Zwei handelsübliche Zollstöcke, die aber unterschiedlich lang sind, gerahmt. Kunstwerk: Sophia Pompéry, "Zwei Meter", 2012
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Kunstwerk: Sophia Pompéry, "Zwei Meter", 2012

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"New Order" - Kunst und Ordnung: Ausstellung in Würzburg

Klimakrisen, kriegerische Konflikte, Migrationsbewegungen und eine Pandemie: Unsere Welt scheint aus den Fugen. Eine neue Ausstellung in Würzburg geht jetzt der Frage nach, wie sich der Wunsch nach Ordnung in der Kunst widerspiegelt.

Über dieses Thema berichtet: regionalZeit - Franken am .

"Ordnung, Ordnung, Ordnung, Ordnung – Unordnung – Ordnung Ordnung Ordnung." Das bekannte Werk von Timm Ulrichs aus dem Jahr 1961. Konkrete Poesie. Ein Werk, das sich erst visuell erschließt. Denn die Wörter sind alle gleichförmig über- und nebeneinander angeordnet – bis auf eines, das fällt aus der Reihe. Ein Werk, das gleich im ersten Bereich der neuen Ausstellung im Museum im Kulturspeicher in Würzburg installiert ist, und sofort deutlich macht, worum es geht.

NEW ORDER. Über Kunst und Ordnung in ungewissen Zeiten: 18. September 2021 bis 9. Januar 2022, Museum im Kulturspeicher, Oskar-Laredo-Platz 1, 97080 Würzburg

Struktur und Ordnung sind Konstrukte

"Viele Strukturen, in denen wir leben, wurden ja konstruiert, entwickelt oder sind traditionell so entstanden. Sie werden nicht mehr hinterfragt. Ein wichtiger Punkt der Ausstellung: Ordnung sollte an manchen Stellen hinterfragt werden, weil wir nur so unser Leben weiterentwickeln können", sagt Luisa Heese, Direktorin des Museums im Kulturspeicher.

System aus den Fugen?

Gleich neben der konkreten Poesie von Timm Ulrichs: Zwei Zollstöcke, handelsüblich, Maßangabe 2 Meter – oder? Bei genauem Hinsehen jedoch: Sie sind nicht gleich lang! "Die Künstlerin Sophia Pompéry zeigt auf die Lücken, die in dem System bestehen, um die Welt zu begreifen, zu kartografieren, zu begreifen oder kontrollieren. Die kleinen Brüche in den Ordnungen, Systemen, ist das, was die Künstlerin zeigen will - durch zwei Zollstöcke, die wider Erwarten nicht gleich lang sind."

Menschen ordnen gerne Dinge

Wie wird Ordnung künstlerisch dargestellt und welche Rückschlüsse können wir als Gesellschaft daraus ziehen? Diesen Fragen widmet sich Luisa Heese in der von ihr kuratierten Ausstellung "New Order: Über Kunst und Ordnung in ungewissen Zeiten". "Ordnen ist ja was Menschliches, was wir jeden Tag tun, um Dinge zu begreifen." Ordnung schwinge immer mit. Ein Begriff, der schwer zu fassen ist, weil er immer nur im konkreten Kontext besteht. Entscheidend sei, wie er benutzt werde und in welchem Zusammenhang er genannt werde.

Zeit, Technologie, Gesellschaft, Territorium

Etwa bei der Ordnung auf dem eigenen Schreibtisch, in der öffentlichen Ordnung oder auch beim alltäglich verwendeten Satz: Alles in Ordnung?

Die Künstlerinnen und Künstler, deren Werke Teil der aktuellen Ausstellung sind, haben ganz unterschiedliche Herangehensweise zum Thema Ordnung. Einige bilden eine vorhandene Ordnung in Gesellschaft, Zeit oder Technologie ab oder fügen etwas hinzu – andere schaffen ihre eigenen Ordnungen, um zu ergründen, wie unsere systematisierte Welt funktioniert.

Schwarz und weiß - gut und böse? Die Weltordnung

190 Bilderrahmen etwa umfasst das Werk von Hanne Darboven aus dem Jahr 1983. In der obersten der fünf Reihen: die amerikanische Flagge. Und ganz unten die der Sowjetunion. "Das sind die beiden Begrenzungen des Werkes. Und die Pole des Kalten Krieges, der ja die Weltordnung bis 1990 bestimmt hat", erklärt Heese. Und dazwischen: beschriebene Postkarten. "Durch ihr eigenes Zahlensystem hat die Künstlerin quasi Zeit eingefangen, also die Jahre 1949 bis 1983."

Migration wird systematisiert, geordnet - und gewertet

Die Welt geordnet in links und recht, in schwarz und weiß, in gut und schlecht. Wie der Mensch solche Systeme immer wieder selbst schafft, zeigt eine weitere Videoinstallation von Harun Farocki: Auf dem Bildschirm eines alten, flackernden Röhrenfernsehers läuft eine Slideshow mit Bildern aus Statistiken, Hochrechnungen, Grafischen Darstellungen von Migration. "Zum Beispiel zeichnet sich hier ab: Der typische Gastarbeiter hat immer einen dicken Schnauzbart, die Gastarbeiterin ein Kopftuch. All diese Bilder in dieser Masse zeugen davon, wie Rassismus strukturell in bestimmten Bereichen in den Jahren ab 1945 vorhanden war." Das Werk zeige: Wie werden Gruppen zu Gruppen gemacht, wie entstehen Stereotype? Ordnung also, die nicht mehr frei von Wertung ist.

Keine Ordnung ohne Unordnung

Künstlerisch durchaus spannend, meint Heese: „Ordnung ist ein Begriff, der ambivalent ist. Je nach Kontext ist Ordnung positiv wie negativ konnotiert. Ordnung ist eigentlich etwas, das man nie ganz erreicht. Und vor allem: Ordnung kann immer nur existieren, wenn es auch Unordnung gibt.“

Zukunftsvision: Kontrolle von Menschen per Algorithmus

Mit der Zeit als ein System geht der Besucher in die Ausstellung hinein, mit Zeit geht er hinaus: Eine Installation von Clemens von Wedemeyer malt eine dystopische Zukunftsvision, die die Frage stellt: Wie können Menschenmassen kontrolliert werden? Schon jetzt kommt Software, kommen Algorithmen zum Einsatz, die solche Massen simuliert. „Das ist natürlich eine dunkle Zukunftsvision. Aber eine, die in unserer Gegenwart starten könnte. Die Frage von Ordnung und ordnen, wie wir mit Technologie und unserem sozialen Zusammenleben in Zukunft umgehen wollen.“

Corona nicht bewusst Teil der Ausstellung - aber inkludiert

Stichwort Social Distancing etwa. Ein Aspekt, der gerade jetzt in der Corona Pandemie nochmal stark diskutiert worden ist. Die Pandemie ist nicht bewusst in die Ausstellung eingebunden worden – aber sie spielt natürlich mit hinein, da sie für die Ordnung unserer Gegenwart und Zukunft entscheidend ist.

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