Islamisches Zentrum München (Archivbild)
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Islamisches Zentrum München

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Diskussion um Nachruf auf "Extremisten" in Münchner Moschee

Ein Gelehrter, der lange in Katar lebte, schreibt in einem Buch, wie und wann ein Mann seine Frau islamkonform schlagen dürfe. Kürzlich starb er. Anlass für ein Gedenken im Islamischen Zentrum München. Ein Gedenken, das Teile des Stadtrats empört.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Es ist Ende September in einer Moschee in Freimann im Norden von München. Die Gläubigen sind versammelt, ein Imam spricht über Yusuf al-Qaradawi. "Von unserem großen Gelehrten: Den habe ich oft zitiert in Predigten und in Vorträgen", sagt der Imam im Islamischen Zentrum in seiner Rede, die auf Youtube zu finden ist. Es ist eine Gedenkrede – denn wenige Tage vorher war Qaradawi im Alter von 96 Jahren gestorben.

Qaradawi hetzte gegen Juden

Viele Jahrzehnte lebte Qaradawi im Gastgeberland der Fußball-WM, in Katar. Er verbreitete immer wieder die Ideologie der islamistischen Muslimbruderschaft. Mit seinen Vorträgen und Büchern erreichte er ein Millionen-Publikum, hatte eine eigene Fernsehsendung auf Al Jazeera.

Der Bayerische Verfassungsschutz ist davon überzeugt: Die Muslimbrüder sind eine Organisation, die auch westliche Gesellschaften unterwandern will, Einfluss gewinnen möchte – mit dem Ziel islamische Staaten – um so auf lange Sicht ein globales Kalifat zu errichten. Im Gegensatz zu salafistisch-dschihadistischen Terrororganisationen will die Muslimbruderschaft ihre Ziele aber ohne Terror und Gewalt erreichen.

Dennoch hetzte der muslimbrudernahe Gelehrte Qaradawi gegen Israel und verbreitete Lügen über den Holocaust. Wie in einer seiner bekanntesten Aussagen vom Januar 2009 im katarischen Sender Al Jazeera: "Die letzte Bestrafung stammte von Hitler. Auch wenn einiges davon übertrieben ist: Es war eine göttliche Strafe. Das nächste Mal soll dies im Land der Gläubigen passieren."

SPD/Volt-Stadtratsfraktion: "Qaradawi nicht geeignet, zitiert zu werden"

Dieses Mannes wurde nun im Islamischen Zentrum München gedacht. Teile des Münchner Stadtrates sind empört. Von der gemeinsamen Fraktion von SPD und Volt heißt es etwa auf BR-Anfrage, dass Qaradawis Lehre nicht nur der Integration von Menschen mit islamischem Glauben schade, sondern auch dem interreligiösen Dialog, den "wir in München als Stadtpolitik seit vielen Jahren laut fordern und gezielt fördern". "Aufgrund seiner herabsetzenden und intoleranten Haltung ist Qaradawi nicht geeignet, in den deutschen Moscheegemeinden zitiert zu werden", sagt Cumali Naz, migrationspolitischer Sprecher der Fraktion.

Die Stadtrats-CSU teilt mit, dass Anhänger extremistischer Positionen keine Bühne erhalten dürften. "Wir fordern das Islamische Zentrum auf, sich von Extremismus und Gewalt zu distanzieren. Es muss sichergestellt werden, dass Anhänger extremistischer Positionen in München keine Bühne erhalten", sagt Stadtrat Manuel Pretzl.

Der Psychologe Ahmad Mansour sieht das ähnlich. Er betreut seit Jahren Radikalisierte in deutschen Gefängnissen. Auch im Auftrag der Staatsregierung bietet er Workshops in Bayern an, damit Häftlinge ihren Radikalisierungsweg reflektieren und aussteigen. Kürzlich hat er sich in seinem Buch "Operation Allah. Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will" mit Bewegungen wie der Muslimbruderschaft und Gelehrten wie Qaradawi beschäftigt. "Wer Reform haben will, wer in Deutschland ankommen will, wer Demokratie und Islam vereinbaren will, kann Qaradawi nicht unkritisch betrachten und kann ihn nicht als großen Gelehrten darstellen", findet Mansour.

Der katarische Gelehrte und das Frauenschlagen

Problematisch ist auch Qaradawis Buch "Erlaubtes und Verbotenes im Islam". Laut Bayerischem Verfassungsschutz war diese Schrift in deutscher Sprache auch in Moscheen im Freistaat erhältlich. Darin fordert Qaradawi unter anderem die Todesstrafe für außerehelichen Geschlechtsverkehr und gibt Männern Ratschläge, wie sie ihre Ehefrauen angeblich "islamkonform" schlagen könnten. Der Ehemann, so heißt es, sei Vorstand von Haus und Familie. Folge ihm die Ehefrau nicht, solle er zunächst versuchen, sie mit Worten zu überzeugen, im zweiten Schritt solle der Mann nicht mehr bei ihr schlafen. Sei sie weiterhin ungehorsam, dann "darf er sie leicht mit den Händen schlagen, wobei er das Gesicht und andere empfindliche Stellen zu meiden hat".

Ende September weist der Imam im Islamischen Zentrum München sein Publikum darauf hin: "Erlaubtes und Verbotenes im Islam gibt es auch in deutscher Übersetzung."

Der Bayerische Verfassungsschutz sieht diese Worte kritisch. "Zum einen weil damit ein Buch eines hochrangigen Funktionärs der Muslimbruderschaft empfohlen wird. Und zum Zweiten weil sich im Buch eindeutige extremistische Inhalte finden", sagt Sprecher Florian Volm. Seit Jahren beobachtet der Verfassungsschutz im Freistaat die Münchner Moschee. Sie habe Verbindungen zu muslimbrudernahen Organisationen und Personen, steht im aktuellsten Verfassungsschutzbericht von 2021.

Stadt München: Islamisches Zentrum wird zu Recht beobachtet

Die Stadt München teilt mit, dass ihr Qaradawis "antisemitische, frauenverachtende, LGBTIQ*-feindliche und terrorismusverherrlichende Äußerungen und Veröffentlichungen" bekannt seien. Die Landeshauptstadt verurteile "jede Form der menschenfeindlichen Aufhetzung – ganz egal, in welchem gesellschaftlichen oder politischen Kontext diese auftritt". Dies gelte "selbstverständlich auch für die Huldigung al-Qaradawis im Islamischen Zentrum München, das aufgrund seiner Bezüge zur islamistischen und antisemitischen Muslimbruderschaft zu Recht seit vielen Jahren unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht".

Von der Stadtratsfraktion der Grünen und Rosa Liste heißt es, es sei unfassbar, dass diese Predigt mit der Buchempfehlung in München abgehalten worden sei – nicht etwa in Katar. "Diese Predigt, diese Werbung für die Lehren von al-Qaradawi, richtet sich direkt an Männer (jung und alt) hier in München. Er ist ein Antisemit, der sowohl Gewalt gegen Frauen und LGBTQI* propagiert, als auch die Todesstrafe für Frauen, beispielsweise bei außerehelichem Geschlechtsverkehr, zum Gesetz erhebt, indem er den Koran 2. Sure Al Bahara Vers 185 als zeitgenössische Rechtsgrundlage für Muslim*innen interpretiert und als Fatwa zu legitimieren sucht", so Stadträtin Nimet Gökmenoglu. In München sei kein Platz für Gewalt gegen Frauen.

Islamisches Zentrum distanziert sich von Gewalt gegen Frauen

Die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG), die eng mit der Münchner Moschee verknüpft ist, antwortet im Namen der Moschee auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks. Sie verweist auf Zweifel an der Arbeit des Verfassungsschutzes. Zudem erkenne die DMG die Expertise al-Qaradawis in vielen Punkten an, distanziere sich aber von bestimmten Positionen. "Die DMG kann es insbesondere nicht mit ihrem Religions- und Werteverständnis vereinbaren, wenn Selbstmordattentate in Palästina oder anderswo gerechtfertigt werden. Ebenso lehnt sie homophobe oder antisemitische Positionen entschieden ab", so die DMG. Auch sei man kein Teil der Muslimbruderschaft.

Das Islamische Zentrum (IZM) selbst und der Imam teilen im Nachgang mit: "Meine persönliche Haltung, und die des IZM, ist die, dass weder körperliche noch verbale Gewalt in den Familien Platz haben darf."

Erst 2019 hatte die Moschee Äußerungen, in denen Gewalt gegen Frauen befürwortet wird, von seiner Internetseite entfernt. Das Islamische Zentrum distanzierte sich damals von derartigen Aussagen. Das reicht Teilen der Münchner Stadtratsfraktion aber nicht.

Grüne/Rosa Liste: Distanzierung hat keinen Wert

Das Islamische Zentrum müsse sich auch von Qaradawi distanzieren, heißt es von SPD und Volt. Ähnliche Forderungen kommen von den Freien Wählern und der ÖDP. Die CSU sagt zudem: "Es ist höchst bedauerlich, dass das Islamische Zentrum aus den Vorfällen von 2019 offenbar nicht die richtigen Lehren gezogen hat. Damit wird den Interessen aller Menschen islamischen Glaubens massiv geschadet."

Und von Nimet Gökmenoglu von der gemeinsamen Fraktion der Grünen und der Rosa Liste heißt es, dass der aktuelle Vorgang zeige, welchen Wert die Distanzierung des Islamischen Zentrums von 2019 habe – "nämlich gar keinen".

Ebenso denkt der Psychologe und Islamismus-Experte Mansour. "Die Tatsache, dass man eine halbe Stunde lang über Qaradawi und seine Errungenschaften spricht und ihn als großen Gelehrten darstellt, macht klar, dass diese Distanzierung nach außen wirken soll, aber nicht nach innen", so Mansour.

Hinweis: Die Moschee hat BR24 im Nachgang ein Zitat zugesandt. Es wurde ergänzt. 

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