Polizeiplakat mit Foto der so lange vermissten Sonja Engelbrecht.
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Polizeiplakat mit Foto der so lange vermissten Sonja Engelbrecht.

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120 neue Zeugen-Hinweise im Mordfall Sonja Engelbrecht

Vor 28 Jahren verschwand in München die 19-jährige Sonja Engelbrecht. Erst im Jahr 2020 wurden in einem Wald bei Eichstätt sterbliche Überreste der jungen Frau entdeckt. Die Polizei sucht mit neuen Hinweisen. Über 120 Zeugen haben sich nun gemeldet.

Dass der Mordfall Sonja Engelbrecht die Menschen auch 28 Jahre nach der Tat bewegt, hat sich jetzt bei einem erneuten Zeugenaufruf der Polizei gezeigt. Die Mordkommission war mit neuen Erkenntnissen an die Öffentlichkeit gegangen, 120 Zeuginnen und Zeugen haben sich daraufhin bislang gemeldet.

Hinweise zu auffälliger Stoffdecke

Viele riefen mit Hinweisen zu der auffälligen Stoffdecke an, die die Polizei in der Felsspalte gefunden hatte, in der auch die skelettierte Leiche von Sonja Engelbrecht lag. Obwohl von der ursprünglich zwei Meter mal ein Meter 20 großen Decke nur noch zerfetzte Reste übrig waren, erkannten einige Zeugen sie offenbar auf den Fahndungsfotos wieder. Ob darunter auch eine Spur zu einem Tatverdächtigen führt, wird jetzt von der Mordkommission geprüft.

Täter muss Ortskenntnisse gehabt haben

Andere Hinweise bezogen sich nach Angaben der Polizei auf Kipfenberg. Nach Überzeugung der Ermittler muss sich der Täter dort ausgekannt haben. Ein Ortsunkundiger wäre nicht auf den Wald, und das entlegene Versteck an einem Abhang gekommen. Die Polizei zeigte sich hocherfreut über die Resonanz auf den erneuten Zeugenaufruf.

Polizei geht von Sexualverbrechen aus

Die Mordkommission geht aktuell davon aus, dass die damals 19-jährige Schülerin 1995 Opfer eines Sexualverbrechers und Einzeltäters wurde. Im Fokus der weiteren Ermittlungen stehen jetzt drei Ansätze, so der Leiter der Mordkommission, Stephan Beer.

Täter kannte wohl abgelegene Felsspalte bei Kipfenberg

Die Ermittler sind überzeugt, dass der Mann sowohl einen Bezug zu München, wo Sonja Engelbrecht zuletzt gesehen wurde, als auch zu Kipfenberg beziehungsweise der Region gehabt haben muss. Die inzwischen skelettierte Leiche sei in einem abgelegenen Teil in einer Felsspalte bei Kipfenberg versteckt worden, so Beer: "Da kommt kein Wanderer hin, kein Pilzsammler." Dieses Versteck könne 1995 deshalb nur eine Person mit Ortskenntnissen ausgesucht haben. Der Täter stammt also womöglich aus der Gegend, hatte seinen Arbeitsplatz dort oder kannte den Wald aus dem Urlaub.

Plastikfolien und Klebeband sichergestellt

In der Felsspalte konnte die Polizei zerfetzte Plastiksäcke und -folien, umwickelt mit Klebeband, und eine Decke sicherstellen. Vermutlich hatte der Täter den Leichnam von Sonja Engelbrecht darin eingewickelt, um sie dann in dem Wald bei Kipfenberg abzulegen. Die Materialien waren laut Polizei benutzt, sogar Malerfarbe klebte noch daran. Die Mordkommission hält es deshalb für wahrscheinlich, dass der Täter zum Zeitpunkt der Tat Bau-, Renovierungs- oder Malerarbeiten durchgeführt hat, entweder beruflich als Handwerker oder privat.

So sah Sonja Engelbrecht bei ihrem Verschwinden im Jahr 1995 aus.
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So sah Sonja Engelbrecht bei ihrem Verschwinden im Jahr 1995 aus.

Blau-schwarze Decke mit Pflanzenmuster gefunden

Mit bei den Überresten von Sonjas Leichnam wurden auch Reste einer Decke gefunden. Es handelt sich um eine ursprünglich zwei Meter lange und ein Meter zwanzig breite Decke, überwiegend aus Polyacryl, die auf der einen Seite schwarz, auf der anderen Seite blau ist, jeweils mit einem markanten Pflanzenmuster. Ein Etikett hat die Aufschrift "Acryl Velours". Nachfragen der Polizei bei Textilherstellern liefen ins Leere. Die Ermittler sind deshalb nicht nur daran interessiert, ob jemand genau diese Decke schon einmal gesehen hat, und bei wem, sondern auch, ob jemand eine gleichartige Decke besitzt, um sie der Polizei zu Vergleichszwecken zur Verfügung zu stellen.

Oberschenkelknochen im Sommer 2020 entdeckt

Ein Waldarbeiter hatte im Sommer 2020 in einem Waldstück bei Kipfenberg einen menschlichen Oberschenkelknochen gefunden. Dieser konnte im Herbst 2021 dank neuer Typisierungsmöglichkeiten der vermissten Schülerin Sonja Engelbrecht zugeordnet werden.

Die Münchnerin war im April 1995 unter mysteriösen Umständen verschwunden. Die 19-Jährige hatte sich nachts um 2.30 Uhr am Stiglmaierplatz von einem Freund verabschiedet, der in eine Trambahn stieg. Eigentlich wollte Sonja Engelbrecht dann von einer Telefonzelle aus ihre ältere Schwester anrufen, um sich von ihr abholen zu lassen. Dazu kam es nicht mehr. Warum, ist bis heute unklar.

Polizei geht von Sexualverbrechen aus

Bis zur Zuordnung des gefundenen Oberschenkelknochens galt der Fall Sonja Engelbrecht offiziell als Vermisstenfall, wenn auch die Mordkommission schon kurz nach dem Verschwinden die Ermittlungen übernommen hatte. Schon 1995 gab es die These, dass die 19-Jährige möglicherweise Opfer eines Sexualverbrechens geworden war. 28 Jahre danach sind die Ermittler jetzt davon überzeugt. Der Grund: Es wurde zwar Schmuck von Sonja Engelbrecht in der Felsspalte gefunden, aber kein einziges Kleidungsstück.

Offene Frage nach Täterspuren

Hinweise darauf, wie die 19-Jährige ums Leben kam, gibt es trotz intensiver Untersuchungen der aufgefunden Knochen nicht, erklärte Stephan Beer. Auf die Frage, ob auch Täter-Spuren sichergestellt werden konnten, wich der Leiter der Mordkommission aus. Die Spurensuche sei diesbezüglich auch nach einem Jahr noch nicht abgeschlossen. Über welchen Zeitraum die Getötete insgesamt in dem Wald gelegen hatte, ließ sich nicht mehr feststellen.

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