Die Schlagzeile sorgte für Spekulationen über einen Kurswechsel der Justiz im Umgang mit der katholischen Kirche: "Staatsanwälte beim Münchner Erzbischof". Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" haben Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei im Zuge der Ermittlungen zum Missbrauchsskandal zwei zentrale Einrichtungen des Erzbistums München und Freising durchsucht: das Ordinariat, also die Verwaltungsbehörde der Erzdiözese, sowie das Erzbischöfliche Palais und damit den Amtssitz von Kardinal Reinhard Marx - gegen den sich aber kein Verdacht der Justiz richte.
Eine offizielle Bestätigung der Durchsuchung, die schon am 16. Februar stattgefunden haben soll, gibt es bisher zwar nicht. Der Sprecher der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch, Matthias Katsch, sprach dennoch von einer bemerkenswerten Aktion. "Hoffentlich ist es ein Zeichen für einen Kurswechsel der Justiz im Umgang mit der Kirche", sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Nach Meinung des Vorsitzenden des Betroffenenbeirats der Erzdiözese, Richard Kick, kommt "nach mehr als zehn Jahren des Wegschauens der bayerischen Staatsregierung endlich Bewegung in die Sache".
- Zum Artikel: "Münchner Missbrauchsgutachter Wastl kritisiert Aufarbeitung"
Minister: Staatsanwaltschaften setzen keine politischen Zeichen
Der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) wollte sich zwar zum konkreten Einzelfall nicht äußern, stellte aber klar: "Die Staatsanwaltschaften setzen mit Durchsuchungen kein politisches Zeichen, sondern sie suchen nach Beweismitteln." Der CSU-Politiker versicherte, dass die bayerischen Staatsanwaltschaften "konsequent ermitteln, wenn sie hinreichende Anhaltspunkte haben, also wenn es einen Anfangsverdacht gibt". Darauf könnten sich die Menschen in Bayern verlassen.
Niemand stehe in Bayern über dem Gesetz: "kein Politiker, kein Wirtschaftsboss und auch kein Geistlicher." Es habe im kirchlichen Bereich seit 2010 mehrere hundert Ermittlungs- und Vorermittlungsverfahren gegeben und seit 2017 bereits 39 Durchsuchungen bei Geistlichen und Kirchenangehörigen. "Kindesmissbrauch ist furchtbar, der Missbrauchsskandal in der Kirche auch, und wir haben hochmotivierte, entschlossene Staatsanwälte und Staatsanwältinnen, die eine gute Arbeit machen", sagte Eisenreich. Voraussetzung dafür aber sei, dass sie von einer Straftat Kenntnis erlangen. "Deshalb meine Bitte an alle Betroffenen: Erstatten Sie Anzeige!"
Söder: Kirche hat sich zu spät "der vollen Realität gestellt"
Ähnlich wie Eisenreich reagierte auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf Fragen zu der Durchsuchungsaktion. "Das ist eine Sache der Justiz", sagte er im Münchner Presseclub.
Zugleich beklagte Söder grundsätzlich, dass die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals zu spät begonnen habe und zu lang dauere. Das Hauptproblem sei, dass sich die Kirche zu spät "der vollen Realität gestellt" habe, sagte der Ministerpräsident. Die Verzögerung habe bei vielen Menschen, insbesondere Betroffenen, Zweifel am Aufklärungswillen geweckt. Später sei dann zwar "viel geleistet worden". Da aber viel Vertrauen verloren gegangen sei, gebe es bis heute eine Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und dem, was sich schon getan habe.
"Fall 26": Trotz Verurteilung Kontakt zu Ministranten
Bei der Durchsuchungsaktion gingen die Ermittler laut "SZ" dem Verdacht nach, dass es im Bistum eine Art "Giftschrank" mit heiklen Unterlagen zum Missbrauchsskandal geben könnte. Die Staatsanwälte und Polizisten sollen aber nichts gefunden haben. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I sagte auf BR-Anfrage, über laufende Ermittlungen könne die Behörde keine Auskünfte geben. Es werde aber voraussichtlich zum Abschluss der Ermittlungen Informationen für die Medien geben. Sie verwies darauf, dass die Staatsanwaltschaft München I mit der Prüfung von mehr als 40 Fällen aus dem Missbrauchsgutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) befasst sei, in denen ein Fehlverhalten kirchlicher Verantwortungsträger vorliegen könnte.
Laut "SZ" ging es bei der Durchsuchung um "Fall 26" aus dem Missbrauchsgutachten: um den Umgang der Kirche mit einem inzwischen verstorbenen Priester, der in den 60er-Jahren wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs zu fünf Jahren Haft verurteilt worden sei. Trotzdem sei er später wieder in der Seelsorge eingesetzt worden - konkret in einem Krankenhaus. Dort soll er noch Anfang der 2000er Jahre Kontakt zu Ministranten gehabt, ihnen Zugang zu seiner Privatsauna gewährt haben und mit ihnen in den Urlaub gefahren sein. Kirchenrechtlich sei der Priester nie sanktioniert worden.
Minister fordert bayerische Bistümer zum Handeln auf
Laut Justizminister Eisenreich muss bei den Missbrauchsvorwürfen zwischen der strafrechtlichen Verfolgung und der historischen Aufarbeitung unterschieden werden. Missbrauchsstudien und Gutachten hätten sich in der Vergangenheit für die Strafverfolgung als wenig hilfreich erwiesen - mögliche Täter seien häufig schon gestorben oder die Taten verjährt. Für die historische Aufarbeitung seien diese Studien aber notwendig und wertvoll. Dies sei Sache der Kirche.
"Die Kirche hat sich auf den Weg gemacht, der noch nicht abgeschlossen ist", sagte Eisenreich. Mit der sogenannten MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche sei ein großer Schritt getan worden. Es sei gut, dass einige Diözesen bereits darüber hinaus eigene Gutachten in Auftrag gegeben hätten - München, Passau und Würzburg. "Die anderen Diözesen in Bayern sollten diesem Beispiel folgen", forderte der Minister. Weitere Bistümer im Freistaat sind Augsburg, Bamberg, Eichstätt und Regensburg.
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