Der Angeklagte vor dem OLG München.
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"Ich bin müde" sagte der Angeklagte dem Richter des OLG München.

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Mutmaßlicher ICE-Messerstecher: Simulant oder psychisch krank?

Vor gut einem Jahr sticht ein Mann in einem ICE scheinbar wahllos auf Passagiere ein. Der Zug wird in der Oberpfalz gestoppt und der Angreifer überwältigt. Nun steht er vor Gericht. Die Bundesanwaltschaft kritisiert sein Verhalten im Saal.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus der Oberpfalz am .

Der Angeklagte muss gestützt werden, als er den Saal des Oberlandesgerichts in München betritt. Er trägt Fußfesseln. Kurze Haare hat der dünne Mann und einen Bart. Unmittelbar nach der Tat im ICE hatte er behauptet, er sei psychisch krank. Vorübergehend war der 28-Jährige im Bezirksklinikum Regensburg untergebracht, wurde aber inzwischen in eine JVA verlegt.

"Die paranoide Schizophrenie stand im Raum, sie steht unverändert im Raum", sagt sein Verteidiger Maximilian Bär. "Heute haben wir einen Prozessauftakt erlebt, bei dem für jedermann sichtbar war, dass es nicht einfach für meinen Mandanten war, dem Prozess zu folgen."

Bundesanwaltschaft: Angeklagter simuliert

Sein Mandant stehe unter dem Einfluss starker Medikamente, sagt der Anwalt. Allerdings möchte der 28-Jährige diese Medikation nun beenden. Sie beeinträchtige ihn zu stark, sagt er dem Gericht. Das macht er auch an seinem Verhalten sichtbar. Kurz vor der Anklageverlesung sagt er dem Richter: "Ich bin müde."

Der Richter unterbricht für wenige Minuten, der Angeklagte soll in Augenschein genommen werden. Anschließend wird das Verfahren fortgesetzt. Silke Ritzert von der Bundesanwaltschaft glaubt, dass der Angeklagte seine psychische Erkrankung nur vorspielt:

"Sieben Minuten nach Prozessauftakt wollte uns der Angeklagte glauben machen, dass er verhandlungsunfähig sei. Nach den überzeugenden Ausführungen der anwesenden psychiatrischen Sachverständigen gibt es dafür aber keine Anhaltspunkte", so Ritzert.

Angeklagter fällt nicht nur im Gerichtssaal auf

Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen will.

Als die Anklage verlesen wird, fällt er weiter auf. Er legt immer wieder den Kopf auf den Tisch. Es geht um die Taten, die er am Morgen des 6. November 2021 im ICE von Passau nach Nürnberg begangen haben soll. Laut Anklage hat sich der Mann einem sitzenden Fahrgast von hinten genähert und ihm das Messer achtmal in den Kopf-, Hals- und Brustbereich gestoßen. Insgesamt seien vier Personen seine Opfer gewesen.

Nach der Tat hatte der ICE einen außerplanmäßigen Zwischenstopp im Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz gemacht. Polizisten durchsuchten den Zug bei Seubersdorf und nahmen den mutmaßlichen Täter fest.

Im Dezember soll er zudem im Bezirksklinikum auffällig geworden sein. Er habe einen Pfleger mit der Hand ins Gesicht geschlagen, heißt es. Damit habe er seine Verachtung gegenüber Nichtmuslimen zum Ausdruck bringen wollen.

Anfang Januar soll er zudem ebenfalls in der Klinik in seiner Isolierzelle ein Fenster so lange gegen die Wand geschlagen haben, bis das Glas zersplitterte und sich Metallstangen aus dem Fenster lösten. Mit einer dieser Stangen soll er auf die Tür der Zelle eingeschlagen haben.

Verteidiger: Terrorvorwürfe reine Spekulation

Vorgeworfen werden dem 28-Jährigen unter anderem versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung. Silke Ritzert von der Bundesanwaltschaft spricht von einer islamistischen Motivation. "Er hatte Dateien, in denen zur Begehung von Anschlägen und Tötung von Ungläubigen aufgerufen wurde", so Ritzert. "In der Gesamtschau kann man diesen Dateien entnehmen, dass er Nicht-Muslimen und abtrünnigen Muslimen jegliches Lebensrecht abspricht. Wir gehen davon aus, dass er auf Grundlage dieser Tatmotivation gehandelt hat."

Verteidiger Maximilian Bär widerspricht. Dies sei reine Spekulation. Überhaupt sei sein Mandant in kein Terrornetzwerk eingebunden gewesen. Der Angeklagte gilt als palästinensischer Volkszugehöriger, ist aber in Syrien aufgewachsen. Seit 2014 lebt er in Deutschland.

Welche Rolle spielt die Passauer Moschee?

Nach BR-Informationen gibt es Zeugen, die behaupten, dass der Angeklagte regelmäßig eine verfassungsschutzbekannte Moschee in seinem Wohnort Passau besucht hat. Die dortige Al-Rahman-Moschee diene "als Plattform für salafistische Vortragsveranstaltungen sowie als Treff- und Kontaktpunkt für Personen mit Bezügen zum Salafismus", sagt Florian Volm, Sprecher des Bayerischen Verfassungsschutzes.

Die Moschee spricht auf Anfrage von Verleumdung. Man sei nicht salafistisch, folge also keiner extremistischen Ideologie innerhalb des Islamismus. Und: "Wir verfolgen keine politischen Ziele", teilt die Moschee mit. Auch der Angeklagte habe sich nie in den Gebetsräumen aufgehalten: "Wir kennen diesen Herren überhaupt nicht. Verfassungsschutz und die Kriminalpolizei haben uns schon kontaktiert." Man werde alle anzeigen, die "nicht die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten und respektieren".

Betroffener psychisch mitgenommen

Die Opfer des ICE-Attentats kämpfen bis heute mit den Folgen der Tat. Drei Anwälte vertreten sie in der Nebenklage. Sein Mandant sei psychisch und körperlich mitgenommen, sagt einer von ihnen, der Passauer Anwalt Sebastian Kahlert: "Es braucht Zeit und diesen Prozess, dass er langsam wieder ins Leben zurückfindet." Der Mandant werde erst nach seiner Zeugenaussage am Prozess teilnehmen, so der Anwalt.

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