Ulrich Wastl von der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl
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Beobachtet den kirchlichen Umgang mit Missbrauch kritisch: Gutachter Ulrich Wastl

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Münchner Missbrauchsgutachter Wastl kritisiert Aufarbeitung

Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens stellt Gutachter Ulrich Wastl der katholischen Kirche bei der Aufarbeitung von Missbrauch ein schlechtes Zeugnis aus.

Die Kirche zerlege sich über der Aufarbeitung von Missbrauch durch ihre Mitarbeiter und Geistlichen selbst, so der Rechtsanwalt Ulrich Wastl, Verfasser des Münchner Missbrauchsgutachtens, in der "Süddeutschen Zeitung".

Kardinal Marx – "nicht besonders feinfühlig"

So habe sich beispielsweise Kardinal Reinhard Marx "nicht besonders feinfühlig" verhalten, als er beim Münchner Requiem für Benedikt XVI. auch Missbrauchsbetroffene zum Gebet eingeladen habe. Die Kirche als Täterinstitution könne nicht erwarten, "dass am Ende alle einander die Hand geben", so Wastl.

Zumal wenn man die ungeklärte Verantwortlichkeit des verstorbenen emeritierten Papstes für den Umgang mit Missbrauchstätern im Erzbistum München und Freising bedenke. Das Münchner Missbrauchsgutachten hatte Joseph Ratzinger Fehlverhalten im Umgang mit vier Missbrauchsverdachtsfällen in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising vorgeworfen.

Benedikts Stellungnahme "eines Papstes nicht würdig"

In einer Stellungnahme, deren Verfasserschaft allgemein umstritten ist, wies Ratzinger die Schuld von sich. Die Stellungnahme sei ein "Beratungsdesaster", so Wastl im SZ-Interview, ihr Inhalt "eines Papstes nicht würdig".

Der Privatsekretär des emeritierten Papstes, Georg Gänswein, habe schon während der Untersuchung versucht, die Gutachter "in die Schranken zu weisen". Gänsweins jüngste Eröffnung, er habe vom verstorbenen Ex-Papst den Auftrag, dessen Notizen zu vernichten, bewertet der Jurist als "Schlag ins Gesicht" für eine fundierte Aufarbeitung und als "schädlich" für die Kirche.

Dass Missbrauchsbetroffene Ratzingers Amtsnachfolger als Erzbischof in München und Freising Marx bei der Aufarbeitung als zu passiv empfinden, führt der Jurist etwa darauf zurück, dass der Kardinal bei der Vorstellung des Gutachtens vor einem Jahr nicht persönlich anwesend war. "Diese Souveränität muss er haben, sich reinzusetzen und zuzuhören", so der Gutachter.

Rolle des Erzbistums – zu passiv, zu langsam, nicht souverän

Nach wie vor bestehe etwa zwischen dem Betroffenenbeirat und der Erzdiözese ein "völliges Ungleichgewicht", so Wastl. Die Betroffenen bräuchten nach Einschätzung des Rechtsanwalts ein "selbstverwaltetes Budget, selbstgewählte Psychologen, Sozialarbeiter, Rechtsanwälte", um unabhängig und auf Augenhöhe mit der Diözesanleitung zu sprechen.

Was die weitere Aufarbeitung angeht, sieht der Gutachter ebenfalls noch Klärungsbedarf: "Ich finde, dass man die Rolle der Weihbischöfe überdenken muss", so Wastl in der SZ. Diese fungierten als oberste Seelsorger in ihrem Zuständigkeitsbereich. Wenn es aber um die Verantwortung für Missbrauch gehe, stelle sich schnell der "Murmeltier-Effekt" ein: "Einer pfeift, und plötzlich sind alle weg."

Dilemma der Kirche: Recht oder Gerechtigkeit?

Bei Feststellungsverfahren zur Mitschuld der Bistümer wie dem eines Missbrauchsopfers vor dem Landgericht Traunstein müsse die Kirche nun Farbe bekennen: Setzt sie sich zur Wehr, indem sie sich auf die Verjährung der Missbrauchstaten beruft oder nicht.

Juristisch sei das ihr Recht, betont der Anwalt in der "Süddeutschen Zeitung", aber: "Wäre es als moralische Institution nicht sinnvoller, sich gegebenenfalls der Wahrheit und der eigenen Schuld zu stellen?"

Zur Frage nach der Rolle des Freistaats bei der Aufarbeitung von Missbrauch sagt Wastl, dass er ein politisches Eingreifen ins Geschehen für "sehr sinnvoll" hält. Und zwar nicht erst, wenn auch noch die letzte Studie vorliege. "Ich habe die leise Vermutung, dass das die Kirche teilweise auch zur Verzögerung einsetzt", so der Rechtsanwalt.

Mit Material von epd und KNA

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