfach auch verstorben. Trotzdem beteiligt sich fast das halbe Dorf. Oberammergau lebt von und für die Passion.
In erster Linie wollen sie im Dorf das Gelübde einhalten, dass die Vorfahren 1633 abgelegt haben, um ihr Dorf vor der Pest zu verschonen. Doch die Passion ist für fast alle Betriebe der wirtschaftliche Motor und für die politische Gemeinde Haupteinnahmequelle außerhalb der staatlichen Finanzierung.
Oberammergau in den Ammergauer Alpen ist in den nächsten Monaten die Bühne der Welt.
Oberammergau ist gemacht für die Passion
Für diese Zeit putzt sich das ganze Dorf heraus. Hotels bekommen neue Betten, Fassaden werden renoviert, Souvenirläden rüsten sich mit Ware auf. Für alle – egal ob Hotels, Lokale oder Holzschnitzgeschäfte und natürlich auch die Gemeinde – muss in dieser Zeit das verdient werden, wovon man die Zeit bis zur nächsten Passion überbrückt. Bei der letzten Passion 2010 waren knapp eine halbe Million Gäste im Ort. Laut Bürgermeister Andreas Rödl (CSU) wurden rund 40 Millionen Euro verdient. "Andere Orte haben Großkonzerne, die Gewerbesteuer zahlen, wir eben die Passion", so der Bürgermeister.
Ein Drittel aller Gäste kommen aus den USA, Großbritannien und Skandinavien. Aber auch viele andere Nationen sind vertreten. Das Dorf Oberammergau präsentiert sich wie eine Filmkulisse – umrahmt von Bergen, dazu Lüftelmalerei an den typisch oberbayerischen Häusern und viel Holzschnitzhandwerk – meist aus Südtiroler Herkunft - in den Schaufenstern.
Die Passion und Corona
Die Corona-Pandemie überschattete das Leben in Oberammergau stärker als andernorts. Als Christian Stückl 2020 einige Tage vor der Premiere mit Tränen in den Augen die Reißleine zog und die Spiele um zwei Jahre verschob, war das für viele im Ort ein Schock. Tausende von Tickets, Hotelbuchungen und Reisearrangements mussten rückabgewickelt werden, die Darsteller fielen in eine Art Schockstarre und das Passionstheater war mit einem Schlag im Winterschlaf. Als dann auch noch die Inzidenzzahlen neue Rekordwerte erreichten, glaubte niemand mehr so recht an eine Premiere in diesem Jahr. Doch hartnäckig wie die Oberammergauer sind, tüftelten sie im Winter ein Hygienekonzept aus.
Die Passion verbindet und verbrüdert Oberammergau.
Die Passion beflügelt
Egal ob auf oder hinter der Bühne, jeder musste vor Betreten des Passionstheaters einen Coronatest machen. Auch, als die Bestimmungen von Seiten des Staates längst gelockert waren. Geprobt wurde nur in kleinen Gruppen, der Aufwand war groß, doch letztlich zahlte es sich aus. So gibt es im Passionstheater keine Beschränkungen, alle 4.400 Plätze dürfen besetzt werden und es gilt weder Masken- noch Testpflicht für die Zuschauenden.
Rund zwei Drittel aller Tickets sind verkauft, vor allem aus Deutschland sei die Nachfrage sehr hoch, sagt Walter Rutz, der Geschäftsführer der Passionsspiele. Viele würden anscheinend nach dem Corona-Lockdown nach solchen Kulturevents lechzen, Tickets gebe es noch in allen Preiskategorien von 30 Euro bis 180 Euro. Während für die Besucher alles wie immer ist, müssen sich die Mitwirkenden weiter testen, um Ansteckungen zu minimieren. Von Vorteil ist auch, dass alle Hauptrollen doppelt besetzt sind. Der Spielbetrieb kann sogar dann weiterlaufen, wenn Jesus an Corona erkranken würde.
Keine Masken, Keine Corona-Kontrollen und es gibt noch Tickets für die Vorstellungen, die bis Anfang Oktober laufen.
Ein Dorf rückt zusammen
Die Oberammergauer sind ein streitbares Volk. Die Passionsgemeinde ist bei Volksentscheiden bayernweit ganz vorn mit dabei. Ob Bürgerbegehren zum Freizeitbad im Ort, Schneekanonen im Skigebiet oder eben immer wieder die Passionsspiele. Von der Gestaltung der Fassade bis zur Verschiebung der Spiele in den Abend. Doch alle zehn Jahre ist Schluss mit dem Theater und alle ziehen an einem Strang. Jung und Alt raufen sich zusammen und schaffen immer wieder aufs Neue etwas Einzigartiges. Egal ob beim Bühnenbildbau oder in der Schreinerei, überall packen die Dorfbewohner mit an, andere studieren Texte für die Sprecherrollen, wieder andere sind im Chor oder im Orchester engagiert.
Die Passion hinterlässt Spuren
Ein halbes Jahr werden sie fast täglich zusammen sein, über 100 Vorstellungen stehen auf dem Plan. Das ist eine intensive Zeit und schweißt zusammen, heißt es immer wieder. Auch die Geselligkeit kommt nie zu kurz. Und obwohl die Geschichte der Passion von anno dazumal ist, fasziniert sie vor allem auch die Jungen. David Bender ist zum ersten Mal bei der Passion dabei und spielt gleich mal eine Hauptrolle, den Engel, der als Erzähler durch die Passion führt.
Für den 19-Jährigen geht es weniger um Glauben, sondern mehr um das Miteinander. Doch die Rolle prägt ihn mehr und mehr. So meint er etwa, wenn sich mehr Menschen eine Scheibe von Jesus abschneiden würden, wäre die Welt besser. Oberammergauer sind vielleicht keine gläubigeren Menschen, aber die Passion erdet sie immer wieder aufs Neue und kittet so manchen Streit im Dorf.
Das letzte Abendmahl.
Festgottesdienst und Staatsempfang zu Ehren der Passion
Die große bayernweite Bedeutung der Passion in Oberammergau würdigt die bayerische Staatsregierung mit einem Staatsempfang. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) empfängt in der Pause der fünfstündigen Passion Darsteller, Bürger und Prominenz. Bevor die Spiele beginnen, wird es am Vormittag einen Ökumenischen Eröffnungsgottesdienst im Passionstheater geben. Der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Kardinal Marx, und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm werden ihn zelebrieren.
Generell wichtig: Das Ortszentrum von Oberammergau ist teilweise für den Verkehr gesperrt und dort sind keine Parkplätze für Besucher der Passionsspiele vorhanden. Es gibt zwei große Park & Ride Parkplätze, die können über die Beschilderung "P&R Süd" und "P&R Nord" erreicht werden. Von beiden Parkplätzen verkehren kostenlose Shuttlebusse (blaue Linie) zum Veranstaltungsgelände. Empfohlen wird die Anreise mit der Bahn. Der Bahnhof in Oberammergau liegt zentral und die Bahn will Sonderzüge einsetzen.
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