Ein maskierter arabischer Terrorist zeigt sich am 5.9.1972 auf dem Balkon des israelischen Mannschaftsquartiers im Olympischen Dorf.
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Ein maskierter arabischer Terrorist zeigt sich am 5.9.1972 auf dem Balkon des israelischen Mannschaftsquartiers im Olympischen Dorf.

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Olympia-Attentat: Ex-Bundeswehrsoldat spricht zum ersten Mal

Vor 50 Jahren nehmen palästinensische Terroristen bei Olympia in München elf Geiseln. Die Befreiungsaktion scheitert. Alle Geiseln sterben. Ein Ex-Bundeswehrsoldat, der damals vor Ort war, spricht in "Kontrovers" erstmals über die Ereignisse.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Die Hubschrauber mit den acht Terroristen und ihren neun israelischen Geiseln kommen um halb elf Uhr in der Nacht. Hans Völkl hört sie schon von Weitem: "Ein Riesenkrach, ein typisches Geräusch, das ich nie vergessen werde." Er ist damals 21 Jahre alt, Bundeswehr-Soldat und hat am 5. September 1972 Nachtschicht in dem kleinen Tower auf dem Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck. Niemand hat ihn darüber informiert, dass gleich die beiden Hubschrauber mit den entführten Athleten aus dem olympischen Ort hier landen werden. Es hieß, sie sollen in München-Riem landen. Doch plötzlich kommen die Maschinen direkt vor dem Tower herunter.

Es sind gerade einmal 40 Meter bis zu dem Büro, in dem Hans Völkl im Erdgeschoss des Towers sitzt. Fast 50 Jahre lang hat Hans Völkl geschwiegen. Jetzt besucht er das Gelände des Fliegerhorsts Fürstenfeldbruck gemeinsam mit einem Reporter des BR-Politikmagazins Kontrovers, um von seinen Erlebnissen zu erzählen: "Wie dann die Schießerei losging, war mir klar, jetzt wird es wirklich ernst. Und bin auf Tauchstation gegangen. Ich habe aber immer noch versucht, durch den untersten Rand des Fensters zu schauen, um mitzukriegen, was da passiert. Alles nur kurz. Denn dann wurde es heftig!"

Olympische Spiele ohne große Sicherheitsvorkehrungen

Es ist das blutige Ende der bis dahin heiteren Spiele von München. Elf Tage zuvor hatten die Olympischen Spiele in München begonnen. Erstmals in Farbe und erstmals live im Fernsehen. München will sich bunt und weltoffen präsentieren, sich von den dunklen Nazi-Jahren reinwaschen. Und erstmals in der Geschichte der Spiele tritt eine israelische Mannschaft an. Im Vorfeld gibt es Hinweise auf mögliche Anschläge, doch die werden offenbar nicht ernst genommen. Die Polizisten auf dem olympischen Gelände tragen nicht einmal Waffen. Es gibt zwar Einlasskontrollen, aber keine Auslasskontrollen. Über den Ausgang kann man leicht aufs Gelände gelangen.

Am Morgen des 5. September dringen acht palästinensische Attentäter der Terrororganisation "Schwarzer September" in das Quartier der israelischen Mannschaft ein. Sie erschießen zwei Israelis und nehmen neun weitere als Geiseln. Sie stellen ein Ultimatum und fordern die Freilassung von 200 Palästinensern aus israelischen Gefängnissen. Außerdem verlangen sie ein Flugzeug und die Ausreise nach Ägypten. Den ganzen Tag verhandelt ein Krisenstab mit den Entführern vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Polizisten in Trainingsanzügen postieren sich auf den umliegenden Dächern. Doch sie können nicht eingreifen, ohne die Geiseln zu gefährden. Zumal die ersten Befreiungspläne daran scheitern, dass vergessen wurde, den Terroristen den Strom abzudrehen. Sie konnten live im Fernsehen alle Pläne der Polizei mitverfolgen.

Befreiungsaktion dilettantisch vorbereitet

Die Terroristen fliegen mit den Geiseln zum Fliegerhort Fürstenfeldbruck, wo Hans Völkl im Tower sitzt. Erst hier startet die Polizei die Befreiungsaktion. Doch die ist schlecht vorbereitet. Es sind acht Attentäter, doch vor Ort gibt es nur fünf Scharfschützen. Sie erschießen zwei Attentäter, daraufhin eröffnen die restlichen Terroristen das Feuer und ermorden alle Geiseln. Ein Polizist stirbt im Kugelhagel. Gepanzerte Einsatzfahrzeuge treffen erst ein, als bereits eine Stunde geschossen wird.

Bundeswehrsoldat Hans Völkl liegt noch immer auf dem Boden in seinem Büro. Über ihm schlagen Kugeln in den Wänden ein. Dann hört er, wie einer der Entführer eine Handgranate in einen der beiden Hubschrauber wirft. "Ich weiß nur, dass es einen Riesenknall getan hat. Ich habe Todesangst gehabt. Das ist ja alles in Wurfweite gewesen. Ich habe gedacht, wenn die jetzt eine Granate in den Tower werfen, dann war’s das."

Nach zwei Stunden Feuergefecht ist es vorbei. Die traurige Bilanz: Ein Polizist und alle Geiseln sind tot. Auch fünf Attentäter kommen ums Leben. Noch heute rührt Hans Völkl das Schicksal der israelischen Athleten zutiefst. "Diese armen Kerle. Diese armen Kerle!" Vor seinem geistigen Auge sieht er bis heute die Bilder, wie die Geiseln blutüberströmt und gefesselt in den Helikoptern sitzen.

Fehlende Aufarbeitung und viele offene Fragen

Warum wurde das Feuer auf die Entführer eröffnet, obwohl man die Geiseln nicht schützen konnte? Warum waren nur fünf Scharfschützen vor Ort? Warum war die deutsche Polizei nicht vorbereitet? Das fragt sich auch Anton Fliegerbauer. Der Polizist, der damals im Kugelhagel ums Leben kam, war sein Onkel. Doch das Münchner Olympia-Attentat wurde in seiner Familie nicht groß thematisiert. "Wir haben in der Familie jahrzehntelang nicht darüber gesprochen." Eine Tatsache, die vielen Hinterbliebenen und Augenzeugen schwer zu schaffen macht. Auch dem ehemaligen Bundeswehrsoldaten Hans Völkl. Man könne nicht genug darüber sprechen, sagt er heute. Er hat selbst öffentlich jahrzehntelang geschwiegen. Denn in seinem Umfeld galt die Devise: "Ja nicht drüber reden, ja keine Aufarbeitung." Er sieht das anders, auch wenn es ihm noch heute schwerfällt, offen darüber zu sprechen: "Das soll jeder hören, wie das war. Wie es wirklich war. Natürlich kostet das Überwindung. Da geht der Puls, da fängt man an zu schwitzen."

Traumatisierte Opfer fühlen sich allein gelassen

Hans Völkl ist kein Einzelfall. Vielen, die damals dabei waren, geht es so. Ulrike Bergheim vom historischen Verein Fürstenfeldbruck hat mit einigen Zeitzeugen gesprochen. Sie schildert den Fall eines Polizisten, der damals dabei war: "Er hat wenige Wochen nach dem Attentat den Dienst quittiert, weil ihm jedes Mal schlecht wurde, wenn er seine Uniform anziehen sollte. Er hat mit Anfang 20 seinen Dienst quittiert und war für den Rest seines Lebens gezeichnet. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist, aber seine Tochter hat gefragt: Warum habt ihr euch nie um ihn gekümmert?"

Seit gerade einmal fünf Jahren gibt es jetzt einen Erinnerungsort für das Olympia-Attentat von 1972. Es hat 45 Jahre gedauert, bis er endlich eingerichtet wurde. Für eine Schweigeminute für die Opfer des Attentats bei den olympischen Spielen kämpfen die Angehörigen bis heute vergeblich.

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