Das Herz der Maus auf dem Operationstisch schlägt rund 500 Mal in der Minute. Es ist kleiner als eine Cent-Münze. In diesem Größenbereich operiert Professorin Anja Meissner. Sie will bei der Maus einen künstlichen Herzinfarkt erzeugen. Dazu öffnet sie den Brustraum der Maus und bindet eine Herz-Arterie ab. Das Blut staut sich, es kommt zum Infarkt.
Danach holt die Forscherin die betäubte Maus ins Leben zurück. Das Ziel der Operation: Untersuchen, wie sich die künstlich erzeugte Herzschwäche auf Lunge oder Gehirn auswirkt. Im Idealfall lassen sich daraus Rückschlüsse für den Menschen ziehen, so Meissner, die diese Operationen bislang in Schweden durchgeführt hat und nun nach Augsburg wechselt.
Ärzte gegen Tierversuche: "Die Tiere haben unendlich Angst"
Rosmarie Lautenbacher entsetzen diese Experimente. "Die Tiere haben unendlich Angst", sagt die Medizinerin aus dem Vorstand der "Ärzte gegen Tierversuche". Vor den Interims-Laboren der Uni Augsburg hat sie ein Banner aufgespannt. Darauf baumelt eine Maus in der Luft, eine Menschenhand hält das Tier am Genick fest. Lautenbacher will nicht akzeptieren, dass die Uni Augsburg demnächst mit Tierversuchen an Mäusen und Ratten startet.
"Die Komplexität der Erkrankung eines Menschen lässt sich überhaupt nicht nachvollzeihen im Tier. Und entsprechend mies sind die Ergebnisse", kritisiert Lautenbacher. Es gebe bessere Wege. "Was Herz-Erkrankungen angeht, kann man auch beim Menschen enorm viel machen in der klinischen Forschung, was bei einem Tier gar nicht geht. Zum Beispiel Herzszintigraphie, MRT oder EKG." Die Aussagen der Tierschützerin sind falsch, entgegnet Meissner. Auch bei Mäusen werde MRT, Echo und EKG eingesetzt, um die Tiere so schonend wie möglich zu beforschen.
Der lange Weg zum Tierversuch
Durch eine Luftschleuse betritt man die Labore der Uni Augsburg. Bis zur Decke türmen sich in zwei Räumen Käfigreihen. Noch sind sie leer. In Gesprächen spürt man bei den Wissenschaftlern die Sorge, als herzlose Tierquäler dazustehen. Gleich zu Beginn des Gesprächs macht Prof. Meissner klar, wie sehr ihr Tiere am Herzen liegen, dass es für sie und ihre Kollegen die schlimmsten Arbeitstage sind, wenn sie Tiere töten müssen.
Dann beginnt die Forscherin zu erklären, wie ihr Versuch für die Maus abläuft. "Natürlich wird sie narkotisiert", sagt Meissner. Und sie verabreichet Schmerzmittel. Vor der Operation, währenddessen und auch noch mehrere Tage danach. Von der OP bekomme das Tier nichts mit. "Den Mäusen geht es danach relativ gut, sie laufen schnell wieder rum. Man kann davon ausgehen, dass sie keine Schmerzen von der Operation haben."
Bevor Anja Meissner überhaupt das Skalpell ansetzen darf, hat ihr Forschungsvorhaben einen langen Papierweg hinter sich. Denn die Tierversuche sind nur ein Randaspekt der Grundlagenforschung, die sie in Augsburg betreiben wollen. Die meiste Forschung läuft über Computermodelle und Zellkulturen. Erst wenn die Forschenden damit nicht weiterkommen, dürfen sie einen Tierversuch überhaupt in Erwägung ziehen.
Warum Forscher Tierversuche für unverzichtbar halten
Für medizinischen Fortschritt braucht es nach wie vor Tierversuche. Das sagt Prof. Meissner und das sagen ihre Kolleginnen und Kollegen, die mit ihrer Forschung menschliches Leid lindern wollen. "Es geht um Fragen wie das Zusammenspiel zwischen Organen und Gehirn. Oder das Zusammenspiel zwischen Immunsystem und Organismus. Solche komplexen Systeme können wir nicht in Zellkulturen abbilden", sagt Prof. Volker Eulenburg, der mit Meissner in Augsburg forscht. "Und es wird auch in absehbarer Zukunft nichts geben, was den Tierversuch bei komplexen Fragen ersetzen kann."
Lautenbacher überzeugt das nicht. Der Großteil der Medikamente, die im Tierversuch erfolgversprechend getestet wurden, seien nicht für Menschen geeignet, sagt die Tierschützerin. Eulenburg und seine Kollegen ziehen eine andere Bilanz. Es sei grundsätzlich so, dass viele Forschungsvorhaben erfolglos verlaufen - egal ob Tierversuch oder andere Methoden. Wichtige Fortschritte bei der Behandlung schwerer Krankheiten wie Krebs oder Diabetes hätte es ohne Tierversuche jedenfalls nicht gegeben. Und viele Tierversuche seien in den vergangenen 20 Jahren schon durch andere Methoden ersetzt worden.
Drei bis vier Mäuse pro Käfig
Bei Meissners Mäuse-OP hat das noch nicht geklappt. Also muss sie den Behörden erklären, wie und warum sie einen Tierversuch durchführen will. Die wissenschaftliche Frage darf nicht schon beantwortet sein und sie darf nicht durch eine andere Methode als den Tierversuch beantwortet werden können. Schmerzen, Leiden oder Schäden müssen auf das geringstmögliche Maß verringert werden. Die Tierzahl muss auf das absolut notwendige Maß reduziert werden. Nur dann wird der Versuch genehmigt.
Maximal 2.500 Mäuse werden in Augsburg für die Forschung bereitstehen. Jeweils drei bis vier leben in einem Käfig. Der ist aus durchsichtigem Kunststoff und etwas größer als ein Schuhkarton. Darin sind Spiel- und Versteckmöglichkeiten, Wasser und Nahrung stehen bereit. Die Haltung gilt als artgerecht, zumindest nach den gesetzlichen Bestimmungen.
- Zum Hörfunk-Beitrag: Tierversuche - Die Suche nach Alternativen wird wichtiger
Wie viele Tiere zu Forschungszwecken sterben
Ein anderer Käfig hat oben ein durchsichtiges Behältnis und ist etwa so groß wie ein Kochtopf. Darunter ein Trichter, um die Ausscheidungen der Tiere aufzufangen. Es ist ein sogenannter "metabolischer Käfig". Hier wird gemessen und beobachtet. Für ein bis zwei Tage ist eine Maus hier eingesperrt. Auch das ist ein Versuch, der begründet und genehmigt werden muss, erklärt Prof. Volker Eulenburg. Die meisten Experimente seien so angelegt. Dass ein Tier aufgeschnitten wird, sei in Augsburg eher eine Ausnahme.
Zuletzt wurden in Deutschland an knapp 1,9 Millionen Tieren Experimente durchgeführt, rund 230.000 davon in Bayern. Knapp 650.000 wurden aus wissenschaftlichen Gründen getötet, 104.000 davon in Bayern. Am häufigsten werden Mäuse eingesetzt (72 Prozent), gefolgt von Fischen (12 Prozent), Ratten (7 Prozent), Kaninchen (3 Prozent) und Vögeln (1 Prozent).
Tierversuche für kosmetische Zwecke sind in Europa verboten.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!