Die Geburtsurkunde eines kleinen Mädchens, auf der neben dem Geburtstag der Vermerk "tot geboren" eingetragen ist.
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Nach Fehlgeburten vor der 24. Schwangerschaftswoche gibt es keinen Mutterschutz. Wenn die Münchner Petition Erfolgt hat, könnte sich das ändern.

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Münchner Petition fordert Mutterschutz nach früher Fehlgeburt

Nach einer Fehlgeburt trauern Eltern. Mutterschutz nach Fehlgeburten gibt es aber erst ab der 24. Schwangerschaftswoche oder ab einem Gewicht von 500 Gramm. Die Petition einer Münchnerin fordert nun einen früheren Mutterschutz.

Sein Kind zu verlieren, schmerzt Eltern tief, auch die Mütter und Väter, die ihr Baby schon während der Schwangerschaft verlieren. Sie brauchen Zeit zum Trauern. Aber bislang ist Mutterschutz nach einer Fehlgeburt erst ab dem sechsten Schwangerschaftsmonat rechtskräftig. Nun fordert eine Petition Mutterschutz auch schon früher, und zwar gestaffelt. Das bedeutet aber auch eine frühe Offenlegung der glücklosen Schwangerschaft gegenüber dem Arbeitgeber.

Nach der Fehlgeburt sofort zurück an den Arbeitsplatz?

"Der Herzschlag Ihres Kindes ist nicht mehr zu hören. Da stimmt was nicht." Natascha Sagorski ist in der zehnten Woche schwanger, als sie diese Nachricht von ihrem Frauenarzt bekommt. Eigentlich ging die Münchnerin nur schnell in ihrer Mittagspause zur Routine-Untersuchung.

Doch dann lief alles anders: Schon am Abend kam sie in eine Klinik. Bei einem operativen Eingriff wurden der tote Embryo und der Mutterkuchen entfernt. Für sie ein traumatisierendes Erlebnis. "Ich habe wochenlang ein Kind unter dem Herzen getragen. Plötzlich durfte ich keine Mutter mehr sein." Noch dazu habe ihr die behandelnde Ärztin erklärt, sie bekomme keine Krankmeldung. Natascha Sagorski sollte am Tag nach der Fehlgeburt sofort wieder arbeiten gehen. Trotz ihrer starken Schmerzen und ihrer Trauer.

Rechtslage beim Mutterschutz in der Schwangerschaft

Ihr Hausarzt stellte ihr schließlich eine Krankmeldung aus. So konnte sie zwei Wochen daheimbleiben, um zu trauern. Wer vor dem sechsten Schwangerschaftsmonat ein Kind verliert, hat keinen Anspruch auf eine gesetzlich geregelte Auszeit. Ein Recht auf Mutterschutz sieht die aktuelle Rechtslage einerseits nach der 24. Schwangerschaftswoche vor, oder andererseits nach einem Gewicht des Babys ab 500 Gramm. Dabei unterscheidet das Gesetz aktuell nicht nach Lebendgeburt oder Fehlgeburt.

Petition auf gestaffelten Mutterschutz

Das Schicksal von Natascha Sagorski ist kein Einzelfall. Nach Schätzungen von Gynäkologen erleidet jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens eine Fehlgeburt. Aufgrund der Vielzahl Betroffener hat die Bundesregierung bereits angekündigt, Frauen ab der 20. Schwangerschaftswoche auch bei Fehlgeburten Mutterschutz zuzusprechen. Eine entsprechende Gesetzesinitiative ist für Herbst vorgesehen.

Natascha Sagorski geht das aber nicht weit genug. Sie fordert, es müsse auch schon früher eine Option auf gestaffelten Mutterschutz geben. "Muttergefühle lassen sich nicht nach Wochen erfassen", sagt die 37-Jährige. Wer sein Kind in der 19. Schwangerschaftswoche verliere, könne genauso Trauer und Schmerz empfinden.

Deswegen hat die Münchnerin eine Online-Petition gestartet. 50.000 Unterschriften sind das aktuell angestrebte Ziel der Petition. Die Staffelung und Höhe des Mutterschutzes soll von einer Expertenkommission erarbeitet werden. Auf BR-Anfrage beim bayerischen Familienministerium zur politischen Einordnung der Petition hieß es, Mutterschutz sei Bundesgesetz. Man wolle deshalb nicht dazu Stellung nehmen.

Kritik: Mutterschutz nach Fehlgeburt erfordert Offenlegung gegenüber Arbeitgeber

Sabine Simon, Leiterin der Schwangerschaftsberatung des Evangelischen Beratungszentrums München e.V. (EBZ) begrüßt, dass das Gesetz dahingehend geändert werden könnte, dass man bereits ab der 20. Woche Anspruch auf Mutterschutz hat. Die Petition auf gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburt sieht sie jedoch kritisch. "Betroffene Frauen müssten dann ihre glücklose Schwangerschaft auch sehr früh gegenüber ihrem Arbeitgeber offenlegen und diese auch nachweisen können", gibt sie zu bedenken.

Manche Frauen würden vielleicht gar nicht wollen, dass ihr Arbeitgeber von der Fehlgeburt erfahre. Sabine Simon empfiehlt weiterhin die Praxis: Krankschreibung durch den Hausarzt nach dem Verlust des Babys in der Schwangerschaft. "Der Vorteil einer Krankschreibung ist, dass ich es nicht jedem anderen erzählen muss." Überhaupt müsse jede Frau, jedes Elternpaar erst mal für sich selbst schauen, wie sie mit der Trauer umgehen wollen.

Sternenkinder-Verein setzt auf Wahlmöglichkeit

"Die Petition fordert die grundsätzliche Möglichkeit des gestaffelten Mutterschutzes nach Fehlgeburt ein, es ist also ein Angebot an die Frauen, keine Pflicht", sagt Daniela Nuber-Fischer. Die Leiterin der Sternenkinder-Sprechstunde im Haus der Familie in München hat selbst ihre Tochter in der 21. Woche verloren. Damals hätte ihr ein offizieller Schutzraum sehr gut getan, sagt sie.

Für sie sei es nicht das Gleiche, eine Krankschreibung vor dem Arbeitgeber zu verteidigen oder nach festgelegtem Recht Zeit zum Trauern zu haben. Die Betroffenen müssten sich dann weniger rechtfertigen. Es müsse ein Recht auf Mutterschutz nach Fehlgeburt geben, findet sie, keine Pflicht. Denn Daniela Nuber-Fischer von der Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V. in München weiß: Der einen Mutter tue es gut, schnell wieder Struktur im Alltag zu haben, eine andere ziehe es vor, sich erst mal zurückzuziehen.

Wunsch nach Achtsamkeit, Information und Öffentlichkeit

Bis jetzt ist die Petition von mehr als 32.000 Menschen unterzeichnet worden. Sie erzeugt also Öffentlichkeit, und das sei sehr wichtig, sagt Helga Schmidtke vom Sternenkinderzentrum Bayern. Denn eine Fehlgeburt bzw. eine "Stille Geburt" sei immer noch ein gesellschaftliches Tabu-Thema in Bayern. "Durch die Einführung eines gestaffelten Mutterschutzes bekommen Betroffene mehr Öffentlichkeit."

Es fehle immer noch an Information und Achtsamkeit. Etwa, was die Möglichkeiten zum Austragen einer Fehlgeburt betreffe. Nicht jede Fehlgeburt müsse mit einer Ausschabung in der Klinik enden, es gebe auch die Austragung daheim, medizinisch eingeleitet und begleitet von einer Hebamme.

Inzwischen ist Natascha Sagorski glückliche Mutter. Ihre Kinder sind zwei Jahre und zehn Monate alt. Jedes Jahr am 14. Februar zündet sie mit ihrer Familie eine Kerze im Garten an, am errechneten Geburtstermin des verstorbenen Babys. "Zu unserer Familie gehört das Sternenkind im Himmel fest dazu", sagt sie.

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