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Günter Sellmayer hat 25 Jahre lang als Nationalpark-Ranger gearbeit. Täglich war er über Stock und Stein in den Nationalparkwäldern unterwegs. Es war sein Traumjob. Deshalb empfand es der 59-Jährige als schweren Schicksalsschlag, als eine Erbkrankheit plötzlich seine Beine versagen ließ. Seit rund einem Jahr sitzt er im Rollstuhl. Aber das brachte ihn auf die Idee, dass der Nationalpark unbedingt einen barrierefreien Wanderweg braucht.
Idee hatte ein ehemaliger Nationalparkranger
"Jeder soll sich an der Natur freuen und es auch erleben können, wie sie sich entwickelt", sagt Sellmayer. "Aber dem, der gehbehindert ist, wäre das verwehrt. Das sollte nicht sein.“ Günter Sellmayer selber fehlte es sehr, draußen im Wald unterwegs sein zu können. Bei der Nationalparkverwaltung traf er mit seiner Idee eines barrierearmen Wegs auf offene Türen.
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Barrierearmer Erlebnisweg "Großer Filz"
Zwei barrierearme Wanderwege sind in den letzten Monaten entstanden. Der Erlebnisweg "Großer Filz" ist ein rund 1,6 Kilometer langer Rundweg in der Nähe von Spiegelau. Er verläuft auf bestehenden Wanderwegen, die behutsam verbreitert wurden. Statt über Stock und Stein rollt oder geht man nun auf einem stabilen Sandweg ohne jegliche Hindernisse. Alle Höhenunterschiede wurden abgeflacht, Wegstellen, die Probleme gemacht hätten, entschärft. Wo es zu viel Höhenunterschied gab, wurde ein Bohlensteg aus Holz auf Steigen über den alten Weg gebaut. Das geschah auch an Stellen, wo man sonst zu viel Natur platt gemacht hätte.
Spezial-Brotzeittisch aus der Nationalpark-Werkstatt
Beim Einstieg am Parkplatz Diensthüttenstrasse gibt es Behinderten-Parkplätze, ein neues barrierearmes Toilettenhäuschen und einen unterfahrbaren Brotzeittisch, der in einer Nationalpark-Werkstatt ausgetüftelt wurde. "Da ist die Tischplatte etwas höher als im Normalstandard und das Ganze ist auch etwas breiter, weil man dann eben drunter fahren kann", erklärt Stefan Viessmann. Er ist der Leiter des Servicecentrum Lusen im Nationalpark Bayerischer Wald. "Unten sind die Granit-Unterleger, die wir als Tischstützen haben, einfach weiter in die Mitte gesetzt."
Behindertengerechte Aussichtsplattform
Höhepunkt des Wegs ist eine Aussichtsplattform, die ebenfalls behindertengerecht gestaltet ist, und einen wunderschönen Blick auf ein Hochmoor bietet. Für sehbehinderte Menschen sind die Grafiken von drei Informationstafeln breiter und tiefer gefräst, so dass sie die Umrisslinien leichter ertasten können. Einziges Manko: vom Parkplatz zum Weg muss man zuerst einmal eine relativ stark befahrene Straße überqueren. Es gibt aber Warnlichter, die Autofahrer ermahnen, langsamer zu fahren.
Barrierearmer Erlebnisweg "Seebach"
Auch dieser Weg ist vom Parkplatz Diensthüttenstrasse aus erreichbar. Dort steigt man in den Igel-Bus ein und fährt bis zur Haltestelle Taferlruck. Für Menschen im Rollstuhl wurde an der Bushaltestelle eine Rampe gebaut. Der 1,3 Kilometer lange barrierearme Wanderweg "Seebach" führt entlang eines Bergbachs. Man kann vom Rollstuhl aus eine beeindruckende Waldwildnis aus umgestürzten Bäumen erleben, die Biber und Borkenkäfer geschaffen haben. Der Weg ist eben mit Steigungen unter 6 Prozent. Nach 1,3 Kilometern wird der Weg aber etwas steiler, so dass Menschen mit Handicap dann umkehren und denselben Weg zurück müssen.
Barrierearm sind im Nationalpark Bayerischer Wald auch der Weg mit der Markierung "Tagpfauenauge" beim Waldspielgelände in Spiegelau und der Weg mit der Markierung "Ameise" in Zwieslerwaldhaus.
Ranger im Rollstuhl testet neue Erlebniswege
Mit dem neuen Erlebnisweg "Großer Filz" ist Günter Sellmayer sehr zufrieden. Er genießt es, dass er auch mit Rollstuhl mitten im Nationalpark unterwegs sein kann: "Es ist eine große Bereicherung, dass ich das endlich wieder spüren darf", so Sellmayer. "Mir fällt auf, dass ich vom Rollstuhl aus, also einen halben Meter tiefer als normal, einen ganz anderen Blickwinkel habe und ganz andere Sachen entdecke."
Vielleicht gibt es einmal Rollstuhlführungen
Er hat schon neue Ideen, zum Beispiel eine Fotosafari, die Menschen mit Handicap im Nationalpark machen könnten, um das Gebiet aus ihrer anderen Perspektive zu zeigen. Auch virtuelle Brillen, mit denen man die Wildnis im unzugänglichen Nationalpark-Kerngebiet erlebbar macht, sind denkbar. Außerdem kann sich der ehemalige Nationalpark-Ranger vorstellen, dass er vom Rollstuhl aus andere Rollstuhlfahrer durch "seinen" Park führt, im kleinen Stil.
Attraktion auch für Menschen ohne Handicap
Schon jetzt gehen den Erlebnisweg "Großer Filz" auch Wanderer ohne Einschränkungen gern. Denn er ist bequem, aber trotzdem abwechslungsreich. Günter Sellmayer empfiehlt diese Wege außerdem allen, die nicht mehr ganz so gut zu Fuß oder älter oder mit Rollator unterwegs sind. Auch mit Kinderwagen kann man den Nationalpark hier ganz ohne Schwitzen und lästiges Bergaufschieben erleben.
Günter Sellmayer war 25 Jahre lang Nationalpark-Ranger. Heute engagiert er sich sich für Inklusion auf den Wanderwegen im Bayerwald.