BR-Berichte über massive Pflegemängel in einem Altenheim in Neuhaus am Inn haben viele Reaktionen ausgelöst.
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BR-Berichte über massive Pflegemängel in einem Altenheim in Neuhaus am Inn haben viele Reaktionen ausgelöst.

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Neuer Heimskandal: Opposition fordert schnelle Reformen

BR-Berichte über massive Pflegemängel in einem Altenheim in Neuhaus am Inn haben viele Reaktionen ausgelöst. Landtagsabgeordnete von Grünen, SPD und FDP kritisieren die Staatsregierung und fordern eine rasche Reform der Heimkontrollen.

Lückenlose Aufklärung und sofortige Verbesserung der Heimkontrollen, so lauten unisono die Forderungen von Grünen, SPD und FDP im bayerischen Landtag. Quer durch die Parteien zeigen sich die Abgeordneten von den Missständen im Wohnstift Innblick entsetzt. Der pflegepolitische Sprecher der Liberalen im Landtag, Dominik Spitzer, schreibt auf BR-Anfrage: "Es ist erschütternd, dass immer mehr Fälle von Pflegemängeln im Freistaat erst durch die Presse und nicht durch die Politik ans Licht kommen. Nach wie vor weisen die Kontrollmechanismen in der stationären Pflege ganz offensichtlich große Lücken auf und reichen nicht aus."

Neue BR-Recherchen zeigen, dass es in dem Altenheim im niederbayerischen Neuhaus am Inn unter anderem Wunden nicht versorgt wurden, Bewohner zu wenig zu essen und zu trinken bekamen und es außerdem zu Problemen mit Medikamenten kam.

"Warum hat niemand gehandelt?"

Für Andreas Krahl (Grüne) hat die Heimaufsicht des Landkreises Passau versagt. Diese wusste von erheblichen Mängeln und zog kaum Konsequenzen, abgesehen von einem Aufnahmestopp und der Ausgliederung des Medikamentenmanagements an eine Apotheke vor Ort. Der Landtagsabgeordnete Krahl hat dafür kein Verständnis: "Wenn die zuständigen Behörden erfahren, dass Menschen leiden und Schaden erfahren, muss umgehend interveniert werden, um größeren Schaden abzuwenden."

Auch auf Landesebene habe sich fast nichts getan, so Krahl: Der BR habe die Missstände in Schliersee vor mehr als einem Jahr aufgedeckt, die in Augsburg vor vier Monaten. Die Staatsregierung habe aber immer noch keine konkreten Vorschläge vorgelegt, wie sie die Kontrolle von Pflegeeinrichtungen verbessern wolle: "Wie viele Skandale wollen wir noch abwarten, bis wir handeln?"

Opposition: Pflege-SOS ist nur ein erster Schritt

Als Reaktion auf die Heimskandale am Schliersee und in Augsburg hat das bayerische Gesundheitsministerium eine neue Meldestelle, das Pflege-SOS, eingerichtet. Grüne, FDP und SPD im bayerischen Landtag bewerten das durchweg als einen ersten Schritt. Es könne aber nicht sein, so Ruth Waldmann (SPD), dass das staatliche Pflege-SOS Beschwerden nur weiterleite und nicht handle. Die Liberalen fordern zusätzlich Rückmeldungen an das Pflege-SOS, um sicherzustellen, dass gefährliche und menschenunwürdige Pflege auch Konsequenzen hat.

Mitarbeiter des Wohnstifts Innblick hatten sich anonym an das Pflege-SOS gewandt und auf die Missstände aufmerksam gemacht. Die Meldestelle am Landesamt für Pflege informierte die Heimaufsicht, die die Einrichtung daraufhin zum ersten Mal seit Juli 2019 besuchte. Schon damals hatte sie Mängel festgestellt.

Auch in anderen Heimen massive Pflegemängel

Das Wohnstift Innblick ist der Conle Property Group mit Sitz in Duisburg zuzuordnen. Oskar Conle, einer der beiden Geschäftsführer, schreibt dem BR auf Anfrage: "Die von Ihnen beschriebenen Mängel sind mir in keinster Weise bekannt, und ich kann mir bei besten Willen nicht vorstellen, dass sie der Wahrheit entsprechen." Pflegemissstände schließt er auch für ein weiteres Conle-Heim aus, dem Carecon in Vaterstetten im Landkreis Ebersberg.

Dem BR liegen mehrere Berichte des Medizinischen Dienstes Bayern zu diesem Heim vor. 2019 schrieben die Prüfer in einem internen Bericht: "Zusammenfassend wurden einrichtungsübergreifend Defizite in verschiedenen Bereichen festgestellt, zum Beispiel im Umgang mit der Arztkommunikation, mit Medikamenten, Schmerzen, Wunden, mit Sturz- und Dekubitusgefahr und mit relevanten Gewichtsabnahmen."

Im Februar 2020 stießen die Prüfer in der Einrichtung wieder auf Probleme: Laut Prüfbericht war die Wundversorgung mangelhaft, Medikamente wurden ohne ärztliche Verordnung oder teils gar nicht verabreicht, einige Bewohner hatten zu wenig gegessen und getrunken. Die Prüfer gaben bei einer Stichprobe von neun Bewohnern elf C-Bewertungen ab. Das sind Pflegemängel, die negative Folgen haben können. Außerdem protokollierten sie elf D-Bewertungen. D heißt, dass der Bewohner bereits zu Schaden gekommen ist.

Opposition: Reformen müssen folgen

Auch die Skandalheime Schliersee und Augsburg wurden von ein und demselben Träger geführt. Grüne, SPD und FDP fordern deshalb trägerorientierte Kontrollen. Ruth Waldmann (SPD) plädiert außerdem für eine Taskforce auf Landes- oder Bezirksebene, die direkt Maßnahmen anordnen kann. Denn eine kleine örtliche Heimaufsicht, so Waldmann, könne kaum das Gebaren von großen Trägern mit vielen Standorten überblicken. "Dann sieht jeder Fall aus wie ein Einzelfall."

In den Augen von Dominik Spitzer (FDP) hat die Heimaufsicht, so wie sie jetzt organisiert ist, keine Zukunft. Geht es nach den Liberalen, würde sie mit dem Medizinischen Dienst Bayern zusammengelegt, um Expertise und Wissen zu bündeln. Diese Kontrolleinheit müsse man zum Beispiel bei den Regierungsbezirken andocken, so der Liberale.

VdK Bayern: Bei Verstößen schnell durchgreifen

Der Sozialverband VdK Bayern erinnert angesichts des neuen Heimskandals an die Fürsorgepflicht des Staates für hilflose Menschen. Die VdK-Landesvorsitzende Ulrike Mascher fordert, Verstöße nach dem Null-Toleranz-Prinzip und schnell zu ahnden - mit Bußgeldern, Aufnahmestopps und Schließungen. Dies sei zwar jetzt schon möglich, so Mascher, geschehe aber viel zu selten: "Pflegeheimskandale sind keine Einzelfälle und werden es leider nicht bleiben. Jedenfalls so lange, wie an einem schlechten Heim mindestens genauso gut verdient wird wie an einem guten Heim."

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