Auf dem Land arbeiten mit Blick auf grüne Baumwipfel, anstatt sich in den Großstädten in engen U-Bahnen zu drängeln? Wanderungen durch nahezu unberührte Landschaften statt Joggen im Park? Feierabend-Brotzeit statt Hafer-Cappuccino im Becher zum Mitnehmen? Wer das verlockend findet, kann es ja zumindest mal ausprobieren, wie es so ist auf dem Land: Die Regionalinitiative "Oberfranken Offensiv" sucht zehn Freiwillige, die sich zwei Monate lang darauf einlassen, in Nordhalben im Landkreis Kronach im Frankenwald zu leben und zu arbeiten.
Co-Working auf dem Land immer populärer
Konkret sollen "kreative Köpfe und motivierte Stadtmenschen" testen, ob es klappt, in einem Coworking-Space auf dem Land ihrem Job nachzugehen und in und um Nordhalben auch die Freizeit zu verbringen: eben Landleben auf Probe.
Unter Co-Working versteht man die gemeinsame Nutzung eines Büros von Menschen, die unterschiedlichen Tätigkeiten nachgehen. Ein Vorteil ist der Austausch untereinander. Ein anderer ist, dass sich die Beschäftigten so den oft weiten Weg ins Büro sparen können. Es lasse sich insgesamt feststellen, dass Co-Working auf dem Land immer populärer werde, teilt daher auch das bayerische Arbeitsministerium mit.
Abkehr vom Stadtleben nach der Corona-Pandemie
Gerade in der Pandemie hätten viele Menschen gemerkt, dass ein Leben in den Metropolen und Großstädten auch Nachteile mit sich bringe, sagt Sandra Wolf vom Demografie-Kompetenzzentrum Oberfranken. Als Beispiele nennt sie hohe Mieten, fehlende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, lange Wege bis in die Natur. "Es findet häufig ein Umdenken statt, eine Abkehr vom Stadtleben und eine Offenheit gegenüber dem Leben auf dem Land. Dies ist auch in Oberfranken festzustellen." Und die Region hat das dringend nötig.
Kommunen stemmen sich gegen Abwanderung
"Demografischer Wandel": Das klang jahrelang wie ein Drohbegriff dafür, dass junge Menschen abwanderten, der Landstrich an Attraktivität verlor und nur die Tristesse leerstehender Häuser übrig blieb. Doch viele Kommunen stemmen sich diesem Trend inzwischen aktiv entgegen. Wie etwa Nordhalben. Aus der alten Schule ist ein moderner Co-Working-Space geworden namens "Nordhalben Village", in dem man auch übernachten und tagen kann.
Glasfaserkabel seien verlegt, das Internet bringe "volle Leistung", sagt Bürgermeister Michael Pöhnlein stolz. Es gebe zig Freizeitmöglichkeiten in und um Nordhalben, in 20 Minuten sei man etwa am Bleilochstausee in Thüringen beim Segeln. "Wir haben keine Staus und kaum Ampeln." Stattdessen: den "Nordwaldmarkt" als einen der größten bürgereigenen Dorfläden Bayerns, ein Künstlerhaus und den "Nordhalbener Kunstsommer".
- Zum Artikel: Co-Working-Space: Neues Leben im alten Dorfwirtshaus
Co-Working-Space soll Kreative und Selbstständige anlocken
In den 1970er-Jahren hatte Nordhalben noch rund 3.000 Einwohner, inzwischen sind es 1.600. Ganze Industriezweige sind weggebrochen. Doch Pöhnlein will seine Gemeinde weiterhin attraktiv halten. Kreative und Selbstständige anzulocken via Co-Working sei ein Versuch. "Wir gehen neue Wege, wir kämpfen." Sandra Wolf zitiert neue Zahlen des Landesamts für Statistik: Inzwischen gebe es für Oberfranken mehr Zu- als Wegzug.
ZT
Der Trend zum Co-Working hat nach Expertenansicht längst auch ländliche Regionen erfasst. Im Jahr 2020 gab es bereits rund 1.200 solche Einrichtungen - viermal mehr als 2018. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung von Ende 2020 heißt es: "In den vergangenen Jahren sind in Deutschland immer mehr Coworking-Angebote im ländlichen Raum entstanden." Ein Co-Working-Space in Lohr am Main läuft beispielsweise so gut, dass im vergangenen Jahr eine Erweiterung eingeweiht wurde.
Auch Handwerker und Pendler buchen Arbeitsplätze
Ihr Potenzial für den ländlichen Raum zeige sich in der vielfältigen Kundschaft, heißt es in der Studie. Zwar ziehe Co-Working auch hier Angehörige der Kreativ-, Digital- und IT-Wirtschaft an - und damit die ursprüngliche Kernzielgruppe. Doch die Kundschaft von Co-Working-Spaces auf dem Land bildeten ein weit gefächertes gesellschaftliches Spektrum ab - so kämen etwa auch Handwerkerinnen und Handwerker. Die Arbeitsplätze seien auch für fest angestellte Pendler interessant, die sich dadurch weite Wege zu ihrer Arbeitsstätte sparen könnten.
Breitbandausbau macht Co-Working auf dem Land möglich
Auch das bayerische Arbeitsministerium sieht einen Trend zu Co-Working auf dem Land. "Aus meiner Erfahrung und den vielen Gesprächen mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und auch der Arbeitgeberseite, weiß ich: Wir brauchen mehr Flexibilität", sagt Ministerin Ulrike Scharf (CSU). "Coworking-Spaces bieten neue Möglichkeiten, von denen Unternehmen und Angestellte gleichermaßen profitieren können."
Verkehrsanbindung auf dem Land als Hindernis
Und wenn man doch mal weg will aus der grünen Idylle? Die Verkehrsanbindung abseits des eigenen Autos gilt oft als Kritikpunkt für das Leben auf dem Land. Wolf sagt: Die Mobilität auf dem Land sei noch stärker auf den Individualverkehr ausgerichtet. Dennoch gebe es in Oberfranken schon eine Reihe innovativer Projekte, wie den Hofer Landbus, der per App buchbar ist, oder Carsharing-Modelle.
Mit Informationen von dpa.
Von der Stechuhr zur Digitalisierung: Zur Geschichte der Arbeitszeit

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