Elli Kreuzer tippt auf dem Handy die 112. "Der Feuerwehr- und Rettungsdienst, Funke, mit wem spreche ich bitte?" Kurze Stille. "Hallo Freu Kreuzer, grüße Sie Gott. Nennen Sie mir bitte Straße, Hausnummer und Ortschaft, wo Sie jetzt Hilfe brauchen."
Es ist eine Simulation unter Kollegen. Aber genauso klingt es, wenn in der Integrierten Leitstelle (ILS) in Kempten ein Notruf wegen Herz-Kreislauf-Stillstands eingeht. Dann blinkt auf dem Bildschirm ein rotes Herz. Matthias Funke und seine Kolleginnen und Kollegen schicken dann den Rettungswagen los und leiten die Anrufer live am Telefon bei der Reanimation der Patienten an, bis Hilfe da ist. Doch bis die Rettungskräfte eintreffen, vergehen schon mal 12 bis 15 Minuten. Damit die Hilfe schneller kommt, kommt bei der ILS Kempten eine neue App zum Einsatz.
App alarmiert Helferinnen und Helfer am Handy
Seit dem 17. Dezember vergangenen Jahres schickt das System der Leitstelle im Hintergrund auch einen Notruf über die App "Region der Lebensretter" an ehrenamtliche, aber medizinisch professionell ausgebildete Helfer, die zufällig in der Nähe des Einsatzortes sind. Vielleicht privat, vielleicht beruflich. Sie können jedenfalls schneller sein als der Rettungswagen. Sie können die Zeit vom Notruf bis zum Eintreffen der Rettungskräfte überbrücken.
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Ehrenamtliche machen schnellere Reanimation möglich
Die App bekommt nach dem Notruf die ungefähre Ankunftszeit des Rettungswagens mitgeteilt, errechnet daraufhin frühere Ankunftszeiten möglicher Helfer im Umkreis und alarmiert diese übers Handy. Im besten Fall sind das bis zu vier potenzielle Helferinnen und Helfer: Wenn sie den Notruf auf dem Smartphone bestätigen und damit annehmen, schickt die App die ersten beiden direkt an den Einsatzort zur Reanimation, die dritte Person bekommt den Standort eines Defibrillators mitgeteilt, den sie holen kann, und die vierte Person soll die eintreffenden Rettungskräfte delegieren. Die Ehrenamtlichen können sich gegenseitig bei der kräftezehrenden Herzdruckmassage ablösen. Die Überlebenschancen der Patienten steigen.
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Je schneller, desto besser für Patienten
Nach nur zwei bis drei Minuten ohne Sauerstoff kann das menschliche Gehirn bereits irreparabel geschädigt werden. Deshalb muss Hilfe extrem schnell vor Ort sein. In Deutschland erleiden jährlich mehr als 50.000 Menschen einen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand – nur jeder zehnte Patient überlebt. Der Herztod ist eine der häufigsten Todesursachen. "Je schneller es geht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient ohne bleibende Schäden aus so einer Situation herauskommt", sagt Heiko Hübner. Er ist der ärztliche Leiter Rettungsdienst im Bereich der ILS Kempten. Von dort aus werden Feuerwehr- und Rettungseinsätze in den Landkreisen Lindau, Oberallgäu, Ostallgäu sowie in den kreisfreien Städten Kaufbeuren und Kempten koordiniert.
In zwei Monaten schon mehr als 100 Einsätze
Bisher sehen das im Allgäu alle positiv: die Einsatzkräfte, das Bayerische Rote Kreuz (BRK) und auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der ILS. Innerhalb von nur gut zwei Monaten ist die App schon bei mehr als 100 Einsätzen aktiv geworden. Heiko Hübner sagt dazu: "Die Erfahrung der Kollegen aus zum Beispiel Freiburg zeigt, dass die Ergebnisse sehr sehr gut sind und dass man einem gewissen Prozentsatz an Patienten das Leben retten kann."
Helfer müssen Qualifikation nachweisen
Bayernweit ist es die erste App, die so arbeitet. Bei ähnlichen Angeboten können sich zum Beispiel auch Laien registrieren. Im Allgäu ist das anders. Hier sind bislang 679 Personen dabei – sie arbeiten sonst in Krankhäusern, bei Sanitäts- und Rettungsdiensten. Bei 220 Interessenten muss derzeit noch die Qualifikation überprüft werden.
Demnächst soll die App auch in Nürnberg, Erlangen, Fürth sowie im Bereich Donau-Iller (Landkreise Günzburg, Unterallgäu, Neu-Ulm sowie die Stadt Memmingen) an den Start gehen. Dafür werden noch Sponsoren und Freiwillige gesucht. Hinter der App steht der Freiburger Verein "Region der Lebensretter", der das System bisher vor allem in Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit den dortigen Einsatzleitstellen eingeführt hat.
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