Tausende Zuschauer säumen bei den Olympischen Spielen am 30.08.1972 den künstlich angelegten Wildwasser-Kanal in Augsburg.
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Tausende Zuschauer säumen bei den Olympischen Spielen am 30.08.1972 den künstlich angelegten Wildwasser-Kanal in Augsburg.

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Olympia '72 in Augsburg: Spionage, Schreibmaschine und Picknick

Die Kanu-WM in Augsburg findet fast 50 Jahre nach den ersten Wettkämpfen auf dem Eiskanal bei den Olympischen Spielen 1972 statt. Die größten Erfolge feierte damals die DDR – auch wegen einer Legende, die erst nach dem Mauerfall bestätigt wurde.

Es ist das Jahr 1972: Handys und Laptops sind damals noch nicht erfunden, Deutschland ist noch in zwei Staaten geteilt und in Augsburg ist der erst 22 Jahre alte Klaus Wäschle hautnah bei den ersten Wettkämpfen auf dem neu gebauten Eiskanal dabei. Wäschle ist damals Pressesprecher der Kanu-Wettkämpfe bei den Olympischen Spielen – ein Job, zu dem er unbedarft zusagte, weil er schon mehrfach für die Zeitung über Kanu-Wettkämpfe berichtet hatte.

DDR-Sportler nutzten Olympia-Pressekonferenz für Vorwürfe

Leicht war diese Aufgabe nicht, denn wie er selbst sagt, war die Stimmung "sehr eisig". Der Grund war nicht sportlich, sondern politisch: Zum ersten Mal durfte die DDR bei den Olympischen Spielen 1972 mit eigener Mannschaft, eigener Flagge und eigener Hymne teilnehmen. Politisch "ein großer Erfolg" für die DDR, meint Klaus Wäschle. Allerdings nutzten die Kanuten der DDR schon die erste Pressekonferenz, um den bundesdeutschen Sportlern Vorwürfe zu machen, sie hätten dem DDR-Kanuten Wulf Reinicke ein Jahr zuvor bei der Flucht geholfen.

DDR spionierte die Baustelle am Eiskanal aus

"Es war nicht so, dass man es nicht auch in Ruhe hätte wieder lösen können", meint Klaus Wäschle heute dazu. Allerdings hätten auch die bundesdeutschen Kanuten Grund für Vorwürfe gegenüber der DDR gehabt, auch wenn es damals noch Gerüchte waren. Der Vorwurf: Die DDR habe Spione nach Augsburg geschickt, um den Eiskanal nachzubauen und damit ihren Sportlern einen Vorteil verschaffen zu können. "Es wurde nie von der DDR-Seite bestätigt", erzählt Klaus Wäschle. "Erst nach der Wiedervereinigung hat man die Strecke gesehen, die dort verkürzt mit den schwierigsten Stellen nachgebaut wurde."

Ein Kanut bei den olympischen Spieln 1972 im Eiskanal in Augsburg
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Kanu-Slalom bei in Augsburg bei Olympai '72

Cheftrainer der DDR bekam Dauerausweis für die Baustelle

Allerdings waren es laut Wäschle nicht Spione, die damals in Augsburg unterwegs waren, sondern der Cheftrainer der DDR, Werner Lempert, selbst. Der ging auf die Baustelle des Eiskanals und machte Fotos, Zeichnungen und Messungen. Und weil er sich einfach als „Cheftrainer“ vorstellte, bekam er sogar einen Dauerausweis für die Baustelle. "Er hat ja nicht gesagt, für wen. Aus seiner Position raus war er akzeptiert und durfte ohne Einschränkungen die ganze Zeit die Baustelle betreten. So hat er es zumindest auch selbst geschildert", schmunzelt Klaus Wäschle.

Schreibmaschinen mit kyrillischen Schriftzeichen

Für die DDR hat sich der Aufwand gelohnt: Alle vier Goldmedaillen, die in Augsburg damals zu holen waren, gingen an ihre Kanuten. Die Bundesrepublik landete auf den Rängen dahinter. Dass die Pressevertreter damals über diese Erfolge berichten konnten, dafür war Klaus Wäschle zuständig. Er war der Herr über das Pressezentrum – 1972 ein großer Raum mit 50 Plätzen, 50 Schreibmaschinen und Papier. Aus heutiger Sicht eine spartanische Ausstattung, doch auch dabei lief nicht alles glatt.

"Auch 50 Jahre danach kann niemand sagen, was da genau passiert ist", wundert sich Klaus Wäschle. Aber als er kurz vor Beginn der Olympischen Spiele die Lieferung der Schreibmaschinen in Empfang nahm, hatten 30 davon eine kyrillische Tastatur. Damals blieb ihm nur der Griff zum Telefon: "Wie haben telefoniert mit Kollegen beim Ringen, beim Gewichtheben, den Sportarten, bei denen russische Sportler dominierend sind", erinnert sich Wäschle. Über einen Ringtausch der Schreibmaschinen und durch Hilfe aus München hatten am Ende dann alle Pressevertreter ihre Schreibmaschine in der richtigen Schrift.

60.000 Besucher bei den Olympia am Augsburger Eiskanal

Viele der Dinge, die damals passiert sind, wären heute wohl nicht mehr möglich. Und auch Klaus Wäschle würde sich heute wohl nicht mehr so verschätzen, wie damals. Noch einen Tag vor Beginn der Wettkämpfe rechnete er mit rund 15.000 Besuchern am Augsburger Eiskanal. Es kamen aber insgesamt rund 60.000. "Viele Augsburger Familien haben das zu einem Picknickausflug genutzt, weil das ja im Siebentischwald wunderschön liegt, und sich auch die Wettbewerbe angesehen."

Bei der Kanu-WM 2022 hofft Klaus Wäschle nun auf einen ähnlichen Besucheransturm und eine ebenso gute Stimmung unter den Zuschauern. Er selbst ist auch 50 Jahre nach Olympia beteiligt und führt durch den großen Tag der Legenden, bei dem sich die Olympia-Kanuten aus Deutschland, den USA, Großbritannien und Polen in Augsburg treffen und in Erinnerungen schwelgen.

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